Punktsieg durch Hungerstreik

Trotz schwerer gesundheitlicher Schäden droht dem Kurden Recep Öz die Abschiebung

Sie entließen ihn aus der Abschiebehaft, wie man es von deutschen Gefängnisangestellten nicht anders erwartet: Erst nahmen die Wärter Recep Öz das letzte Geld weg, dann sagten sie ihm: "Wir werden uns wiedersehen. Du wirst mit der U-Bahn schwarzfahren, dann werden wir dich wiederhaben." Der Asylbewerber verabschiedete sich nach 31 Tagen Hungerstreik höflich und entschlossen aus der Haftanstalt Berlin-Köpenick.

"Ich habe gesagt, daß ich nicht schwarzfahren werde, und bin gegangen", erinnert sich der kurdische Flüchtling im Gespräch mit der Jungle World am 16. Juli. Nur wenige Stunden, bevor ihn der Flug TK 1 722 nach Istanbul bringen sollte, verfügte das Berliner Verwaltungsgericht einen Abschiebestopp. Sein dramatischer Gesundheitszustand hielt die Richter davor zurück, die Reise zu genehmigen. Er wurde also nicht zum Flughafen Tegel gefahren, sondern ohne Geld vor das Tor des Abschiebegefängnisses gesetzt. Zum Abschied gaben die Beamten dem 25jährigen noch ein Schreiben mit auf den Weg. Absender: das Ausländeramt Euskirchen. Inhalt: die Aufforderung zur sofortigen Meldung. Sein Hungerstreik sollte die Abschiebung schließlich nur aussetzen, nicht verhindern.

In Euskirchen, nahe der niederländischen Grenze, hatte Öz Ende 1991 seinen Asylantrag gestellt. 1997 wurde er abgelehnt. Die Ausreisepflicht besteht folglich weiter. Auf das von ihm angestrebte Asylfolgeverfahren hatte das Berliner Verwaltungsgerichtsurteil keine Auswirkung. Die Euskirchener Ausländerbehörde erkannte die schweren gesundheitlichen Schäden nicht an - Öz muß sich also trotz der Folgen des Hungerstreiks dort bis September blicken lassen, ansonsten droht ihm die erneute Verhaftung. Doch auch für den Fall, daß er sich freiwillig meldet, wäre ihm die baldige Abschiebung in die Türkei sicher: Bei der Ausweisung türkischer Kurden fährt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) einen eindeutigen Kurs. Die Abschiebeflüge gehen stets nach Istanbul oder Ankara, weil dort, fernab der umkämpften Gebiete im Südosten der Türkei, die Rückkehrer vor Verfolgung sicher seien - so die deutsche Asylrechtsprechung.

Die Situation auf dem Flughafen in Istanbul sieht jedoch anders aus. Nur ein Fall unter vielen: Als der wie Öz aus Türkisch-Kurdistan stammende Süleyman Yadirgi am 16. März von Düsseldorf nach Istanbul abgeschoben wurde, nahm die türkische Polizei ihn sofort am Flughafen fest. Yadirgi wurde gefoltert und mit dem Tode bedroht. Nach sieben Tagen wurde er freigelassen, tauchte unter und floh ein zweites Mal in die Bundesrepublik. Im Mai lehnten die Behörden seinen Asylantrag erneut ab, seitdem sitzt Yadirgi wieder in Abschiebehaft.

Auch Öz hat die Bundesrepublik nach der Ablehnung seines Asylantrags 1997 vorübergehend verlassen. Dies könnte sich das Nürnberger Bundesamt nun zunutze amchen. Mit einer Argumentation, die das Amt seit Oktober zur Aufhebung der Duldungen von Kurden aus dem Nordirak anwendet, könnte nun auch Öz abgeschoben werden. Was die Behörde für die Verfolgung irakischer Geheimdienste im Nordirak konstatiert, trifft in den Augen der Bundesregierung ebenso für die türkische Spionageabwehr in der Region zu: "Deren Anwesenheit allein begründet keine Gebietsgewalt. Wirksamer Schutz gegen gezielte Geheimdienstaktionen ist nirgendwo möglich", heißt es in einem Schreiben des Bundesinnenministeriums.

Für Öz, der 1997 im Nordirak ins Visier des türkischen Geheimdienstes geriet, heißt das, daß nach dem gescheiterten Erstantrag auch der - bislang ohne Anhörung seiner Rechtsanwältin bearbeitete - Asylfolgeantrag kaum durchkommen wird. "Eine Verfolgung im Nordirak", so die Interpretation der deutschen Botschaft in Ankara in einem Jungle World vorliegenden Brief, sei "nicht zu gewärtigen. Das wird auch durch häufige Reisen der hier betroffenen Personen zu ihren Familien in den Nordirak, zumeist über Syrien, belegt".

Öz wurde im Irak verfolgt. Durch die deutschen Ausländergesetze vor die Alternative gestellt, in der BRD unterzutauchen oder auszureisen, hatte er sich vor mehr als einem Jahr für den Aufbau einer neuen Existenz im irakischen Teil Kurdistans entschieden. Doch die Verfolgung durch türkische Behörden, die ihn schon 1991 zur Flucht nach Deutschland gezwungen hatte, setzte sich auch auf irakischem Territorium fort. Die Kurdisch-Demokratische Partei (KDP) des Milizenführers Massut Barsani arbeitet in der Region offen mit türkischen Militärs zusammen. Eines Tages im vergangenen Jahr tauchten Geheimdienstmitarbeiter auf und suchten, mit einem Foto ausgestattet, nach Öz - ihm drohte die Verschleppung in die Türkei. Öz ergriff erneut die Flucht; schließlich landete er im Februar dieses Jahres in Berlin.

Dort wurde ihm Mitte Mai eine Lappalie zum Verhängnis. Nach einem Autounfall nahmen Polizisten den Kurden fest und brachten ihn auf die Wache, einen Tag später wurde er ins Abschiebegefängnis Köpenick verlegt. Drei Wochen nach der Festnahme, am 15. Juni, begann Öz seinen Hungerstreik, dem sich vorübergehend 30 weitere Gefangene anschlossen, darunter Afghanen, Russen und Ukrainer. Christa Wolf und Walter Jens sowie eine Reihe französischer Intellektueller setzten sich für seine Freilassung ein. Während sich sein Gesundheitszustand von Tag zu Tag verschlechterte, blieben die Gefängnisärzte bei ihrer Einschätzung: abschiebetauglich. Polizei und Sanitäter drängten ihn immer heftiger, den Hungerstreik abzubrechen und wieder zu essen - vergeblich: Öz, der seine Widerstandsaktion mit den Worten "Lieber sterbe ich hier als in der Türkei" begonnen hatte, hielt durch. Drei Stunden vor Abflug des Flugzeugs teilte ihm seine Anwältin mit, daß das Verwaltungsgericht per Einstweiliger Anordnung die Abschiebung ausgesetzt habe.

Als Öz 1991 aus der Türkei floh, arbeitete er noch als Imam, gefoltert wurde er nach eigenen Angaben wegen seiner revolutionären Auslegung des Koran. Seine Einstellung hat sich seither etwas gewandelt. Nach sechs Jahren im Exil sagt er heute: "Mit der religiösen Arbeit kann sich mein Volk nicht befreien".