Syndikalisten gründen Bildungsgewerkschaft

Anarchie an der Uni

Gerade einmal ein Jahr ist es her, seit die große Streikbewegung fast alle bundesdeutschen Universitäten erfaßt und PolitikerInnen sowie JournalistInnen zu Lobeshymnen veranlaßt hat. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Nach kurzer Bewegungseuphorie herrscht wieder Flaute auf dem Campus. Die schweigende Mehrheit hat es schließlich schon immer gewußt: Engagement bringt nichts. Folgerichtig büffeln jetzt die meisten Aktiven von damals für die durch den Streik versäumten Scheine.

Das kann doch nicht alles gewesen sein, dachten sich einige Studis. Und so tauchten plötzlich, noch bevor die Streiks ihrem Ende zugingen, auf den Demonstrationen kleine Blöcke mit schwarz-roten Fahnen auf, die eine gebuckelte schwarze Katze zeigten. Die AnarchistInnen zeigten längeren Atem. Sie schlossen sich in Bonn, Berlin, Dortmund und Münster zu regionalen Bildungssyndikaten zusammen. Und die gründeten am vergangenen Wochende in Berlin eine bundesweite Bildungsgewerkschaft.

Ob sie damit die öde Politlandschaft an den Unis bereichern werden? Das Gründungswochenende läßt eher Zweifel aufkommen. Sehr viele waren es nicht, die sich in der Schule für Erwachsenenbildung im Berliner Mehringhof zusammengefunden haben. Und auch von Aufbruchstimmung war wenig zu spüren. So mancher, der nach der Euphorie frisch dazugestoßen war, wurde mittlerweile wieder vom Unialltag geschluckt.

Doch zumindest einige neue Ideen haben die organisierten AnarchosyndikalistInnen auf ihrem Gründungskongreß vorgetragen. Als kompromißlose BasisdemokratInnen lehnen sie die Mitarbeit in studentischen Gremien wie den Asten und Fachschaften ebenso grundsätzlich ab wie das System der Verfaßten StudentInnenschaften. Von einer rein studentischen Organisierung wollen die Anarchos einfach nichts wissen. Ihnen schwebt ein Bildungssyndikat vor, in dem Studierende gemeinsam mit DozentInnen, Mensa-KöchInnen und Reinigungskräften organisiert sind.

Daß die Einheit aller Studierenden und Werktätigen auf dem Campus auf absehbare Zeit eine Schimäre bleiben wird, sehen die SyndikalistInnen natürlich auch. Höchstens in Richtung der aktiven SchülerInnen sei in absehbarer Zeit eine Ausweitung abzusehen, sagte ein Aktivist der Jungle World.

Das Bildungssyndikat hat sich als Branche der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion (FAU) angeschlossen, wenn auch die FAU mangels Masse nur zu begrenzter Unterstützung in der Lage sein wird. Hierarchische Strukturen sollen nicht nur an der Universität, sondern auch im Wohnheim und bei der Jobvermittlung bekämpft werden. Der nationalstaatlichen Wettbewerbslogik wollen sie internationale Solidarität entgegensetzen.

Das großes Vorbild ist Frankreich. Denn dort sorgt die anarchosyndikalistische CNT/FAU durch direkte Aktionen nicht nur bei Demonstrationen immer wieder für Schlagzeilen. Als sich im Mai 1998 der deutsch-französische Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit in der Universität von Nanterre für seine wilde 68er-Vergangenheit feiern lassen wollte, wurde ihm von jungen AnarchosyndikalistInnen unter dem Motto "kleine Torte statt hohler Worte" selbige ins Gesicht geworfen. Sollten sie es mit der Parole "von Frankreich lernen" ernst meinen, könnte durch die BildungssyndikalistInnen das politische Leben auf dem Campus vielleicht wieder etwas bunter werden.