Prostitution oder Taliban

Frauenspezifische Fluchtgründe werden noch immer nicht anerkannt, kritisieren Aktivistinnen anläßlich des internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen

Erst am Ende der Beratung, oft nach langem Gespräch, fügten viele Frauen ein lapidares "Ach ja, vergewaltigt worden bin ich auch" hinzu, erzählt Petra Hildenbrand, Mitarbeiterin im Lara, dem Berliner Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen.

Obwohl mit der Strafrechtsreform im Juli vergangenen Jahres Vergewaltigung in der Ehe erstmals unter Strafe gestellt wurde, erstatten Frauen immer noch relativ selten Anzeige: Persönliche Ängste, finanzielle Abhängigkeit, das belastende Prozeßprozedere und die gesellschaftliche Stigmatisierung sind nur einige der abschreckenden, in der Öffentlichkeit kaum thematisierten Gründe.

Um die Gewalt öffentlich zu machen und Widerstand zu organisieren, gehen jährlich am 25. November Frauen in aller Welt auf die Straße. 1981 rief eine Frauenkonferenz in der kolumbianischen Hauptstadt Bogot‡ den Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen aus. Erinnert werden soll damit an drei Frauen, die am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik vom militärischen Geheimdienst vergewaltigt und ermordet worden waren.

Zwar scheint es bei bundesdeutscher Polizei und Justiz inzwischen eine größere Sensibilisierung gegenüber dem Thema zu geben, doch ändert das wenig an den demütigenden Umständen, unter denen die betroffenen Frauen und Mädchen eine Tat beweisen müssen. "Dieses Nachfragen ist immer eine Quälerei, da die Frauen dabei das Gefühl haben, in Frage gestellt zu werden", konstatiert Hildenbrand. Die Täter stehen den betroffenen Frauen und Mädchen in vielen Fällen nahe.

Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge ist weltweit jede fünfte Frau von Gewalt betroffen - die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Gewalt und sexueller Mißbrauch haben eine erschreckende Alltäglichkeit: Bei Übergriffen im häuslichen Bereich durch den Partner, denen nach Schätzungen in der Hauptstadt jede dritte Frau ausgesetzt ist, geht erlittene sexuelle Gewalt oft einher mit anderen "alltäglichen" Mißhandlungen. Übergriffe wie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung sind lediglich eine Form der Gewaltanwendung.

Ein Schwerpunkt des Aktionstages in Berlin liegt darin, "körperliche und sexuelle Gewalt im Leben von Frauen als strukturellen Bestandteil partriarchaler Gesellschaftsformen" zu begreifen. Der Berliner Arbeitskreis gegen Frauenhandel wies anläßlich des 25. November auf die Situation von Migrantinnen hin, die als Prostituierte, Haushälterinnen oder Ehefrauen extremen Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind. Die staatliche Bekämpfung von Frauenhandel richte sich weniger gegen die Täter als vielmehr gegen die Frauen selbst: Bei Razzien im Prostitutionsmilieu festgenommen, müssen sie befürchten, abgeschoben zu werden.

Und auch ausländische Ehefrauen verfügen nach der Novellierung des Paragraphen 19 Ausländergesetz weiterhin über kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach der Eheschließung. Seit Januar müssen sie zwar nicht mehr drei Jahre warten, sondern können direkt nach der Einreise eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis beantragen. Diese Regelung wurde jedoch im Zuge der Novellierung verschärft: Die betroffene Frau muß nun nicht nur nachweisen, daß sie mit gewalttätigen Angriffen in der Ehe konfrontiert ist, sondern auch, daß die Rückkehr in ihr Heimatland eine besondere Härte bedeuten würde.

Dieser Nachweis ist für viele Frauen schwer zu erbringen, da frauenspezifische Verfolgung und Unterdrückung in der BRD kaum als Asylgründe anerkannt werden. So wurde die genitale Verstümmelung, von der in zahlreichen afrikanischen, asiatischen und arabischen Staaten etwa 150 Millionen Frauen und Mädchen betroffen sind, in Deutschland bislang erst ein einziges Mal als Asylgrund anerkannt.

Ein Thema auch auf der "autonomen Frauen-Lesben-Demonstration" in Berlin vom Sonntag vergangener Woche, die die Nichtanerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe am Beispiel Afghanistan thematisierte. Die Gesetze der Taliban, nach denen Frauen keinen Zugang zu öffentlichen Schulen haben und ohne männliche Begleitung nicht das Haus verlassen dürfen, werden von der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit nicht als staatliche Verfolgung angesehen.