Die Menschenrechte des Diktators

Chiles Sozialisten nützt ihr Patriotismus wenig: Rechte Parteien und Militär machen sie für das Pinochet-Debakel verantwortlich

Am Ende hat das juristische Gerangel um die Auslieferung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet Ugarte doch etwas gebracht. Erkenntniszugewinn, ein bißchen zumindest. Denn Ricardo Lagos, Präsidentschaftskandidat der chilenischen Regierungskoalition Concertaci-n und Mitglied des sozialistischen PS, hat endlich begriffen: Die Armee, so äußerte er am Freitag, "steht nicht in republikanischer Tradition".

Die gemeinen Generäle hatten sich über die Entscheidung des britischen Innenministers Jack Straw, ein Auslieferungsverfahren an die spanische Justiz möglich zu machen, nämlich gar nicht erfreut gezeigt. Und republikanisch oder demokratisch natürlich auch nicht, aber wer hatte das schon erwartet - von den Sozialisten einmal abgesehen. Armee, Marine und Luftwaffe Chiles zeigten sich empört über die "schändliche Behandlung" ihres ehemaligen Chefkommandanten und Generals und äußerten in einer gemeinsamen Erklärung ihre "absolute Unterstützung für die Prinzipien der Militärregierung, deren großartiges Werk für den nationalen Wiederaufbau nicht durch tausend Lügen diskreditiert werden kann". Vor dem Putsch von Pinochet habe sich Chile doch politisch, sozial und wirtschaftlich "in chaotischem Zustand" befunden - alles durch "das gescheiterte marxistische Experiment" der Regierung des Sozialisten Salvador Allende.

Und so sehr sich die Sozialisten in den letzten Wochen bemühten, ihre Unterstützung für den einstigen Diktator zu bekunden, sieht die Armee in ihnen nun die Schuldigen: "Kräfte im In- und Ausland" seien für die "ungebührliche und demütigende" Entscheidung Straws verantwortlich. Die Regierung von Präsident Eduardo Frei habe sich zwar für die "richtige Sache" - nämlich eine Heimkehr Pinochets - eingesetzt, aber eben nicht energisch genug.

Dabei hatte Innenminister Raœl Troncoso sich noch am Donnerstag vergangener Woche gegen die britische Entscheidung gewandt und sie im Namen der chilenischen Regierung "energisch" zurückgewiesen. Kein Gericht, betonte er, dürfe "einen Landsmann für auf unserem Territorium begangene Taten" verurteilen. Die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien wurden zwar nicht abgebrochen, der Botschafter in London jedoch erhielt aus Santiago de Chile die Order, "unter Protest abzureisen".

Etwas, das der 83jährige Pinochet sicher auch gerne täte, statt dessen steht er weiter unter Arrest. Am Freitag wurde er vor eine Londoner Strafkammer zitiert - in ein modernes Gerichtsgebäude, das eigentlich für Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der nordirischen IRA gebaut worden war. Pinochet erschien im Rollstuhl, geschoben von seinem Sohn, und argumentierte genau wie Innenminister Troncoso: Er werde einzig und allein den Urteilsspruch eines chilenischen Gerichtes anerkennen. Aussuchen kann er sich das freilich nicht. Für den 18. Januar hat das Gericht den nächsten Verhandlungstermin angesetzt, um über die Auslieferung an Spanien zu beraten. Der spanische Richter Baltasar Garz-n hat aber bereits Anklage gegen den chilenischen Senator auf Lebenszeit erhoben: Pinochet sei persönlich für die Verhaftung, Folter und Ermordung von neun Beratern Allendes und 15 seiner Sicherheitsleute am Putschtag selbst, dem 11. September 1973, verantwortlich. Weitere vom Ex-Diktator angeordnete Hinrichtungen von Regimegegnern oder die Taten des chilenischen Geheimdienstes Dina - eine "kriminelle Organisation", wie es in der Anklageschrift Garz-ns heißt - werden ihm zur Last gelegt, darunter die Morde an Allendes ehemaligem Außenminister Orlando Letelier in Washington und dem Allende-treuen General Prats in Buenos Aires.

"Monate oder Jahre" könne sich dieser Prozeß wohl noch hinziehen, befürchten chilenische Rechte wie Sebasti‡n Pi-era, Präsidentschaftskandidat der Pinochet-treuen Partei Renovaci-n Nacional (RN). Und die ebenfalls rechtsaußen stehende Union Democr‡tica Independiente (UDI) jammerte bereits, sie werde ihren Helden von einst "nie mehr lebend wiedersehen". Deswegen sind beide Parteien wie auch die Armee auf der Suche nach Verantwortlichen für das Desaster. Sie finden sie vor allem in der Regierung, die es nicht verstanden habe, die "Souveränität und Ehre" Chiles zu bewahren.

Die Parteivorstände von RN und UDI verständigten sich daher in der vergangenen Woche darauf, eine neue Politik müsse her, "um den Sozialismus zu besiegen, der einmal mehr bewiesen hat, daß er für Haß und Rache mehr übrig hat als für die Interessen unseres Landes".

Für die Sozialisten natürlich ein ziemlich unverständlicher Vorwurf, hatten sie sich doch ziemlich stark gemacht für die Einheit der Nation. Auch die Concertaci-n-Regierung, an der der PS beteiligt ist, mahnte zur "nationalen Geschlossenheit" im Lande und zur "Aufrechterhaltung der Ordnung". So bezeichnete Verteidigungsminister José Florencio Guzm‡n die Reaktion der Militärs als "verständlich" angesichts der "schmerzlichen" Situation und betonte das gute Verhältnis zwischen der Regierung und den Militärs. Vorsichtshalber berief man aber schon einmal eine Krisensitzung des Rates für Nationale Sicherheit ein. Nach vier Stunden Sitzung wollten die Militärs und Politiker zwar nicht verraten, worüber man genau gesprochen habe. Aber Marinechef Jorge Arancibia Reyes zeigte sich relativ zufrieden.

Und immerhin hat der Ex-Diktator Pinochet nun auch seine eigene Menschenrechtsbewegung: RN und UDI gründeten aus Enttäuschung über den fehlenden Einsatz der Regierung für den alten General eine "Bewegung für Demokratie und Frieden".