Hoffen auf die Weihnachtsferien

Angesichts der starken Proteste gegen die Bildungsreform spielt die griechische Regierung auf Zeit

"Er kommt nicht durch!" Diese Parole lief in den vergangenen Wochen durch alle größeren Städte Griechenlands. Gemeint ist der Bildungsminister Gerasimos Arsenis und das im Sommer 1997 verabschiedete Gesetz 2 525/97 zur Bildungsreform. Seit Oktober versuchen SchülerInnen in ganz Griechenland, mit Schulbesetzungen, Demonstrationen, Straßenblockaden und Happenings das "Gesetz Arsenis" zu kippen.

Die sozialdemokratische Regierung unter Kostas Simitis hofft auf die Weihnachtsferien und die Auflösung der Besetzungen. Damit wäre der Widerstand geknackt. Rund 800 der Oberstufengymnasien des Landes - also mehr als zwei Drittel - sind besetzt, insgesamt sind über 1 000 Schulen in der Hand der SchülerInnen.

Am Mittwoch vergangener Woche fanden in 44 Städten Demonstrationen statt - eine erneute Ausweitung des Konflikts. Rund 20 000 Menschen waren in Athen auf der Straße, mehr als 5 000 in Volos, Patras, Thessaloniki, Larissa und auf Kreta. Es waren die größten Demonstrationen in Griechenland seit dem Winter 1990/91, als ebenfalls die SchülerInnen gegen die damalige Schulreform protestierten und sie zu Fall brachten. Unterstützt wurden die SchülerInnen am Mittwoch von der Lehrergewerkschaft OLME mit einem 24stündigen Streik sowie von Studierenden verschiedener Fakultäten, die ihrerseits vor mehr als einer Woche mit der Besetzung der Universitäten begonnen hatten.

Mit der Zuspitzung des Konflikts hat sich vorerst der undogmatische und radikale Teil in der Bewegung durchgesetzt. Ende November hatte die KNE, die Jugendorganisation der KP Griechenlands (KKE), zur Beendigung der Besetzungen aufgerufen. Die von ihr dominierten "Schüler-Koordinierungskomitees" hatten statt dessen eine "Befragung zur Reform" an den Schulen angekündigt. Die KKE hatte die begründete Befürchtung, die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren. Teile einer Demonstration in Athen hatten am 27. November mit Molotow-Cocktails das Parlament und die Polizei angegriffen. Fast zeitgleich war ein Brandanschlag auf ein Büro von Justizminister Evangelos Jannopoulos erfolgt.

In Athen, Thessaloniki und anderen Städten bildeten sich daraufhin "Schülerinitiativen", die eine Fortsetzung und Ausweitung der Besetzungen wollen. Bisher verfügte allein die KNE als einzige der an der Bewegung beteiligten Jugendorganisationen über landesweite Strukturen. Nachdem am vergangenen Mittwoch wiederum in Athen im Anschluß an die Demonstration eine Straßenschlacht zwischen Jugendlichen und der Polizei stattgefunden hatte, kam von der KNE zumindest kein erneuter Aufruf, die Besetzungen zu beenden. Die Jugendlichen hatten auf der Demonstration Luxus- und Diplomatenfahrzeuge angezündet, die Polizei mit Steinen angegriffen und mehrere Geschäfte "entglast".

Die beiden rivalisierenden Fraktionen der Bewegung fordern die Rücknahme der Reform sowie die Einstellung von weiteren Lehrkräften. Hauptangriffspunkt sind die zahlreichen Prüfungen, die vorgesehen sind - bis zu 90 in zwei Oberstufenjahren, wenn man die Aufnahme an die Universität schaffen will. Bislang ging es bei einer landesweiten Aufnahmeprüfung am Ende der Oberstufe darum, in den Hauptfächern zu bestehen. Wer dabei durchfiel, hatte im darauffolgenden Jahr eine neue Chance.

Nach der neuen Regelung müssen eine Vielzahl von Prüfungen in den bis zu 26 Fächern abgelegt werden; die landesweite Prüfung am Ende soll nur noch eine Möglichkeit sein, das Ergebnis zu korrigieren. Es soll also ähnlich wie in Deutschland die Leistung in der gesamten Oberstufe über die Berechtigung zum Universitätszugang entscheiden.

In Griechenland wird das weitgehend schematisierte Prüfungswissen aber nicht in der Schule, sondern an den Nachmittagen in den frontistirias (Privatschulen) vermittelt, auf die etwa 80 Prozent der SchülerInnen angewiesen sind. Zu den 30 Schulwochenstunden kommen so noch weitere 20 Nachhilfestunden hinzu. Der Universitätszugang wird damit vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Jetzt schon bieten die frontistirias passend zur neuen Bildungsreform neue und teurere "Prüfungspakete" an.

Die SchülerInnen wollen bis zur Änderung des Gesetzes weiter protestieren. Sie haben für diese Woche Straßenblockaden in den Zentren der Großstädte und einen Protesttag für den 15. Dezember angekündigt, den die OLME mit einem 24stündigen Streik begleiten will.

Doch die Regierung zeigt sich entschlossen, nicht zurückzuweichen. Nach einem anderthalbstündigen Krisentreffen zwischen Arsenis und Simitis erklärte der Bildungsminister vergangene Woche, daß er nicht über die "Inhalte der Reform" verhandeln werde. Dennoch wolle er mit der OLME über die "Umsetzung der Reform" reden. Vertreter der konservativen Nea Demokratia, von KKE, Linksallianz und der linksnationalistischen Pasok-Abspaltung Dikki verlangen die Verschiebung der Reform und einen Dialog über die Bildung.

Wie der Dialog nach dem Verständnis der Regierung aussieht, erfuhren Anfang vergangener Woche Eltern in Piräus. Ihnen wurde von Regierungsvertretern "empfohlen", auf ihre Kinder einzuwirken, da sie ansonsten "mit ihrem Besitz für auftretende Schäden an den Schulen" haften müßten. Zugleich mußten 200 Schuldirektoren zum Rapport bei Bildungsminister Arsenis erscheinen und erklären, was sie gegen die Besetzungen unternommen haben.