Rasseln gegen Deutschland

Vor 20 Jahren wollte das Russell-Tribunal über die Menschenrechte in der Bundesrepublik richten

"Ein Jahr lang wurde mein Telefon belauscht - und nicht nur mein Telefon zu Hause, sondern überall dort, wo ich mich länger als ein oder zwei Tage aufhielt, war der Verfassungsschutz immer dabei. Ein Jahr lang wurde ich auch rund um die Uhr observiert. Manchmal habe ich an manchen Tagen sechs bis acht Wagen hinter mir beobachtet. Zweimal war ich wegen dieses Vorwurfs in Haft. Einmal drei Wochen in der berühmten Isolationshaft in Ossendorf." Das ist nicht das Lamento eines DDR-Dissidenten, sondern der Erlebnisbericht des westdeutschen Journalisten Hans-Georg Faust. Er war ins Visier des Staatsschutzes geraten, weil er die illegale Abhöraktion in der Wohnung des Atomphysikers Klaus Traube publik gemacht haben soll.

Ein Forum für seinen Vortrag bot ihm das 3. Internationale Russell-Tribunal, das sich im Januar 1979 in Köln zu seiner zweiten Sitzungsperiode traf. Die erste Konferenzwoche war im Mai 1978 in Frankfurt/Main über die Bühne gegangen.

Vor zwanzig Jahren sorgte das Tribunal für beträchtlichen innenpolitischen Wirbel - und innerlinken Zwist. Die Idee für das Tribunal war zu Pfingsten 1976 auf dem legendären Antirepressionskongreß des Sozialistischen Büros entstanden. Diese kleine Strömung der unabhängigen Linken hatte sich jenseits von K-Gruppen-Dogmatik und sozialdemokratischer Realpolitik positioniert.

Mit Berufsverboten und polizeilicher Aufrüstung sowie dem Abbau von politischen Grundrechten hatte der SPD-Staat in den siebziger Jahren Flagge ge-zeigt. Kritik daran wurde vor allem im europäischen Ausland laut.

Vor diesem Hintergrund entschied die Londoner Russell Peace Foundation, die Situation der Menschenrechte in der BRD unter die Lupe nehmen. Das erste Russell-Tribunal hatte den Krieg der USA in Vietnam behandelt, das zweite war über die Militärdiktaturen Lateinamerikas zu Gericht gesessen. Namensgeber war der britische Mathematiker und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell, dessen Stiftung den Kampf ge-gen Aufrüstung und Menschenrechtver-letzungen unterstützte.

In der 35köpfigen Jury des 3. Tribunals saßen neben den französischen Philosophen Michel Foucault und Jean-Paul Sartre der schwedische Friedensforscher Johan Galtung, die ungarische Philosophin Agnes Heller, der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk, der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer und aus den USA der Einstein-Nachlaß-verwalter Otto Nathan. Im Beirat waren aus der BRD die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, die Professoren Uwe Wesel und Wolf-Dieter Narr sowie Pastor Martin Niemöller vertreten. Jürgen Habermas, der nicht am Tribunal teilnahm, verteidigte es gegen seine Kritiker, die von der Regierung bis zum DGB-Vorstand reichten. Das Tribunal verunglimpfe Deutschland, hieß es unisono.

Auch die Dementis einzelner Jurymitglieder konnten die Angriffe nicht mildern. Das Innenministeriums erwog im September 1977 sogar ein Verbot des Tribunals. Die Pläne blieben jedoch in der Schublade - sie hätten nur weitere Publicity geschaffen. Dafür sorgte dann zu Kongreßbeginn die Junge Union. Unter dem Motto "Hilfs-Russe(ll) raus" marschierten auf einer von ihr angemeldeten Demonstration 150 TeilnehmerInnen durch Köln. Die Demonstration bestand, wie konkret im Mai 1978 schrieb, zu einem Drittel aus "NPD und Mao-Nazis" des KBW, der gelegentlich auch vor solchen Bündnissen nicht zurückschreckte.

Ein großer Teil der westdeutschen Linken ging auf Distanz zum Tribunal. Die DKP verbot ihren vom Berufsverbot betroffenen Mitgliedern sogar die Teilnahme. Sie stieß sich besonders daran, daß die zur Vorbereitung des Tribunals gesammelten Materialien auch Gewerkschaftsausschlüsse von Linksradikalen dokumentierten, die die DKP unterstützt hatte. Auch die K-Gruppen lehnten das "bürgerliche Spektakel" ab. Lediglich der Kommunistische Bund (KB) unterstützte das Tribunal.

Für Zwist zwischen sozialdemokratisch orientierten Jury-Mitgliedern wie Galtung und Vertretern des antiimperialistischen Spektrums sorgte eine Kirchenbesetzung in der Nähe des Tagungsortes. Mit der Aktion wollten die radikalen Linken die Situation der RAF-Gefangenen in den Hochsicherheitstrakten zum Thema machen. Als Kompromiß wurde dann auf dem zweiten Treffen der Einschränkung der VerteidigerInnenrechte und den Haftbedingungen der politischen Gefangenen größerer Raum zugestanden.

Spuren hat das Tribunal kaum hinterlassen. Dennoch zieht Beiratsmitglied Wolf-Dieter Narr zwanzig Jahre später ein positives Resümee: "Obwohl wir die gesamte öffentliche Meinung gegen uns hatten, haben wir einen wichtigen Beitrag im in- und ausländischen Kampf gegen die Berufsverbote geleistet."

Innenminister Otto Schily (SPD) dürfte das heute anders sehen: 1979 noch hatte er das Referat über die Einschränkung der VerteidigerInnenrechte gehalten.