The Fall of the House of Fischer

In der grünen Bundestagsfraktion macht sich Panik breit, auf das Ende der Visionen könnte das Ende der Partei folgen.

Ein Zauberwort geistert durch die Räume der Bonner Grünen-Fraktion: "Profil gewinnen". Profil gewinnen, "unterscheidbar werden" müßten die Grünen, das hört zwei Dutzend Mal, wer mit zwei Dutzend Parlamentariern und Mitarbeitern der grünen Bundestagsfraktion spricht. Der einzige Haken an der Sache: Es sind auch ziemlich genau zwei Dutzend verschiedene Dinge damit gemeint. Die Parlamentarier reagieren auf die hessische Wahlniederlage mit Konfusion, mit Panik, mit der Bekräftigung der eigenen Linie, nicht aber mit dem, was bei den Grünen einst am meisten galt: mit Diskussion. Bis heute hat die grüne Bundestagsfraktion keine Zeit gefunden, über mögliche Konsequenzen aus der Niederlage am 7. Februar zu sprechen.

"Lähmung ist der richtige Ausdruck", kommentiert ein linker Abgeordneter den Zustand seiner Fraktion. Alle wichtigen Entscheidungen würden von einem inner circle getroffen, der sich um den Fraktionssprecher Rezzo Schlauch, die Finanzausschuß-Vorsitzende Christine Scheel, den Wirtschaftspolitiker Oswald Metzger und Matthias Berninger gruppiert habe, der 1994 mit 22 als jüngster Bundestagsabgeordneter aller Zeiten gewählt wurde und sich hauptsächlich mit Bildungspolitik beschäftigt. Heute, so erfährt man aus der Fraktion, fällt Berninger vor allem dadurch auf, daß er "ständig mit irgendwelchen Zettelchen von Joschka Fischer herumwedelt". Es geht das Gerücht, Fischer wolle den jugendlichen Abgeordneten zu seinem Nachfolger aufbauen. Ein erster Schritt dazu könnte es sein, wenn Berninger als Nachfolger des alten Fischer-Weggefährten Tom Koenigs Landessprecher der hessischen Grünen wird. Wie Schlauch, Scheel und Metzger zählt Berninger zum rechten Flügel der Bundestagsfraktion; in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik unterscheidet er sich wie sie häufig keinen Deut von der FDP.

Doch seit sich Fischer, einst Zuchtmeister und Einpeitscher der Bundestagsgrünen, verabschiedet hat, um seine Tage in exotischen Ländern, seine Nächte im Flugzeug zu verbringen, fehlt auch denjenigen grünen Parlamentariern etwas, die den Ober-Realo noch vor wenigen Monaten am liebsten auf den Mond geschossen hätten. "Integrieren kann Rezzo Schlauch nicht", beklagt sich ein Abgeordneter - um sogleich hinzuzufügen, Kerstin Müller, die zweite Fraktionssprecherin und einstige Hoffnungsträgerin des linken Parteiflügels, könne es aber auch nicht. Daß auch linke Bundestagsabgeordnete, deren größtes Problem es noch vor kurzem war, den eigenen minoritären Positionen Gehör zu verschaffen, jetzt laut nach Integration rufen, zeigt vielleicht am besten, in welch tiefer Krise die Partei steckt. Mit ihrem innerparteilichen Widerpart eint sie die Befürchtung, daß die derzeitige Krise der Partei eine strukturelle, daß Hessen ein Menetekel gewesen und die Grünen schon im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein könnten.

Sicherlich hatte die hessische Wahlniederlage in der Hauptsache landespolitische Gründe: Die Affären um die verschiedenen aufeinander folgenden Umweltministerinnen und Justizminister Rupert von Plottnitz zählen dazu ebenso wie das Versagen der Partei in der Bildungspolitik, an der die Grünen wegen des hohen Anteils von Studenten an der Wählerschaft immer besonders gründlich gemessen werden. Was aber, wenn das nur der Vordergrund war, wenn das Ergebnis des 7. Februar tiefer liegende strukturelle Ursachen hatte? Gerade ihre einstigen Stammwähler, das haben eilends angestellte Untersuchungen ergeben, konnten die Grünen in Hessen nicht mehr mobilisieren. Weil sie auf dem Marsch durch die Institutionen den Kontakt zur Basis verloren haben? Weil sie vor lauter Regierungsfähigkeit zur Politik unfähig geworden sind? So mancher wackere Grünen-Kämpe erinnert sich in diesen Tagen daran, daß Hessen, was die Grünen angeht, häufig der bundesweiten Entwicklung um einige Jahre voraus war.

Und daran, daß die rot-grüne Koalition in Hessen wie die in Schleswig-Holstein und die in Nordrhein-Westfalen mit Zugeständnissen an den übermächtigen Koalitionspartner erkauft werden mußte, die vielen Anhängern der Partei Bauchschmerzen verursachten. Nach den Bonner Niederlagen im Streit um den Atomausstieg und um die doppelte Staatsbürgerschaft und verstärkt seit der Hessen-Wahl kann sich kaum einer des Eindrucks erwehren, daß sich diese Geschichten im Bund wiederholen.

Das Dilemma der Grünen: Es fehlt ihnen noch nicht einmal an programmatischen Positionen, mit denen sie bei der eigenen Klientel punkten könnten. Doch als Regierungspartei werden sie nicht nach ihren Positionen bewertet, sondern nach ihren Taten. Und die haben sie, teils aus eigener Schuld, teils aber auch wegen Schröders Umgang mit dem kleineren Koalitionspartner, praktisch nicht vorzuweisen. Daß Fischer derweil durch alle Welt jettet, hilft da auch nicht viel: Daran ist nichts Grünes; und ohnehin hat sich - Armani sei's gedankt - das Bild des Außenministers von dem der Partei bereits weitgehend abgelöst.

Auf die Frage, ob es in Bonn überhaupt noch ein Politikfeld gebe, auf dem die Grünen ihren sehnlichsten Wunsch, Profil zu gewinnen, umsetzen könnten, erhält man im Bundestag nur skeptisches Kopfschütteln. Von der Smogverordnung ist da die Rede, von Gesundheitspolitik - nicht jedoch von der Haltung zu Militäreinsätzen. Dem Einsatz von Bodentruppen im Kosovo werden einer Schätzung aus der Fraktion zufolge nur sechs bis sieben der 47 Grünen-Abgeordneten nicht zustimmen. Diese Minderheit überlegt lieber, an diesem Punkt die Koalitionsfrage zu stellen und will dafür sogar die Basis mobilisieren. Wenn es die bis dahin noch gibt.