Die Familienpolitik der Rechten soll die patriarchale Kleinfamilie stärken

Vögeln fürs Vaterland

In der völkischen Ideologie spielen die patriarchale Familie und eine rassistisch grundierte Geburtenpolitik eine zentrale Rolle. Einige rechte Parteien in Europa setzen sich daher für eine Politik ein, die für mehr Nachwuchs sorgen und die klassische Familie stärken soll; sie verbinden dies mit einer migrationsfeindlichen Politik.

Ob in Deutschland, Italien oder Ungarn, die europäische Rechte hat Angst vorm Aussterben der Nationen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia etwa betonte in ihrer Antrittsrede im Oktober 2022, dass nur die Förderung der Familie die »demographische Eiszeit« beenden könne, in der Italien gerade stecke.

Die AfD konstatiert in ihrem Europawahlprogramm eine »demographische Katastrophe der westlichen Gesellschaften«, die es aufzuhalten gelte. Und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán spricht schon lange offen vom »Großen Austausch«, bei dem durch sinkende Geburtenraten einerseits und Immigration andererseits die autochthone ungarische Bevölkerung durch Migranten ersetzt werde. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2022 verwendete sogar Valérie Pécresse, die Kandidatin der konservativ-gaullistischen Partei Les Républicains, den Begriff des »Großen Austauschs«, um gegen Migration zu hetzen.

Sinkende Geburtenraten sind länderübergreifend ein zentrales Thema der extremen Rechten. Die AfD will »junge Paare ermutigen und unterstützen, mehrere Kinder zu bekommen«, so steht es im Europawahlprogramm der Partei. Wie das aussehen kann, macht wieder einmal Ungarn vor: Das Land gibt etwa fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Maßnahmen aus, die die Geburtenrate erhöhen sollen. Darunter eine lebenslange Steuerbefreiung für Frauen die vier oder mehr Kinder haben. Es gibt sogar staatseigene Fruchtbarkeitskliniken.

 »Familie ist Keimzelle unserer Nation.« Björn Höcke (AfD)

Rechten geht es allerdings nicht dar­um, dass generell mehr Kinder geboren werden, sondern dass sich eine bestimmte Gruppe wieder verstärkt reproduziert: Gebären sollen aus rechter Sicht heterosexuelle, autochthone (also weiße) Frauen in Partnerschaften mit weißen Männern. Familien bestehen in diesem Weltbild ausschließlich aus Vater, Mutter und (im Idealfall vielen) Kindern.

LGBTIQ-Familien sind den Rechten ein Graus. Auf ihrer Homepage bezeichnet die AfD die sinkende Geburtenrate als »Trend zur Selbstabschaffung«. Das klingt bekannt – Thilo Sarrazin nutze schon 2010 unter dem Titel »Deutschland schafft sich ab« die sinkende Geburtenrate als Anlass für rassistische Theorien. Und bereits 2002 konstatierte der Soziologe Christoph Butterwegge, dass sich kein anderes politisches Lager »so früh und auch so intensiv mit Fragen der Bevölkerungsentwicklung und mit Möglichkeiten der Geburtenförderung ­befasst« habe wie die extreme Rechte.

Rigide Geschlech­terrollen im völkischen Denken

Das liegt zum einen an der wichtigen Stellung, welche rigide Geschlech­terrollen im völkischen Denken einnehmen: Geschlechtervielfalt gibt es darin nicht, Frauen und Männer haben jeweils ihre feststehenden Aufgaben und Pflichten, der Familie wird eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Die Rolle der Frau ist dabei nicht nur jene der Mutter, die dem Volk viele Kinder schenkt, sondern sie hat auch die vermeintliche Volkskultur zu verkörpern. Durchs Gebären manifestiert die Frau ihre Verbundenheit mit dem Volk; im Körper der Frau spiegelt sich der Volkskörper.

Björn Höcke schrieb 2017 auf dem Microblogging-Dienst Twitter: »Familie ist Keimzelle unserer Nation.« Und was an die NSDAP-Losung der Familie als »Keimzelle der Volksgemeinschaft« erinnert, findet in der leicht abgewandelten Version des AfD-Politikers jedoch auch in konservativen oder liberal-nationalistischen Kreisen durchaus Anklang.

Im Nationalsozialismus wurde Reproduktion nach rassischen Kriterien aktiv gefördert. So erhielten etwa Mütter von mindesten vier »deutschblütigen« Kindern das Mutterkreuz und der von der Schutzstaffel (SS) getragene, staatlich geförderte Verein Lebensborn bemühte sich darum, die Geburtenrate der »arischen« Bevöl­kerung zu erhöhen. Die parlamentarische extreme Rechte spricht allerdings heutzutage nicht mehr so unmittelbar vom abzuwendenden »Volkstod«, sondern benutzt Schlagwörter wie »Großer Austausch« oder »Remigration«, um weitere Kreise in die rassistisch-nationalistische Debatte über Demographie einzubeziehen.

Abtreibungen in vielen US-Bundesstaaten fast unmöglich

Die Politikwissenschaftlerin Judith Goetz stellt in einer Studie zur Identitären Bewegung von 2020 fest: »Über die bis heute anhaltende Rede vom demographischen Wandel konnte die extreme Rechte sowohl rassistische Diskurse erneuern als auch ihre Themen in Mainstream-Medien und damit in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte etablieren.« So kommt es dazu, dass beispielsweise der britische Journalist und Befürworter des britischen EU-Austritts, Tim Stanley, in der Tageszeitung The Telegraph ohne jede Ironie schreibt: »Wir müssen so viele Babys wie möglich bekommen, wir müssen uns fortpflanzen.«

Frauen sollen wieder ausschließlich auf die Mutterrolle reduziert werden, inklusive Abhängigkeit von einem männlichen Familienernährer.

Antifeminismus, speziell die Ablehnung reproduktiver Rechte ist eine weitere Gemeinsamkeit rechtsextremen und konservativen Denkens. Hier erscheint der Feminismus als schuld an den sinkenden Geburtenraten. Die Lösung des Problems, die einige rechte Parteien propagieren, ist daher auch eine durch und durch antifeministische. Frauen sollen wieder ausschließlich auf die Mutterrolle reduziert werden, inklusive Abhängigkeit von einem männlichen Familienernährer; Abtreibungsregelungen sollen strenger gefasst oder der Schwangerschaftsabbruch gleich ganz verboten werden.

Bei diesem Thema findet die extreme Rechte inhaltliche Unterstützung bis weit in das bürgerliche Lager hinein. Wohin das führt, lässt sich in den USA beobachten. Seit der Aufhebung des Grundsatzurteils Roe v. Wade im Jahr 2022 sind Abtreibungen in vielen Bundesstaaten de facto nahezu unmöglich, wozu auch die Angst der Ärzte vor Strafverfolgung das Ihre beiträgt. Selbst gewollt Schwangere, die eine Fehlgeburt erleiden, können sich unter bestimmten Umständen in einigen Staaten einer Anklage wegen eines Tötungsdelikts ausgesetzt sehen. In Arizona beschloss das Oberste Gericht des Bundesstaats am 23. April gar, dass ein Gesetz von 1864 wieder in Kraft treten könne, das Abtreibungen komplett verbietet. Auch wenn mittlerweile beide Häuser des Staatsparlaments die Aufhebung des Gesetzes beschlossen haben, könnte das Gesetz für einige Monate – bis die Aufhebung rechtskräftig wird – Anwendung finden.

Die antifeministische Dystopie, wie sie Margaret Atwood bereits 1985 in ihrem Roman »Der Report der Magd« gezeichnet hatte, nimmt trotz solcher kleineren Rückschläge weiter Gestalt an – auch in Europa. So behauptet die AfD in ihrem Europawahlprogramm: »Jeder Mensch ist ab der Befruchtung Mensch.« Diese Vorstellung läuft schlussendlich auf einen Gebärzwang hinaus.