Sorgen mit den Altlasten
Die Arbeitstage des slowakischen Premiers Mikulas Dzurinda und des Außenministers Pavol Hamzik waren in den letzten beiden Wochen wenig erbaulich: Beide Staatsmänner befinden sich auf einer symbolischen Tour d'excuse durch ausländische Staatskanzleien. Im Rahmen einer großangelegten politischen Flurbereinigung gilt es, die Nachbarstaaten und wichtige westliche Partner zu überzeugen, daß mit der Abwahl des Ex-Premiers Vladimir Meciar im vergangenen September auch ein Staatsapparat verschwunden ist, der Paranoia zur Politik erhoben hatte (Jungle World, Nr. 40/98).
Dieses Politik trieb im Fall der Slowakei jahrelang seltsame Blüten: Als wäre der kalte Krieg noch immer in vollem Gange, bespitzelte der slowakische Geheimdienst (SIS) im Auftrag Meciars Journalisten, Politiker und andere mehr oder minder einflußreiche Persönlichkeiten in Österreich, Ungarn, Tschechien, Deutschland und anderen europäischen Staaten. So wurden Handy-Gespräche österreichischer Politiker und Journalisten abgehört, bei Besuchen kritischer Berichterstatter in der Slowakei eskortierten immer wieder nette SIS-Bedienstete.
Doch Meciars Regime benutzte den Geheimdienst nicht nur als Quelle vermeintlich wichtiger Nachrichten, sondern setzte gezielt auf Einschüchterung. Auch der Autor dieser Zeilen war davor nicht gefeit: Während eines Interviews mit einem Oppositionspolitiker platzte ein SIS-Mitarbeiter in den Raum und meinte zynisch: "Auf unserer Liste stehen 92 Journalisten. Jetzt sind es 93." Ab und an verschwanden auch Dokumente aus Hotelzimmern, und bei der Ausreise waren intensive Gepäckdurchsuchungen die Regel.
Spektakulärer verlief die unfreiwillige Ausreise von Michal Kovac junior Ende August 1995. Der Sohn des damaligen Staatspräsidenten Michal Kovac passierte die Grenze nach Österreich im Kofferraum seines Mercedes. Diese Entführung beschäftigt nun auch das slowakische Parlament. Mit den Stimmen der neuen Regierungskoalition wird der Meciar-treue ehemalige Geheimdienst-Chef Ivan Lexa bald seiner parlamentarischen Immunität enthoben und wohl wegen "Kidnappings" vor Gericht gestellt. Schließlich verdichten sich seit dem Zeitraum der Entführung Hinweise auf eine Verwicklung des SIS.
Schon unmittelbar nach der Entführung war klar, daß die Verfrachtung eines prominenten Slowaken wie Michal Kovac jun. über eine Grenze nur mit der freundlichen Mitwirkung höchster Regierungsstellen verwirklicht werden konnte. Auch der Oppositionelle Ladislav Pittner, selbst Innenminister in einer Regierung der Meciar-Ära, stellte einen 23 Seiten starken Untersuchungsbericht zusammen, der detailgetreu die logistische Kette des Kidnappings nachzeichnete. Der Bericht stellte sogar fest, daß Ivan Lexa persönlich per Hubschrauber die Aktion geleitet hatte.
In der vergangenen Woche veröffentlichte der Meciar-kritische Privatsender Radio Twist außerdem einen Mitschnitt eines Telefonates. Da telefonierte offensichtlich Ivan Lexa mit einem seiner Agenten am Tag der Entführung: "Ein silberfarbener Mercedes. Wenn er nicht dasteht, haben ihn schon die Polizisten in Hainburg. Alles Gute." Die Glückwünsche nutzten: Tatsächlich wurde Michal Kovac jun. im Hof der Polizeistation der österreichischen Grenzstadt Hainburg aufgefunden.
Angeblich plante der Geheimdienst die Entführung, um den prominenten Vater von Michal Kovac jun. zu diskreditieren: Der Sprößling war - eher weitläufig - in kriminelle Machenschaften der Firma Technopol verwickelt und wurde von der Münchner Staatsanwaltschaft deshalb gesucht. Doch als slowakischer Staatsbürger durfte er von den slowakischen Behörden nicht ausgeliefert werden. Also mußte ein Weg gefunden werden, um Kivac jun. ins Ausland zu bringen - die Entführung war die einzige Lösung. Daß ein österreichisches Gericht den Mann dann doch nicht haben wollte, weil er Opfer einer Entführung war, sorgte für schwere diplomatische Mißstimmung zwischen Wien und Bratislava.
In der Folge wurde alles versucht, um die Hintergründe des Kidnappings zu vertuschen. Deshalb mußte auch ein Polizist sterben, der allzu intensiv recherchiert hatte. Wenn Ivan Lexa vor Gericht gestellt wird, könnte er also nicht nur wegen Kidnappings, sondern auch wegen Mordes angeklagt werden. Dabei wird er in guter Gesellschaft sein. Auch dem ehemaligen Innenminister Gustav Krajci droht juristisches Ungemach. Er hatte im Mai 1997 ein Referendum über die Direktwahl des Staatspräsidenten verfassungswidrig verhindert und wird bald wegen Amtsmißbrauch angeklagt werden - mehrere Jahre Haft könnten die Folge sein.
Wenn die beiden Meciar-Vasallen Lexa und Krajci einmal ihre gerechte Strafe erhalten haben, ist es wohl das Kalkül der derzeitigen Regierung, sich an die Spitze der ehemaligen Staatsführung heranzutasten. Die nun Regierenden hoffen, Lexa und Krajci zu belastenden Aussagen über ihren früheren Chef Meciar zu bewegen und damit die Schlinge um den ehemaligen Beinahe-Diktator enger zu ziehen. Schwierig könnte die Situation für den psychisch angeschlagenen Ex-Regierungschef auch werden, weil er ausgerechnet zugunsten von Lexa auf sein Abgeordnetenmandat und damit auf seine Immunität verzichtet hatte. Zudem wiegt er sich gerade im Fall der Kovac-Entführung zu sehr in Sicherheit und so sind seine Weisungen an Lexa inzwischen bekannt geworden.
Von der jetzigen Regierung kann Meciar kaum Mitleid erwarten. Fast alle ihre Mitglieder und ihr nahestehenden Personen waren Repressionen ausgesetzt. Rudolf Schuster, nach den Präsidentschaftswahlen im Mai wahrscheinlich nächstes slowakisches Staatsoberhaupt: "Während des Wahlkampfes zu den Parlamentswahlen im September war meine Familie ständigen Drohungen ausgesetzt, und Geheimdienst-Leute verfolgten mich die ganze Zeit", sagte er gegenüber Jungle World. Auch der slowakische Justizminister Jan Carnogursky wagte es in Vergangenheit nur in Begleitung von Leibwächtern, das Haus zu verlassen. Sein engster Mitarbeiter wurde beinahe Opfer eines Anschlages.
Obwohl keiner der Delinquenten Milde zu erwarten hat, versucht die neue slowakische Regierung durchaus glaubwürdig, sich dem Vorwurf zu entziehen, einfach Rache zu üben. Alle Beschuldigten dürfen faire Gerichtsverfahren erwarten, die Methoden der Meciar-Ära sollen sich nicht wiederholen.
Für Vladimir Meciar gibt es sogar einen recht bequemen Ausweg: Mehrmals schon schrammte er wegen seines labilen psychischen Zustandes knapp an der Zurechnungsfähigkeit vorbei. Kurz nach den Wahlen verbrachte er nach Angaben slowakischer Zeitungen einige Tage in der Gummizelle eines Militärkrankenhauses im Kurort Piestany. Vielleicht kann er in einem zu erwartenden Gerichtsverfahren wieder auf seine Leiden verweisen.