Shira Anski und Jossi Berkovich

»Ich kannte Nazis nur aus dem Fernsehen«

Zwölf israelische Journalistinnen und Journalisten sind zehn Tage durch Deutschland gereist. Einen Tag verbrachten sie in der südbrandenburgischen Kleinstadt Greifenhain, um in der dortigen Kirche an einer Diskussion über den "Braunen Alltag in Brandenburg" teilzunehmen. Geladen waren auch Neonazis aus der Region, die in dem rechten Terror an Schulen und auf der Straße nur Alkoholdelikte erkennen mochten. Doch so richtig los ging es erst nach der Diskussionsveranstaltung. Vor der Kirche wurden die Israelis - mehrere von ihnen haben Eltern oder Großeltern in deutschen Vernichtungslagern verloren - von weiteren Neonazis erwartet. Diese fingen auch gleich mit den ortsüblichen Gesprächen an: "Woher kommt denn die Frage mit den sechs Millionen Juden? Die wurde doch von den Juden selbst aufgestellt. Weil sie Kohle einsacken wollen." "Das Mahnmal, das sie da in Berlin bauen wollen, das ist ein Lacher für mich. Ich möchte mal sehen, daß in Israel ein Mahnmal für die Palästinenser steht." Zum Abschied folgte eine Hitlerrede, die aus dem Lautsprecher eines Autos über den Kirchplatz ausgestrahlt wurde. Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt zwar, aber, wie eine Sprecherin mitteilte, "gegen Unbekannt, da wir bislang nur die Vornamen der Jugendlichen kennen". Die Autonummern hatte sich keiner der anwesenden Polizisten notiert. Shira Anski (22) arbeitet als Redakteurin bei dem privaten israelischen Fernsehsender Channel 2; Jossi Berkovich (33) ist Lehrer an der Journalistenschule Koteret in Tel Aviv.

Zehn Tage als Israeli in Deutschland. Wie sahen Ihre Erwartungen vor der Reise nach Deutschland aus?

Anski: Ein neues Land, neue Menschen, mal nach Europa reisen, aber ausgerechnet Deutschland? Viele Bekannte haben mich gefragt, warum es ausgerechnet nach Deutschland gehen muß. Ich habe einfach bis zum Tag vor der Abfahrt gearbeitet und mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht.

Welche Orte haben Sie besucht? Mit welchen Menschen haben Sie gesprochen?

Berkovich: Wir waren in Hamburg und haben die Wehrmachtsausstellung besucht. Ich wußte vorher schon, welche Rolle die deutsche Wehrmacht hatte, und ich kannte auch die Diskussionen darüber. Trotzdem war es gut, die Ausstellung, vor allem aber die Leute, die sich die Ausstellung anschauen, zu sehen. Wir waren auch bei dem deutschen Kulturminister Michael Naumann, haben seine Pressekonferenz besucht und anschließend mit ihm über das Holocaust-Mahnmal diskutiert. Dann der Reichstag, das Haus der Wannsee-Konferenz, jüdisches Leben in Berlin, das Konzentrationslager in Bergen-Belsen.

Anski: In Bergen-Belsen habe ich überhaupt nichts gefühlt. Ich dachte, ich müßte traurig oder entsetzt sein, aber dann war da nur dieser große leere Platz. Man konnte sich nicht vorstellen, was dort passiert ist.

Berkovich: Schließlich hat uns auch noch der Staatssekretär für Erziehung in Brandenburg nach Potsdam eingeladen. Das war, nachdem das in Greifenhain geschehen war. Aber es gab noch viel mehr Gespräche: mit der grünen Partei, mit Angehörigen der Bundeswehr, mit Vertretern der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wir haben dort über das Kosovo und die deutsche Beteiligung am Krieg gesprochen. Nun wird in den Medien alles auf Greifenhain reduziert.

Anski: Das ganze Programm war sehr dicht. Was in Greifenhain geschehen ist, wird mir dennoch immer in Erinnerung bleiben.

Warum haben Sie sich überhaupt darauf eingelassen, nach Greifenhain zu fahren?

Anski: Es war interessant für uns, und wir wollten dorthin. Ich habe niemals zuvor Neonazis gesehen, und dort waren sie dann - Auge in Auge, uns direkt gegenüber. Wir waren die ersten Juden, die sie gesehen haben, ich hatte ein bißchen Angst. Ich wollte auch wissen, wie die Deutschen, die Journalisten, die anderen Leute vor der Kirche auf sie reagieren. Viele Deutsche, die wir getroffen haben, waren sehr feinfühlig uns gegenüber.

Berkovich: Mir war es egal, ob wir dorthin fahren oder nicht. Ich kannte Neonazis zuvor nur aus dem Fernsehen. Wir haben diskutiert, ob es nun nach Greifenhain gehen soll oder nicht. Ich bin schließlich hingefahren, weil ich noch nie Nazis gesehen hatte.

Das klingt, als ob Sie Neonazis gar nicht so ernst nehmen?

Berkovich: Es ist kompliziert. Es sind Nazis, gefährliche Nazis, sie sind gewalttätig gegen alle, die sie hassen. Ich habe mich aber nicht bedroht von ihnen gefühlt, sie konnten mich nicht verletzen. Auf keine Weise. Auch nicht verbal. Mit den Nazis diskutiert habe ich nicht, das bringt nichts. Am Anfang habe ich dabeigestanden, als die Diskussion dann immer erregter wurde, bin ich weggegangen.

Wir wurden vorher informiert über das Nazi-Phänomen, auch darüber, was dagegen unternommen wird - von der Polizei, von den Gerichten, von den Städten, von ihren politischen Gegnern. Aber die Nazis in Deutschland sind nicht mein Problem, sie sind Euer Problem. Ich lebe nicht hier und muß es auch nicht. Ich fahre zurück nach Israel und richte nicht über die Probleme, die es hier gibt.

Anski: Es ist zwar nur eine kleine Gruppe. Aber auch kleine Gruppen können die Geschichte verändern. Ich weiß nicht, wieviele es in Deutschland sind und ob sie genug Macht haben - aber sie sind offensichtlich in der Lage, Menschen einzuschüchtern. Wir haben unter uns viel darüber gesprochen, auch mit Deutschen, daß der Holocaust wieder geschehen kann. Aber es ist für mich schwierig, das richtig einzuschätzen. Ich habe das auch in Interviews für israelische Radio- und Fernsehstationen gesagt.

Wie haben Sie die Situation wahrgenommen? Waren es Nazis, ganz normale Deutsche oder, wie deutsche Medien häufig schreiben, "rebellierende Jugendliche"?

Berkovich: Es waren Nazis. Ganz einfache Nazis. Sie sind nicht so dumm, wie sie erscheinen. Sie reden nicht nur irgendwas daher, sondern haben eine Meinung. Eine gefährliche Meinung. Diese Leute als rebellierende Jugendliche abzutun, ist einfach falsch. Es steht viel mehr dahinter.

Anski: Greifenhain liegt im Osten von Deutschland. Es ist erschreckend zu sehen, daß nach 45 Jahren wieder Nazis da sind. Noch erschreckender aber sind diese Leute, sie sind so jung und blicken nur zurück. Ohne Juden und Ausländer hätten sie kein Feindbild, hätten sie gar nichts - nur ein schwarzes Loch. Sie waren sehr dumm, da ist nichts in ihnen, sie sind keine wahrnehmbaren Individuen.

Von Greifenhain ging es dann nach Berlin. Nach den Neonazis kamen historische Stätten des deutschen Nationalsozialismus, der Reichstag, das Haus der Wannsee-Konferenz. Und das alles am Wochenende der Love-Parade.

Anski: Das war eigenartig. Vor ein paar Tagen stand ich noch am Reichstag und wußte gar nicht so recht, wie ich das einordnen soll. Und am Samstag dann die Love-Parade. Ich wollte als Journalistin unbedingt dorthin, mir das ansehen. Es war pervers. Ich war überrascht von der Ordnung, in der über eine Million Menschen, meistens Deutsche, sich dort bewegen. Ich weiß nicht, es war ein seltsames Gefühl, ich kann es nicht richtig beschreiben. Alle wollten Spaß, und doch war da diese Gleichförmigkeit.

Am meisten überrascht hat mich das Haus der Wannsee-Konferenz. Dort ist das geschehen, was sie "Endlösung der Judenfrage" genannt haben. Nun kommen wir da hin und da steht also dieses Haus, eine kleine, hübsche Villa mit Garten, in einer schönen Umgebung, am See. In diesen Garten ließen sich die Nazis ihren Brandy bringen, sie saßen da und entschieden über die Vernichtung von Millionen Menschen.

Berkovich: Ich war bereits fünfmal in Berlin. Ich habe nach meiner zweiten Reise nach Deutschland eine Radio-Sendung in Israel gemacht. Es ging dabei um die Frage, ob und warum Israelis nach Deuschland reisen - oder warum nicht. Es war sehr kontrovers, einige sehen Deutschland als ein ganz normales europäisches Land an. Bei den meisten überwiegen aber die historischen Erinnerungen. Für mich ist es eine Kombination aus normalem und anormalem ganz alltäglichem Leben.