Fährschiffe statt Nuss-Schalen

Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland: Spanien sucht Arbeitsmigranten für die Landwirtschaft und den Bausektor.

Anfang der sechziger Jahre wurden auf dem Messebahnhof in Köln-Deutz-Tief die ersten Arbeitsmigranten aus Spanien willkommen geheißen, um den Wohlstand im Wirtschaftswunderland zu mehren. Es war der Bahnhof, auf dem zwei Jahrzehnte zuvor noch die Viehwaggons in die nationalsozialistischen Vernichtungslager abfuhren.

Die fleißigen Malocher von der iberischen Halbinsel sind längst zurückgekehrt und genießen ihren "wohlverdienten Ruhestand" - sofern sie nicht schon gestorben sind. Vier Jahrzehnte nach der ersten "Gastarbeiterwelle" in Deutschland bereitet sich jetzt die spanische Regierung darauf vor, MigrantInnen aus drei Kontinenten reguliert ins Land zu lassen, um in den Billiglohnsektoren fehlende Arbeitskräfte zu erhalten.

Der Bausektor boomt, besonders auf den Ferieninseln des Landes und an der Mittelmeerküste. Die Agrarzonen Spaniens haben sich mittlerweile zum Obst- und Gemüsegarten der Europäischen Union entwickelt, auch hier werden BilligarbeiterInnen dringend gesucht. Der spanische Arbeits- und Sozialminister Manuel Pimentel hat in der vergangenen Woche zusammen mit seinem marokkanischen Amtskollegen Khalid Alioua ein Abkommen unterzeichnet, das marokkanischen Arbeitskräften gestattet, für einen Zeitraum von neun Monaten nach Südspanien als Erntehelfer einzureisen.

Grundbedingung: Die "GastarbeiterInnen" müssen jünger als 45 Jahre sein und sich verpflichten, nach Ablauf des Zeitraumes wieder auszureisen - allerdings mit der Option, im darauf folgenden Jahr erneut zum Ernte- bzw. Arbeitseinsatz auf der iberischen Halbinsel antanzen zu dürfen. Treuherzig erklärte Pimentel: "Das ist ein erster, überaus weit reichender Schritt für uns, die wir bis vorgestern selbst Migranten gewesen sind." Und Marokkos Arbeitsminister Alioua bedankte sich, wie es sich für einen Paria im reichen Norden gehört, demutsvoll: "Der Vertrag garantiert die Würde unserer Arbeiter und mildert die Armut, die uns in die Boote zwingt."

In den nächsten Wochen und Monaten, noch bevor die neue Ernte-Saison beginnt, sollen weitere Verträge mit den Regierungen von Ecuador, Kolumbien, Mali, Rumänien und Polen folgen. Damit das derzeitige wirtschaftliche Wachstum anhält, muss sich nach Überlegungen der spanischen Regierung die Zahl der MigrantInnen, die in den letzten fünfzehn Jahren offiziell auf eine Million angestiegen ist, in den nächsten drei Jahren verdoppeln.

Über die Gesamtzahl der MigrantInnen, die der rechtspopulistische Regierungschef José Maria Aznar in den kommenden Jahren ins Land lassen will, hüllt sich die spanische Regierung allerdings in Schweigen. Wie die spanische Tageszeitung El Pa's berichtet, findet derzeit auf Provinz-Ebene eine Bestandsaufnahme über fehlende Arbeitsplätze statt. Erst nach Abschluss der Leerstellenzählung im Bau- und Landwirtschaftssektor sollen Kontingentierungen beschlossen werden.

Ohne die illegalen Dumping-LohnarbeiterInnen, die seit Jahren ins Land einwandern, könnte die Agrar- und Bauindustrie längst nicht mehr funktionieren; denn die Wirtschaft in Spanien boomt seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Die Olivenbaumbesitzer in Jaén, die Erdbeer-Anbauer in Huelva, die Landwirte in Murcia und Almer'a, die Winzer in La Rioja und Navarra, die Obstzüchter in Katalonien und der Provinz Valencia schreien nach preiswerten Erntearbeitern. Im Bausektor steigt der Stellenbedarf derzeit jährlich um 100 000 Arbeitsplätze. Der Präsident der Vereinigung der jungen Landwirte Asaja, Pedro Barato, schätzt die Zahl der fehlenden ArbeiterInnen in ganz Spanien auf etwa 350 000.

Die friedliche Koexistenz zwischen den illegalen Arbeitskräften und den mehrwertschöpfenden spanischen Unternehmern funktionierte bisher reibungslos - nur eben staatlich unreguliert. Waren auf dem spanischen Teil der iberischen Halbinsel vor knapp zehn Jahren noch rund 280 000 MigrantInnen registriert, sind es heute rund 800 000 AusländerInnen, fast eine Verdreifachung innerhalb einer Dekade. Dazu kommen noch jene, die im selben Zeitraum illegal nach Spanien eingewandert sind.

Dass die Migration unaufhaltsam ist, das hat die spanische Regierung in den vergangenen zwei Jahren immer wieder feststellen müssen. Die beiden spanischen Enklaven auf dem nordafrikanischen Festland, Melilla und Ceuta, wurden zwar zu Festungen gegen den Ansturm der maghrebinischen und afrikanischen "sin papeles" ausgebaut - eine Fehlinvestition, genauso wie die Anschaffung hochmoderner Überwachungsgeräte, die die illegale Einwanderung über die Meerenge von Gibraltar stoppen sollen.

"Der Exodus der Dritten Welt gen Westen ist nicht aufzuhalten, weil der Hunger keine Grenzen kennt", gestand der Generaldirektor im Innenministerium, José Ram-n înega, ein, um die Schwäche in Stärke zu verkehren. "Wir müssen uns auf eine Entwicklung einstellen, die schon längst begonnen hat. Wir werden lediglich die Grenzen für die illegale Migration verschließen. Die legal kontrollierte benötigen wir."

Auch José Manuel de las Heras vom Verband der Landwirtschafts- und Viehzüchterorganisationen ist es "leid", unter hohem Risiko illegale "sin papeles" anheuern zu müssen. Angesichts des ungeheuren Bedarfs fordert er: "Die Gastarbeiter sollen nicht mehr bei Nacht und Nebel mit winzigen Fischerbooten zu uns kommen, sondern mit normalen Fähren."

Die anstehende Apfelsinen-Ernte scheint auf jeden Fall gesichert. Und auch Bundesaußenminister Joseph Fischer, der schon Anfang der siebziger Jahr als "Putzgrüppler" in Rüsselsheim ein Herz für Arbeitsmigranten hatte, kann sich beruhigt in seinem Arbeitssessel zurücklehnen: Auch im kommenden Frühjahr werden billige ArmutsmigrantInnen aus dem Maghreb und aus Afrika auf den Feldern Andalusiens Erdbeeren und Südfrüchte ernten und für seinen Vitamin-C-Haushalt sorgen.