Freiwillige Selbstkontrolle

Das Entwicklungsministerium setzt auf weltweite Bevölkerungskontrolle von unten. Den deutschen Exportschlager will es auch auf der Expo präsentieren.

Im Mittelpunkt steht der Mensch. Das wird bei der großen Silvester-Party im Londoner Millennium-Dome so sein und soll auch auf der Expo im kommenden Jahr in Hannover nicht anders sein: Zur Jahrtausend-Wende präsentieren die deutschen Ausstellungsmacher den Menschen als am Anfang einer neuen Epoche stehend - oder, anders ausgedrückt, am Beginn einer Phase seiner intensivierten biotechnischen Verwertung. Die Expo neuen Typs, als die sie ihre Ausrichter gerne bezeichnen, wird im nächsten Sommer die zunehmende Akzeptanz biotechnischer Visionen aufzeigen; mit Humangenetik, Cyber-Wesen, Hirn- und Verhaltensforschung, Genomprojekt und Bioethik ist die gesamte Palette der so genannten life sciences im Ausstellungskonzept zu finden.

Da darf dann auch die andere Seite der modernen Biopolitik, die Bevölkerungspolitik, nicht fehlen. Ganz in der kolonialistischen Tradition, in der die Weltausstellungen seit ihrer Gründung 1851 stehen, weist Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel den Entwicklungsländern neben der »Aufgabe der Armutsbekämpfung« die »Kontrolle des Bevölkerungswachstums« zu - während es den Industrieländern obliege, für die umweltverträgliche Umsetzung des technischen Fortschritts zu sorgen. So avanciert die Geburtenrate im Trikont zum allgemeinen Erklärungshintergrund für die von den Expo-Machern postulierten Menschheitsprobleme. Gerd Schetting, Leiter des Arbeitsstabes Expo 2000 im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), ist das zu wenig: Weil keine konkreten Maßnahmen zur Verlangsamung des Wachstums ergriffen würden, würde »die Chance verpasst, eines der drängendsten Probleme des kommenden Jahrhunderts, seine Auswirkungen auf die Menschheit und die verschiedenen Lösungswege im 'Park der großen Themen' zu visualisieren«.

Um das zu verhindern, trafen sich Ende November Mitarbeiter des BMZ, Mitglieder des Club of Rome und der Vereinten Nationen in Hannover. Von den 88 bevölkerungspolitischen Projekten des Entwicklungsministeriums waren über 30 vertreten. Grundkonsens auf der Auftaktveranstaltung »Bevölkerung und nachhaltige Entwicklung« des Ministeriums zur Expo: Das Bevölkerungswachstum im Trikont ist ein globales Problem.

Einer der Hauptorganisatoren der Hannoveraner Konferenz: die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), die innerhalb der letzten Jahre eine wesentliche Rolle bei der Popularisierung von Bevölkerungspolitik in der Bundesrepublik gespielt hat. Im Kuratorium der 1993 von den Unternehmern Dirk Rossmann und Erhard Schreiber gegründeten Stiftung sitzen u.a. Rita Süssmuth und Ernst Ulrich von Weizsäcker, einer der Befürworter von Bevölkerungskontrolle aus der deutschen Umweltbewegung. Zum »Tag der sechs Milliarden« am 12. Oktober etwa startete die Stiftung gemeinsam mit der Zeitschrift Geo und den CinemaxX-Kinos eine Reihe mit dem Titel »Die Bevölkerung wächst. Die Erde nicht. - Mit 6 Milliarden Menschen ins nächste Jahrtausend«. Effektiver als die meisten deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) schaffte es die DSW, Schnittstellen zwischen Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit zu besetzen. Symposien wie »Weltbevölkerungswachstum - Eine Herausforderung für den Privaten Sektor?« trugen dazu bei, dass die Stiftung 1998 mehr als vier Millionen Mark einnahm.

Das Vorgehen der DSW steht exemplarisch für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Bevölkerungspolitik: Zurückgegriffen wird in der Projekt-Praxis wie auch bei der Analyse auf ein integratives Politikmodell, das auf der Uno-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 vorgestellt wurde - und sich im Kontext bevölkerungspolitischer Diskurse spätestens mit der Folge-Konferenz 1994 in Kairo durchgesetzt hat. So werden nicht mehr bevölkerungspolitische Zwangsmaßnahmen propagiert, auch wenn diese immer noch Bestandteil herrschender Politik sind. Stattdessen betonen die Bevölkerungspolitiker das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Jugendlichen und die Verwirklichung der Menschenrechte. Die Zivilgesellschaft steht Pate - und immer wieder wird hervorgehoben, dass alle Programme auf Freiwilligkeit basieren.

Familienplanung lautet das Stichwort, unter dem diese neuen Konzepte zur Bevölkerungskontrolle heute firmieren. So schmunzelte mancher Teilnehmer schon einmal über den Umstand, dass auf der Tagung nicht mehr von »population«, sondern von »people« geredet wurde. Unbedachte Äußerungen wie die von BMZ-Staatssekretär Hofmann zum Rückgang der Geburtenrate in Thailand - einem der Musterländer für Bevölkerungstheoretiker - bildeten eher die Ausnahme. Hofmann kommentierte die Entwicklung in Thailand mit der Bemerkung, dass diese in einer »Gesellschaft, die keineswegs lustfeindlich ist, wie man diversen Reisekatalogen entnehmen kann«, stattgefunden habe.

Wie bei der Durchsetzung umweltpolitischer Standards vorgemacht, versucht nun auch das BMZ, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen an der Umsetzung seiner bevölkerungspolitischen Programme zu beteiligen. Projekte wie die von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung mitfinanzierte und als Expo-Projekt anerkannte Save Your Generation Association (Syga) in Äthiopien verbinden in diesem Sinne nicht zufällig sexuelle Aufklärung, Aids-Prävention und Lehrstellenbeschaffung. Ziel: Erzeugt werden soll eine Bereitschaft zu selbsttätiger Bevölkerungskontrolle. Unter Ausblendung politischer Interessengegensätze kommt es so zu einer ideologischen Gleichsetzung von Fortschritt und Familienplanung. Geburtenzuwachs wie auch Geburtenabnahme werden zu Teilaspekten des demografischen Übergangs sich industriell entwickelnder Gesellschaften reduziert - gezeichnet als historisch zwangsläufiger Prozess, dem mittels entsprechender Programme nur etwas nachgeholfen werden muss. Dass die materiellen Beiträge zur Durchführung der Projekte nicht so entscheidend sind, wie die Botschaft, die mit ihnen übermittelt wird, zeigt unter anderem die neue Haushaltsplanung des BMZ. Die Mittel für Familienplanung wurden um gut 50 Prozent gekürzt.

Um dem Thema Bevölkerungspolitik auf der Expo dennoch einen größeren Stellenwert einzuräumen, wollen die Konferenz-Teilnehmer bis zum Start der Weltausstellung eine »Hannoveraner Erklärung« formulieren. Die soll dann auf dem zehnten vom Club of Rome veranstalteten Global Dialog als Grundlage der deutschen Bevölkerungspolitiker dienen. Arbeitstitel der Expo-Diskussion: »Which kind of society do we want?« Eine hervorragende Bühne für das BMZ.