Rassismus in Spanien

»Spanien darf nicht Deutschland werden«

Interview mit Mustapha El Mrabet

Fast täglich werden an der spanischen Küste Boote mit illegalen Einwanderern aufgebracht. Wie viele gelangen jährlich auf diese Weise nach Spanien?

Wir schätzen die Zahl auf 30 000 bis 40 000 Menschen. Über die Kanarischen Inseln - eine gefährlichere Route als über die Meerenge von Gibraltar - dürften es noch mal 5 000 sein. Die Distanz zwischen der marokkanischen Küste und den Kanaren beträgt 140 Kilometer, die in der Meerenge von Gibraltar nur 14.

Nach offiziellen Angaben wurden von der spanischen Küstenwache im vorigen Jahr 32 Tote geborgen, 75 Personen wurden als Verschwundene gemeldet.

Nach unseren Schätzungen hat es im vergangenen Jahr tausend Tote gegeben. Wir haben die Zahlen des spanischen Innenministeriums mit den wenigen Informationen aus Marokko verglichen. Dort werden die meisten Leichen angeschwemmt, aber es gibt keine offiziellen Zahlen, weil für die marokkanische Regierung dieses Phänomen nicht existiert.

Was kostet eine Überfahrt?

150 000 bis 350 000 Peseten. Wenn sie in einem kleinen Fischerboot reisen, ist es billiger, aber risikoreicher. Im Sommer steigen die Preise, weil das Wetter besser ist. Mehr Erfolgsaussichten verspricht die Überfahrt in einem Schnellboot, das über ein Satelliten-gestütztes Navigationssystem verfügt. Die Schleusermafia investiert in Hochtechnologie, um die Überfahrt sicherer zu machen. Damit steigt der Preis.

Madrid hat jüngst mit der marokkanischen Regierung einen Vertrag abgeschlossen, nach dem MaghrebinerInnen neun Monate lang in Spanien arbeiten dürfen.

Wir begrüßen den Vertrag, denn er bringt für die MigrantInnen mehr Garantien. Aber zuerst müssen die legalisiert werden, die bereits in Spanien leben. Es gilt, deren Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Unternehmer zu zwingen, die Tarifverträge zu respektieren. Die Gewerkschaften müssen ihre Aktionen auf die ausländischen ArbeiterInnen ausdehnen. Die hier lebenden MigrantInnen brauchen bessere Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen.

Aus Spanien werden in den letzten Monaten immer öfter rassistische Übergriffe gemeldet.

Der gesellschaftliche Rassismus ist für Spanien ein neues Phänomen. Er organisiert sich, und mittlerweile sind es nicht mehr individuelle, sporadische und spontane Vorfälle, sondern kollektive, organisierte Handlungen mit dem klaren Ziel, ArbeitsmigrantInnen anzugreifen und zu vertreiben. Das haben wir in der Nähe von Barcelona in diesem Sommer erlebt. In einem Stadtviertel, in dem viele nordafrikanische Einwanderer leben, haben Spanier Hetzjagden auf sie gemacht. Sie haben versucht, die Immigranten aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Spanien darf sich nicht zu einem Österreich oder Deutschland entwickeln. Die Ausländerquote beträgt in Spanien lediglich 1,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Aber in manchen Städten gibt es wegen der billigen Wohnungen regelrechte Gettos. Hier gibt es immer häufiger Konflikte mit den Alteinwohnern, die gegen die steigende Zahl der ImmigrantInnen protestieren. Dort kann es jeden Moment zu einer Explosion kommen.

Mustapha El Mrabet ist Sprecher der Vereinigung der marokkanischen Einwanderer und Arbeiter in Spanien (Atime)