Erst die Arbeit, dann die Abschiebung

Wer keine Papiere hat, kann lange auf seinen Lohn warten: Deutsche Arbeitgeber sanieren ihre Betriebe auf Kosten von illegalen ImmigrantInnen.

Diesmal hat George F. Glück gehabt: Für seinen letzten Job erhielt er immerhin ein Drittel des ausgemachten Lohnes. Fünf Wochen hatte der Algerier in einem Supermarkt geputzt, aber als er auf den ausstehenden Zahlungen beharrte, setzte ihn sein Chef kurzerhand vor die Tür. Ohne das restliche Geld. Manchmal zahlen ihm die Arbeitgeber auch gar nichts. Doch befürchten müssen sie deshalb wenig, denn George lebt illegal in Deutschland und hat - wenn er nicht riskieren will, abgeschoben zu werden - keine Möglichkeit, seinen Lohn einzuklagen.

Nach Schätzungen von Wohlfahrtsverbänden leben allein in Berlin 100 000 Menschen als Illegale. Sie sind nach den Bestimmungen des Ausländerrechts zur Ausreise verpflichtet - und damit von Abschiebung bedroht. Viele von ihnen sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die vor Abschluss ihres Verfahrens untergetaucht sind, da sie - besonders seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 - keine Chance auf Erfolg ihres Antrags gesehen haben. Jeden, den die Polizei ohne gültige Aufenthaltspapiere antrifft, kann sie sofort in Abschiebehaft nehmen.

Wegen dieser Bedingungen sind Illegalisierte gezwungen, jede Arbeit anzunehmen und für wenige Mark Stundenlohn ohne soziale Absicherung zu arbeiten. Die meisten schlagen sich als Putz- und Küchenhilfen, Babysitter, Bauarbeiter oder Prostituierte durchs Leben.

In einigen Städten existiert ein so genannter Arbeitsstrich, auf dem Anwerber die Illegalisierten ansprechen, um ihnen Gelegenheitsjobs zu vermitteln. Meistens handelt es sich um die Vertreter von Subunternehmen großer Baufirmen, die sich so billige Arbeitskräfte organisieren. Dabei wissen die meisten der Jobber weder, wer der Chef ist, noch wie der Subunternehmer heißt oder wo er wohnt. »Es ist immer so, dass acht von zehn Leuten nicht bezahlt werden, weil die Unterhändler schon wissen, dass diese Leute jede Arbeit annehmen und dass man vor denen keine Angst zu haben braucht«, berichtet etwa der brasilianische Bauarbeiter Geraldo in der vom Erzbistum Berlin herausgegebenen Broschüre »Illegal in Berlin«.

Möglichkeiten, ihre nicht gezahlten Löhne einzufordern, haben die Illegalisierten kaum. Conny Roth, Mitarbeiterin der Zentralen Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa (Zapo) in Berlin beklagt, dass die Gewerkschaften, obwohl sie die Probleme der Illegalen kennen, diese verschweigen. Die Arbeitnehmervertreter würden lediglich mehr Kontrollen auf den Baustellen fordern - was den Arbeitern ohne Papiere wenig hilft. Und Eckart Lauer von der DGB-Rechtsstelle hat auch nur einen Tipp parat, wie Illegale an ausstehende Löhne kommen könnten - wenn es dann auch meist schon zu spät ist: Sie sollten im Abschiebegewahrsam einen Bevollmächtigten beauftragen, der sie dann vor dem Arbeitsgericht vertritt. Bei positivem Ausgang könnte das Geld dann, so der DGB, dem mittlerweile Abgeschobenen hinterhergeschickt werden - falls nicht alles für die Abschiebekosten draufgeht. Allzu häufig dürften sich Flüchtlinge auf einen derartigen Deal nicht einlassen. Auch der Vize-Präsident des Berliner Landesarbeitsgerichtes, Germelmann, hebt hervor, er habe es in seiner bisherigen Praxis nur »sehr selten erlebt«, dass »Illegale« ihre Arbeitgeber verklagten.

Was auch daran liegen könnte, dass die wenigsten Illegalisierten von den rechtlichen Möglichkeiten wissen - oder aus fehlendem Vertrauen in die deutschen Institutionen auf einen Gang zum Gericht verzichten. Dabei haben die Zapo-MitarbeiterInnen die Erfahrung gemacht, dass es durchaus möglich ist zu klagen. In den wenigen bekannten Fällen endeten die Güteverhandlungen mit einem Vergleich - und die Kläger erhielten die Hälfte des Tariflohns zugesprochen.

Was ihnen nach internationalem Recht auch zusteht. Allerdings nahm Deutschland die von der UN-Generalversammlung 1991 verabschiedete Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen nicht an, weil die damalige Bundesregierung sie für »überflüssig und inhaltlich bedenklich« hielt.

Die Arbeitgeber können sich also sicher fühlen. Oft schrecken sie nicht einmal davor zurück, sich selbst anzuzeigen, um die Arbeiter, denen sie noch Geld schulden, loszuwerden. Oliver Köppen, Leiter der Sonderprüfgruppe Bund, die die Regierungsbaustellen in der Hauptstadt kontrolliert, beschreibt die Praxis so: Der Arbeitgeber »lässt sich das Bauvorhaben von 'Illegalen' säubern, weil die zu erwartende Strafe oder Buße weit unter dem liegt, was er an Löhnen zu bezahlen hätte«.

Und die Rechtsanwältin Christine Thomas-Khaled schildert die Geschichte einer Gruppe von Frauen aus der Mongolei, die von einem großen Berliner Hotel angeworben wurden. Am letzten Arbeitstag rief die Hotelleitung einfach bei der Ausländerbehörde an und informierte sie darüber, dass im Hotel Frauen ohne Papiere arbeiten. Daraufhin wurden die Frauen abgeschoben, ohne einen Pfennig gesehen zu haben. Thomas-Khaled: »Die Geschäftsführung des Hotels hat natürlich gesagt, sie hätten nicht gewusst, dass die illegal hier waren, die hätten gefälschte Sachen vorgelegt und daher bräuchten sie nicht zu zahlen.« Der Fall endete wie viele: Die Zeuginnen waren weg und das Verfahren gegen das Hotel wurde eingestellt.