Der Bunker am Schöneberger Sozialpalast

Ein Bunker für Nichts

Gefährliche Orte CV: Ein Gebäude-Monstrum stützt den Schöneberger Sozialpalast - erbaut ab 1943 von ZwangsarbeiterInnen.

Groß, braun und scheußlich steht der Hochbunker an der Pallasstraße in Schöneberg. Umbaut wird seine Hässlichkeit vom »Sozialpalast« - eine Berliner Bausünde der siebziger Jahre, die gleich noch die Straße überdacht. Früher stand hier der Sportpalast, in dem Joseph Goebbels im Februar 1943 keifte: »Wollt ihr den totalen Krieg?« Ein halbes Jahr später begann die Arbeit am Bau des Bunkers, durchgeführt von mehreren Hundert sowjetischen ZwangsarbeiterInnen. Untergebracht wurden sie in der benachbarten Augusta-Oberschule, deren Schülerinnen sich mit der Kinderlandverschickung seit Sommer 1943 in Cottbus aufhielten.

Unter den ZwangsarbeiterInnen war auch Wassilij Derewjanko aus der Ukraine. Der heute 72jährige ist zu Besuch in Berlin und führt, auf einen Stock gestützt, über das Schulgelände und durch den Bunker. Er erzählt, wie er 1943 zusammen mit seinen Eltern und zwei Geschwistern in die deutsche Hauptstadt kam. Aus einem Dorf in der Ost-Ukraine, einer ersten Razzia entkommen, dann aufgegriffen und über verschiedene Lager nach Berlin geschickt. Jeweils zwanzig oder dreißig Leute wurden in den Klassenzimmern der Augusta-Schule untergebracht, ihre Kleidung trug das Abzeichen »Ost«. Jeden Tag mussten sie mindestens zwölf Stunden am Bunker arbeiten. Vier Stockwerke hoch wurde der Bunker, der bis 1945 ein Rohbau blieb. Eigentlich hätte er das Reichsfernmeldeamt aus der Winterfeldtstraße aufnehmen sollen. Oft mussten die ZwangsarbeiterInnen hier nachts Zuflucht vor Bombenangriffen suchen. Später kamen auch Deutsche dazu. Die blieben dann in den unteren, sicheren Stockwerken, während die ZwangsarbeiterInnen in die oberen Räume gehen mussten. Im Februar 1945 wurde die Schule von einer Luftmine getroffen, viele der Internierten kamen ums Leben.

Von den Bombenangriffen und dem großen Hunger im Lager will Derewjanko lieber nicht erzählen. Manchmal ging er zum Nollendorfplatz, um dort Frauen die Koffer zu tragen und so ein wenig Brot oder Geld zu ergattern. Seine Familie überlebte und wurde im April 1945 weggeschickt: Berlin sei umzingelt, sie könnten jetzt gehen.

Der Kontakt zur Augusta-Oberschule, die seit Dezember 1945 Sophie-Scholl-Oberschule heißt, entstand durch einen Brief, mit dem sich Derewjankos Schwester Maria 1994 an die Schule wandte und um eine Bestätigung für die damalige Internierung und Zwangsarbeit bat. Mehrmals sind die Derewjankos mittlerweile nach Berlin gekommen. Weil sie ihre Gastgeber nicht kränken wollen, erzählen sie vorsichtig über die Zeit. Nein, der Meister von Derewjankos Arbeitsgruppe, Alex hieß er, sei ein guter Mann gewesen, habe ihn nie geschlagen. Mit einem Lächeln schließt der alte Mann: »Und so hat Wassilij einen Bunker gebaut, mit dem man heute nichts mehr anzufangen weiß.«

Ganz ungenutzt ist das Gebäude-Monstrum dabei nicht. Nach dem Krieg veranstalteten die Alliierten hier einige Sprengübungen. Ob sie den Bau dabei wirklich loswerden wollten, ist nicht sicher - geschafft haben sie es jedenfalls nicht. Immerhin erhielt die Senatsverwaltung von alliierter Seite den Befehl, den Bunker zum Katastrophenschutzraum auszubauen. 5 000 Menschen sollen hier unterkommen können. Anfang der neunziger Jahre wurde die Ausrüstung für ein Notkrankenhaus eingelagert. In den unteren Räumen stapeln sich Kartons mit Saugdrainagen von 1968 oder »Nachthemden mit Rückenverschluss« von 1983. Im obersten Stock stehen heute über hundert blassgelbe Krankenhausbetten, mit Folien abgedeckt, in Reih und Glied. Die Bundeswehr hat sie nach dem letzten Oder-Hochwasser abgestellt - in den Räumen, in denen 1945 die letzten LagerinsassInnen von Rotarmisten befreit wurden.

Allein aus der Ukraine brachten die Deutschen über 2,4 Millionen Menschen zur Zwangsarbeit nach West-Europa, mehr als die Hälfte waren Frauen zwischen 17 und 22 Jahren. Ab 1943 wurden dann fast ausschließlich Familien deportiert. Rund tausend kleine, mittlere und große Unternehmen beschäftigten ZwangsarbeiterInnen in Berlin. Im Bezirk Lichtenberg hat das dortige Heimatmuseum jetzt zwanzig Familienlager ausfindig gemacht. Ganze fünf Gedenktafeln für solche ZwangsarbeiterInnenlager gibt es in Berlin, eine davon hängt in der Sophie-Scholl-Oberschule.

Die Bestätigung über die geleistete Zwangsarbeit haben Wassilij Derewjanko und seine Schwester Maria inzwischen erhalten. Damit konnten sie sich an die ukrainische Stiftung »Verständigung und Versöhnung« wenden. Die Stiftung wurde 1994 gegründet, nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl dem russischen Präsidenten Boris Jelzin eine Milliarde Mark für russische, weißrussische und ukrainische »besondere Härtefälle« unter den NS-Opfern zugesagt hatte. Zwar ist das Geld in den Ländern angekommen - bei den Diskussionen um die Entschädigungszahlungen an ZwangsarbeiterInnen forderte die deutsche Wirtschaft zunächst die Anrechnung dieser Summe -, die Betroffenen haben davon aber wenig gesehen. Die ukrainische Stiftung ist dafür bekannt, die AntragstellerInnen abzuschrecken. Die alten Menschen werden unfreundlich behandelt, wie Derewjankos Nichte Tatjana berichtet. Ständig sind neue Papiere nötig, in beglaubigter Übersetzung, die Zahlungen werden hinausgezögert.

Erst seit 1990 wird in der Ukraine offener über Zwangsarbeit gesprochen. Davor schwiegen die Menschen, um nicht der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt zu werden. Direkt nach dem Krieg mussten viele der RückkehrerInnen Strafarbeit verrichten. Heute sind Derewjanko und seine Schwestern Kriegsveteranen gleichgestellt, erhalten eine Rente (umgerechnet 30 Mark im Monat) und Ermäßigungen auf Stromrechnungen oder Busfahrkarten. Aus den Medien erfahren sie, dass vielleicht noch mal Geld aus Deutschland kommt.

Aber selbst wenn in absehbarer Zeit endlich gezahlt würde , ist nicht sicher, dass auch die Derewjankos etwas erhalten. Denn die Verteilung sollen die Stiftungen vor Ort übernehmen, in der Ukraine also die Stiftung »Verständigung und Versöhnung«. Auch um die Dokumentenbeschaffung will sich keine deutsche Stelle kümmern. »Die Arbeit bleibt an kleinen ehrenamtlichen Vereinen hängen«, klagt die Historikerin Uta Gerlant vom Förderkreis Memorial. Selbst der internationale Suchdienst aus Bad Arolsen gibt nur Auskunft über Deportierte, die in den eigenen Akten bereits verzeichnet sind - weitergehende Recherchen werden nicht angestellt.

Gebaut wurde der Bunker in der Pallasstraße unter Aufsicht der Firma Philipp Holzmann. Als Bodo Förster, Lehrer an der Sophie-Scholl-Schule, für seine »neuen Freunde aus der Ukraine« dort anfragte, wurde er zunächst abgewiesen. Später kam es zu einem Gespräch, und der Konzern hat gespendet - 1 000 Mark. Förster sieht das ganz positiv: »Tausend Mark sind zur Zeit sehr viel für Philipp Holzmann. Und es war bestimmt nicht die letzte Spende.«