Sterne abgestreift

Deutschland zeigt sich zunehmend ambitioniert, Europa von der US-amerikanischen Vorherrschaft zu befreien.

Wenn der US-amerikanische Präsident William Clinton am Donnerstag in Aachen den Internationalen Karlspreis entgegennimmt, werden die Laudatoren sicherlich mit Lob nicht geizen. Die Auszeichnung wird für Verdienste um die europäische Einigung vergeben, und die Verleihung wurde bereits vorab damit begründet, zu Clintons Verdiensten um die europäische Einigung zähle auch die Entsendung amerikanischer Bomberflotten in den Luftraum über Belgrad und Pristina.

Das Aachener Karlspreis-Direktorium, das im Wesentlichen aus einem Kreis lokaler Würdenträger besteht, trotzt mit dieser Begründung eher unabsichtlich als mutig dem seit ein paar Wochen aktuellen Trend des US-Bashing. Die Debatte läuft unter dem Titel: »Wieviel Amerika brauchen wir?« Richard Holbrooke, Uno-Botschafter der USA, bezeichnete die »Krise der atlantischen Beziehungen« jetzt in der Zeit als »eines der großen Langweilerthemen«, mit denen sich seit Jahrzehnten »Politikfreaks auf Konferenzen« vergnügen würden. »Es macht ihnen geradezu berufsmäßige Freude, etwas anzuzweifeln, was in Wahrheit die stärkste und stabilste strategische Beziehung in der Weltgeschichte ist.«

Dass Holbrooke, der nach einem Wahlsieg Al Gores wohl der nächste US-Außenminister würde, ausgerechnet jetzt auf die Frage nach dem Zustand des europäisch-amerikanischen Verhältnisses etwas unwirsch reagiert, hat allerdings handfeste Hintergründe. Zum einen ist die schiere Anzahl transatlantischer Meinungsverschiedenheiten in letzter Zeit aus dem Ruder gelaufen: Die Zeit nennt in einer Adhoc-Aufzählung »Raketenabwehr, Hormonfleisch, Bananenordnungen, Iran-Sanktionen«. Weitere kommen hinzu. Im Rückblick auf die Auseinandersetzungen um die gescheiterte Kandidatur des Deutschen Caio Koch-Weser für den Chefposten beim Internationalen Währungsfonds etwa äußerte Bundesfinanzminister Hans Eichel: »Man darf sich schon fragen, ob es nur einen amerikanischen Blick auf die Welt gibt oder auch einen europäischen.« Die Frankfurter Allgemeine interpretierte das »Fiasko« um den deutschen Kandidaten säuerlich als »Anschauungsmaterial über die Verteilung der Macht im transatlantischen Verhältnis« und fügte hinzu: »Dabei bediente sich die Regierung Clinton auch der persönlichen Verunglimpfung; das ist neu.«

Über eine besonders schlimme Beleidigung aus Washington hatte vor ein paar Wochen ebenfalls die FAZ Klage geführt: »Unschön ist auch die Andeutung bei den Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeitern, falls die Deutschen sich weiter sperrten, müsse man noch einmal über (Weltkriegs-)Reparationen sprechen. Diese üble Drohung trifft die Deutschen am wunden Punkt. Aber dass Amerika darauf zielt, das wenigstens sind sie gewöhnt.« Bereits Anfang März war in der Zeit katalogisiert, auf welchen Gebieten die USA den Fortschritt der gesamten Menscheit hemmen: »Abkommen über Klimaschutz, Stopp von Atomtests, Bestrafung von Kriegsverbrechern durch einen internationalen Gerichtshof (...), Todesstrafe, Kinder hinter Gittern: Europa protestiert, Amerika verbittet sich Kritik.«

Vor zwei Wochen wurde dann auch noch eine kleine Panzerkrise publik: Die bankrotte spanische Staatsfirma Santa Bárbara, die in Lizenz den deutschen Leopard-Panzer bauen durfte, wurde an den US-Rüstungskonzern General Dynamics verkauft, statt an die ebenfalls stark interessierten deutschen Unternehmen Krauss-Maffei/Rheinmetall. Unter Berufung auf deutsche Politiker und Diplomaten schrieb die FAZ von einem »Verrat« an der »vereinbarten europäischen Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie«. Die US-Firma habe »offensichtlich« schon »seit langem« versucht, in die »europäische Rüstungsproduktion einzudringen«. Ebenso unappetitlich sei aber das Verhalten der Spanier: »Die Regierung Aznar hat das unermüdliche Eintreten Deutschlands für einen Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft offensichtlich vergessen.« Statt die Beziehungen zu Berlin und Paris zu intensivieren, scheine »sich die spanische Regierung eher eine neue Achse Madrid-London zu wünschen, von der aus immer ein Auge nach Washington gerichtet wäre«.

Die streng strategische Ausdeutung dieser Episode macht beispielhaft deutlich, dass die Europäer die transatlantischen Beziehungen gerne in ein neues Koordinatensystem einpassen wollen. Seit der Einführung des Euro und nach den ersten - von den USA misstrauisch beäugten - Schritten in eine von der Nato unabhängige gemeinsame EU-Außen- und Militärpolitik zeigen deutsche und andere europäische Politiker neues Selbstbewusstsein: Als Wirtschaftsgigant könne die EU jeder Konkurrenz trotzen, Krisen auf dem eigenen Kontinent werde man künftig selbst regeln. Für amerikanisches Befremden über solch vollmundige Äußerungen hat Außenminister Joseph Fischer Verständnis: »Das ist ähnlich ambivalent, wie Eltern auf das Erwachsenwerden von Kindern reagieren: Auf der einen Seite ist man froh, auf der anderen Seite aber auch voller Sorgen, ob alles gut geht.« Ein Kommentar der FAZ bringt die Ambivalenz ohne Psychologie auf den Punkt: »Die europäische Einigung wird immer in einem Spannungsverhältnis zu den Vereinigten Staaten bleiben, weil sie zwangsläufig das Kräftegleichgewicht verändert.«

Etwas lächerlich wirken die diplomatisch motivierten Versuche, angesichts der wachsenden transatlantischen Rivalitäten über einen möglichen - allerdings von niemanden in Aussicht gestellten - Isolationismus der USA zu debattieren. Jürgen Chrobog, Deutscher Botschafter in Washington, beruhigte vorletzte Woche in der Zeit: »Amerika bleibt an Europa interessiert. Europa ist im Bewusstsein der amerikanischen Eliten - trotz der gewachsenen Bedeutung Asiens - unverändert das vorrangige Feld des eigenen außenpolitischen Engagements.« Genau das ist es ja, was europäische Staatsmänner und Strategen so unsäglich nervt. Bereits im März war in der Titelgeschichte der Zeit zu lesen: »Amerika mischt sich im Großen wie im Klitzekleinen ein.« Washington wolle den Europäern sogar vorschreiben, »welche neuen Mitglieder sie in die Union aufnehmen sollen«.

Noch lächerlicher allerdings klingen die Stimmen von links, die in der imperialen Konkurrenz zwischen EU und USA entschlossen Partei ergreifen. Emphatische Plädoyers zu Gunsten einer - frei halluzinierten - »Zivilmacht« Europa sind nicht nur immer wieder aus den Reihen der Friedensforscher zu vernehmen. Im Freitag schrieb der notorische US-Kritiker Torsten Wöhlert unter dem - in diesem Zusammenhang schon fast perfiden - Titel »Europa als Gegenmacht»: »Wer eine multipolare Welt amerikanischer Hegemonie vorzieht, wird dafür sorgen müssen, dass sich alternative Machtzentren entwickeln, die im Wettbewerb mit den USA bestehen können. Die Weltmacht Europa darf damit auch für eine europäische Linke kein Tabu sein.« Angesichts der aktuellen europäischen Rüstungsbemühungen von einer »Militarisierung der EU« zu sprechen, sei »reichlich übertrieben. Die Europäische Union bleibt eine Zivilmacht, daran ändern auch ein paar tausend Mann gemeinsame Truppen nichts.« Wenn Rudolf Scharping das erfährt, wird er vor Freude weinen.