Österreichs Regierung und die Gewerkschaften

Partnertausch ringsum

Mit sozialen Einschnitten und dem Versuch, die Arbeiterkammern zu gängeln, hat sich Österreichs Rechtsregierung die Gewerkschaften zum Feind gemacht.

Harmonie geht über alles - das war in Österreich zumindest lange Zeit so. Die einvernehmliche Machtteilung zwischen Österreichs Christ- und Sozialdemokraten fand über Jahre ihre Entsprechung in einer Sozialpartnerschaft, die gesellschaftliche Konflikte schon im Ansatz erstickte. Dann kam die Krise, und sie kam zuerst bei den sozialpartnerschaftlichen Arbeiterräten: Seit 1993 geriet die Sozialpartnerschaft unter Druck; einen immer größeren Teil der Lohnabhängigen verlor die Sozialdemokratie an die FPÖ, die jetzt gemeinsam mit der ÖVP die sozialen Errungenschaften der österreichischen Arbeiterbewegung frontal angreift.

Nach der Auflösung der realsozialistischen Staaten war auch der Einfluss der österreichischen Sozialdemokraten geschrumpft. Davon profitierte nicht die finanzstarke KPÖ, sondern vor allem die faschistische Freiheitliche Partei Österreichs. Die FPÖ bezeichnet sich selbst als Arbeiterpartei, und nach ihrem Wahlsieg am 3. Oktober 1999 schloss sich die Presse diesem Urteil an, weil diverse Wahlanalysen feststellten, dass die FPÖ von fast jedem zweiten Arbeiter gewählt worden war. In ihrem Programm bezeichnet sich die FPÖ als »Anwalt der Erwerbstätigen im nichtgeschützten Bereich«. Der »geschützte Bereich«, das ist in der FPÖ-Sprache der verachtete Öffentliche Dienst, »die staatlichen Unternehmungen«, welche durch einen schlanken Staat und »eine echte Privatisierung« reduziert werden sollen.

Selbstverständlich unterlässt es die FPÖ nicht, auch ihrem angeblichen Einstehen für die Arbeiterschaft eine rassistische Wendung zu geben: »Österreich«, hält das Partei-Programm eindrücklich fest, »ist kein Einwanderungsland. Der Lohndruck und die Teuerung auf dem Wohnungsmarkt, die sich aus der unkontrollierten Einwanderung ergeben, stellen eine Verzerrung des Arbeits- und des Wohnungsmarktes dar, die den sozialen Frieden gefährden.«

Doch solche Parolen - die natürlich auch unter der Arbeiterschaft auf große Zustimmung stoßen - sind auch schon alles, was die FPÖ als Arbeiterpartei kennzeichnet. Keinesfalls ist ihr diese Selbstbezeichnung ein Anlass, auch nur im Entferntesten so etwas wie die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten.

Im Gegenteil: Das neoliberale FPÖ-Programm stellt die meisten Errungenschaften der österreichischen Sozialpartnerschaft in Frage. Ganz offen sprach das Jörg Haider aus, der zum Beginn der Arbeiterkammer-Wahlen, die vom 2. bis 19. Mai stattfanden, die Demontage dieser Gremien forderte, die immerhin ein Bestandteil des österreichischen Verfassungs- und Rechtssystems sind.

Mit seiner Forderung, die Kammer-Umlage bis unter das politische Existenzminimum zu streichen, befindet sich Haider in guter Gesellschaft: Schon unter dem Austrofaschismus waren die Kammern stark gegängelt worden, die Nationalsozialisten zerschlugen sie. Die Arbeiterkammern (AK) sind eine sozialpolitische Kontrollinstanz der Lohnabhängigen, die Arbeitsgerichtsprozesse führt, Stipendien, Schülerbeihilfen, Zinszuschüsse zu Wohnbaudarlehen, Bildungs- und Kulturförderungen erstreitet.

Die Regierungsparteien fordern eine Senkung der AK-Beiträge von 0,5 Prozent auf 0,3 Prozent. Damit würde das Gesamtbudget der Kammern um 40 Prozent gekürzt, das einzelner Länderkammern sogar um 50 Prozent. Die finanzielle Unabhängigkeit der Arbeiterkammern steht auf dem Spiel. Die Senkung der Arbeiterkammer-Umlage zielt eindeutig darauf ab, ein klassisches Instrument der Arbeiterbewegung außer Kraft zu setzen. Nach einem rechtsradikalen Wahlkampf, der von Parolen wie »Gegen die sozialistischen Österreichbeschmutzer. Gegen die sozialistischen Bonzen« geprägt war, wollte die FPÖ nun eine Institution zerschlagen, die den meisten ihrer Zwangsmitglieder als überaus sinnvoll erscheint.

Die Reaktion folgte auf dem Fuß: Erstmals seit langem stimmten Arbeiter und Angestellte wieder für die Sozialdemokraten. Bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung von 50 Prozent gewann die SPÖ durchschnittlich zwei Drittel der Stimmen, während die FPÖ rund ein Drittel verlor. In einer Umfrage des Sora-Instituts gaben 69 Prozent der Wiener AK-Wähler an, sie seien der Meinung, dass die Bundesregierung die Arbeitnehmer zu einseitig belaste. 61 Prozent kritisierten, dass die Regierung die AK in Frage stelle. Eine überwiegende Mehrheit von 89 Prozent erwartet eine Verschlechterung der persönlichen Lage.

Nach den Arbeiterkammer-Wahl gehen die Gewerkschaften zum Angriff auf die Regierung über. Sozialpartnerschaftliches Wohlverhalten ist jetzt nicht mehr nötig. Der eingeschlafene Riese ÖGB hat nach drei Jahrzehnten wieder einen politischen Gegner, gegen den er kämpfen kann. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch wirft der Regierung vor, »die größte Umverteilung von unten nach oben in der Geschichte der Zweiten Republik« zu vollziehen.

Bei der Großdemo vom 19. Februar umfasste der ÖGB-Block nach polizeilichen Schätzungen 60 000 Demonstranten. Am 1. Mai erschienen erstmals seit vielen Jahren die Wiener SP-Gewerkschafter wieder als eigener Block und in unerwarteter Stärke am Rathausplatz. Die Mobilisierung erstreckt sich ebenfalls auf die Betriebe. Im Wiener Siemens-Werk belief sich die Wahlbeteiligung bei den AK-Wahlen auf 90 Prozent.

Der ÖGB ist selbst über seinen Mobilisierungserfolg erstaunt. Dabei dürfte eigentlich niemand überrascht sein: Präsentiert sich die neue Regierung doch mit einem Belastungspaket, das Pensionskürzungen bis zu 20 Prozent vorsieht, bei der Behandlung von Krankheiten eine Selbstbeteiligung von bis zu 20 Prozent verlangt, den Urlaubsanspruch, das Urlaubsgeld sowie das Arbeitslosengeld kürzt und Zwangsarbeit für Langzeit-Arbeitslose vorsieht. Unter dem Strich belastet das neue Regierungspaket die Arbeitenden mit 13 Milliarden Schilling, um das Kapital mit 14 Milliarden Schilling entlasten zu können.

Eigentlich viele Gründe, um auf die Barrikaden zu gehen. Doch dem ÖGB liegt der Klassenkampf nach wie vor fern: Er mobilisiert zwar mehr denn je, fordert aber nichts anderes als die Aufrechterhaltung der Sozialpartnerschaft und des Solidarprinzips. Damit steht er freilich nicht allein: Neuwahlen und der Erhalt der erfolgreichen Sozialpartnerschaft sind eindeutig die inhaltlichen Schwerpunkte der Mobilisierung gegen die Regierungsbeteiligung einer faschistischen Partei.

Die hellsichtigeren Kritiker der aktuellen Situation erkennen freilich unschwer, dass die sozialdemokratische Politik der Nachkriegszeit an der heutigen politischen Situation ihre Mitverantwortung trägt. Gesamtgesellschaftlich ist die Position der SPÖ alles andere als stabil oder gar im Aufschwung begriffen. Von einer Alternative, die sich über die zivilgesellschaftliche Utopie eines »anders Regieren« hinaus abzeichnet, ist weit und breit nichts in Sicht.