Hauptversammlung der IG Farben i.A.

Alles zu seiner Zeit

Die jährliche Hauptversammlung der I.G. Farben in Abwicklung wird wie üblich verlaufen: Konsolidierung vor Abwicklung und Entschädigungen.

Während weite Teile der Öffentlichkeit auf die Entschädigungsverhandlungen starren, zeigen die Überreste des größten Konzerns der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, wie die Reichsmark rollen soll. »Wir haben unser Versprechen gehalten. Die Liquidation des I.G. Farbenkonzerns befindet sich wieder in geordnetem Fahrwasser. Die Finanzen sind konsolidiert«, erklärten die beiden Liquidatoren Otto Bernhardt und Volker Pollehn bereits vor der letzten Hauptversammlung. Auf diesem Weg ist das Unternehmen weiter vorangekommen.

Ein Blick zurück: 1925 änderte die Badische Anilin und Soda Fabrik (BASF) ihren Namen in I.G. Farbenindustrie AG und schloss sich mit fünf anderen führenden deutschen Chemiekonzernen zum damals größten Industrieunternehmen Deutschlands zusammen. Nur wenige Jahre später wurde der Konzern zu einem wichtigen Baustein der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Die wertvollsten Produkte waren synthetisches Benzin und Gummi (Buna), ohne die kein Krieg zu führen war, da es keine natürlichen Vorkommen dieser Rohstoffe in Deutschland gab. Aber die Rolle der I.G. Farben ging weit über die eines durchschnittlichen Kriegsgewinnlers hinaus. In enger Abstimmung mit den NS-Behörden und der SS baute sie ein eigenes Konzentrationslager in Monowitz bei Auschwitz - Auschwitz III. Dort wurden ZwangsarbeiterInnen zum Bau eines Buna-Werks gezwungen, mindestens 30 000 Menschen starben. Zudem sorgte die industrielle Vernichtung fast aller europäischen Juden und Jüdinnen in den Gaskammern der KZ für schwarze Zahlen in den Büchern, denn das Giftgas Zyklon B wurde von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), einer Tochterfirma der I.G. Farben, geliefert.

»Die I.G. Farben ist Deutschlands mächtigstes Industrieunternehmen. Ohne die riesigen Produktionsstätten der I.G. Farben, ohne ihre weitgespannte Forschung, ohne ihre reichliche technische Erfahrung und ohne die wirtschaftliche Macht, die in ihren Händen konzentriert war, wäre Deutschland nicht in der Lage gewesen, im September 1939 seinen Angriffskrieg zu beginnen.« Diesen Schluss zieht das Office of Military Government for Germany in seinem im September 1945 vorgelegten Bericht. Sieger und Besiegte sind sich in dieser Bewertung einig: »Aber erst im Kriege vermochte die deutsche Chemie die große Probe auf ihre Bewährung zu liefern. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass ein moderner Krieg ohne die Ergebnisse, die die deutsche chemische Industrie unter dem Vierjahresplan erzielte, unvorstellbar wäre«, so die Einschätzung Georg von Schnitzlers, der im Zentralausschuss der I.G. Farben saß.

Von August 1947 bis Juli 1948 mussten sich der Konzern und 23 seiner führenden Mitarbeiter vor dem Alliierten Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg verantworten. Erstmals wurde ein Unternehmen wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Es wurden Haftstrafen bis zu acht Jahren ausgesprochen. Anfang 1952 kamen alle Verurteilten vorzeitig wieder frei. Der Konzern, so hatte der Alliierte Kontrollrat bereits 1945 beschlossen, sollte enteignet werden. Dieser Beschluss wurde in der Sowjetischen Besatzungszone auch durchgeführt, in den drei Westzonen kam es dagegen zu so genannten Entflechtungsverhandlungen. Aus diesen Neuordnungs- und Rationalisierungsmaßnahmen gingen die Chemiemultis Bayer, BASF und Hoechst hervor. Jedes der Unternehmen machte bereits nach wenigen Jahren mehr Umsatz als der bisherige Großkonzern.

Im Zuge dieser Entflechtungsmaßnahmen wurde die heute noch bestehende I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung als aktienrechtliche und juristische Nachfolgerin des Konzerns gegründet. Ihre Aufgabe sollte in der möglichst raschen Abwicklung unklarer Vermögensfragen und Auslandsverpflichtungen, der Zahlung von Pensionen an die ehemaligen KZ-Direktoren und der Entschädigung für die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen bestehen. Man setzte Prioritäten: Von 1948 bis 1957 wurden jährlich 30 Millionen Mark für Pensionen an ehemalige leitende Angestellte gezahlt, darunter die Angeklagten des Nürnberger Prozesses.

Ansonsten beschäftigte sich der Rest-Konzern intensiv mit der Rückgewinnung ehemaligen Vermögens in Deutschland oder im europäischen Ausland, nicht jedoch mit seiner Auflösung. Nach dem Wegfall der Blockkonfrontation und der damit verbundenen diplomatischen und juristischen Hindernisse ging man nun daran, sich um verlorenes Ost-Vermögen zu bemühen. Vornehmlich auf die in der SBZ enteigneten Immobilien und Grundstücke, darunter riesige Flächen wie die ehemaligen Buna-Werke, hatte das Unternehmen ein Auge geworfen. »Sprechen wir doch von Auschwitz einmal andersherum. Welche Vermögenswerte haben wir eigentlich in Polen?« fragte ein Aktionär auf der Hauptversammlung (HV) 1991.

1997 war erstmals kein Hotel in Frankfurt bereit, Konferenzräume zu vermieten. Die Durchführung der HV in einem leer stehenden Bürogebäude wurde von zahlreichen Demonstranten beinahe verhindert. Im folgenden Jahr konnte wegen des Raumproblems überhaupt keine HV stattfinden. Dafür kam es zu einem Wechsel im Vorstand der I.G. Farben. Unter den beiden neuen Liquidatoren Pollehn und Bernhardt suchte der bisher äußerst medienscheue Konzern auf zwei Pressekonferenzen 1999 das Licht der Öffentlichkeit und kündigte die Einrichtung einer eigenen Stiftung an, die mit drei Millionen Mark ausgestattet werden sollte. Die jährlich zu erwartende Rendite von etwa 300 000 Mark solle an überlebende ZwangsarbeiterInnen ausgeschüttet werden, so wurde es auf der letzten HV im August 1999 beschlossen.

Schon im Juli desselben Jahres hatten Pollehn und Bernhardt erklärt: »Vielleicht ist es uns möglich, bereits in der ersten Hälfte des kommenden Jahres erste Entschädigungsgelder auszuzahlen. Die von uns angestrebte nachhaltige Liquidierung des Konzerns konnten wir wegen der zahlreichen gegen uns angestrengten und noch zu erwartenden Verfahren allerdings noch nicht erreichen.« Knapp eine Woche vor der diesjährigen HV, die am 23. August in Frankfurt-Bergen stattfindet, erklärte Pollehn gegenüber Jungle World, dass der Stand der Dinge unverändert sei. Zu ersten Auszahlungen werde es im zweiten Halbjahr 2000 kommen, aber nur vielleicht. An Flüssigem mangelt es nicht: Der Geschäftsbericht für das Jahr 1999 weist ein Abwicklungskapital von über 24 Millionen Mark aus. Damit nicht genug, schließlich gibt es noch den so genannten Interhandel-Komplex, in dem das Unternehmen in Abwicklung 4,4 Milliarden Mark von einer Schweizer Bank fordert, da es sich bei der Summe um ehemaliges I.G. Farben-Vermögen handele.

Pollehn freut sich über die wirtschaftliche Gesundung der Töchterunternehmen der IG Farben, wie die Ammoniakwerke Merseburg, die überwiegend Immobiliengeschäfte tätigen. Diese Gewinne seien angesichts der Klagen und befürchteter Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen notwendig. Die bisher immer noch nicht zu Stande gebrachte Entschädigung dient der I.G. Farben wieder und wieder als Begründung, weiter zu existieren. Hatte Bernhardt im Februar 1999 noch von einem Zeitrahmen von drei Jahren für die endgültige Liquidierung gesprochen, spricht Pollehn mittlerweile von drei bis fünf Jahren, womit sicher sein dürfte: Die I.G. Farben wird auch noch die letzten ihrer Opfer überleben.

Überlebende ZwangsarbeiterInnen und Angehörige begannen vor mehr als zehn Jahren den Protest gegen die jährliche Aktionärsversammlung. Einer von ihnen war Hans Frankenthal, der über zwei Jahre für die I.G. Farben in Auschwitz schuften musste.Er trat unermüdlich für das Bündnis gegen I.G. Farben und dessen Forderungen ein: für die endgültige Abwicklung der Nazi-Nachfolgefirma und die Verwendung des Restvermögens für Zahlungen an noch lebende I.G.-Farben-ZwangsarbeiterInnen sowie für eine Gedenkstätte in Monowitz. Bei der letzten Aktionärsversammlung im August 1999 wurde er als Kritischer Aktionär niedergebrüllt und auf Anweisung der Versammlungsleitung von Saalschützern hinausgeworfen. Hans Frankenthal starb im Dezember 1999 nach kurzer schwerer Krankheit.