Kurt Holl, Vorsitzender von Rom e.V.

»Antiziganismus findet sich rechts und links«

Die Ausländerbehörden erhöhen den Druck auf Flüchtlinge aus dem Kosovo: Nach dem angeblichen Ende des Kriegs werden Duldungen widerrufen; täglich finden Abschiebungen statt. Die Angehörigen der im Kosovo heftiger denn je verfolgten Roma-Bevölkerungsgruppe sollten eigentlich davon ausgenommen sein; doch immer wieder werden auch Roma abgeschoben. Dabei spielt ein in Deutschland tief verwurzeltes Ressentiment gegen Sinti und Roma eine große Rolle. Kurt Holl, Vorsitzender von Rom e.V.

Der Uno-Ausschuss zur Bekämpfung Rassischer Diskriminierung hat am Donnerstag letzter Woche einen Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Diskriminierung von Roma verabschiedet. Darin wird den Staaten unter anderem nahe gelegt, das während des Zweiten Weltkriegs an den Roma begangene Unrecht einzugestehen und nach Möglichkeiten für eine Kompensation zu suchen. Hat sich die Bundesregierung bislang an diese Empfehlung gehalten?

Es gab in den sechziger Jahren eine Entschädigung für diejenigen Roma und Sinti, die frühzeitig von den Fristen wussten, aber die wenigsten haben das geschafft. Die Summen, die ausgezahlt wurden, betrugen maximal 5 000 Mark; später wurden aus einem Härtefonds noch einmal 2 000 Mark gezahlt. Dieses Entschädigungsgesetz bezog sich nur auf Leute, die ihren Wohnsitz nach dem Krieg in der Bundesrepublik hatten, und das Geld hat auch nur einen Bruchteil derjenigen erreicht, die Anspruch gehabt hätten.

Haben Roma aus Ost- und Südosteuropa jemals Entschädigungen erhalten?

Die osteuropäischen Staaten haben globale Beträge bekommen mit der Maßgabe, sie an die Verfolgten weiterzugeben - was in den wenigsten Fällen geschehen ist. Erst jetzt können Roma aus diesen Ländern auch Einzel-Anträge stellen.

Wirkte in der Nachkriegszeit noch der Antiziganismus der Nazis nach?

Die Verfolgung der Roma und Sinti durch die Nazis hat ihre Wurzeln bereits in den Zigeuner-Karteien des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Die Nazis haben nur den Schluss daraus gezogen, dass diese Leute »aus dem Volkskörper zu entfernen« sind. Sie haben sehr geschickt das Argument aufgegriffen, dass die Roma von Natur aus kriminell seien. Das passte zu den Vorurteilen, die selbst Nicht-Nationalsozialisten immer gehegt hatten. Diese Vorurteile wurden nach dem Krieg im Grunde weiter tradiert; zumal die Nazis sagten, sie hätten die Roma nur aus kriminalpräventiver Intention aus dem Verkehr gezogen.

Dieses Vorurteil hat sich bis heute gehalten.

Das antiziganistische wie das antisemitische Vorurteil hat in der Geschichte eine Entwicklung durchlaufen. Früher hieß es, Zigeuner würden Kinder klauen. So etwas wird heute nicht mehr unterstellt. Aber wir sind zu interessanten Ergebnissen gekommen, als wir das Stereotyp des Ostjuden in der Weimarer Republik untersuchten.

Dabei stellten wir fest, dass fast alle Eigenschaften, die man damals den Ostjuden zuschrieb, heute ausschließlich den Roma und Sinti zugeschrieben werden: Dass sie sich im Wesentlichen durch Kleinkriminalität ernähren würden, dass sie es mit der Hygiene nicht so genau nähmen, dass sie eine Seuchengefahr darstellten, dass sie Wohnviertel unbewohnbar machen würden, und dergleichen mehr. Dieses Stereotyp des Ostjuden existierte in den Köpfen der Menschen weiter und hat sich wieder materialisiert in der Erscheinung der osteuropäischen Roma-Flüchtlinge. Ich habe selbst erlebt, dass Sinti, die hinter einer Schule campierten, mit dem Argument der Seuchengefahr für deutsche Kinder vertrieben wurden.

In letzter Zeit wurde in mehreren Fällen deutlich, dass diese Form des behördlichen Antiziganismus in Europa weit verbreitet ist. Wie ist das in der Bundesrepublik?

Offiziell würde eine Behörde das niemals so formulieren. Wir merken es aber deutlich an der Intensität, mit der versucht wird, die Roma wieder aus Deutschland zu vertreiben. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Köln hat die Ausländerbehörde jetzt beschlossen, alle Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo ins Asylverfahren zu drängen. An sich sind die Roma aus dem Kosovo oder Südserbien Bürgerkriegsflüchtlinge und müssten eine Duldung bekommen. Im Asylverfahren werden diese Familien umverteilt und müssen damit rechnen, in ostdeutschen Unterkünften zu landen. Davor haben sie natürlich eine Riesenangst nach allem, was man hört über die Angriffe auf Asylbewerber dort.

Der brutale Schläger-Rassismus, der zur Zeit so wortreich bekämpft wird, wird also gleichzeitig instrumentalisiert, um Flüchtlinge zur Ausreise zu bewegen.

Ja. Zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Antiziganismus gehört aber nach wie vor auch der dumpfe Charakter, den man in Leserbriefen mitkriegt. Der zieht sich durch alle Schichten, von gutbürgerlich bis in so genannte soziale Brennpunkte, von rechts bis links, bis hin zu den Grünen und den Kirchen. Selbst unter Studenten lehnen 80 Prozent Roma als Nachbarn ab.

Gibt es Unterschiede im Antiziganismus gegen jene Minderheit der Roma und Sinti, die reisen, und gegen die große Mehrheit, die unauffällig sesshaft lebt?

DerAntiziganismus trifft natürlich in erster Linie Flüchtlinge und ärmere Roma-Familien, die auch in der Kleidung traditioneller auftreten. 95 Prozent der Roma und Sinti haben wegen des Rassismus inzwischen eine derartige Mimikry entwickelt, dass man sie gar nicht mehr erkennt.

Roma aus dem Kosovo haben diese Möglichkeit nicht. Ihre einzige Chance besteht darin, offensiv als Roma aufzutreten und zu sagen: Wir werden als Roma verfolgt.

Was da abläuft, ist besonders zynisch.

Ein Großteil der Roma im Kosovo sind seit Jahrhunderten Muslime und albanisch sozialisiert. Sie sprechen oft kein Romanes, fühlten sich in der albanischen Kultur aufgehoben. Manche wurden sogar zu überzeugten Parteigängern Rugovas. Andere wurden aber auch regelrecht genötigt, sich bei Demos oder Volkszählungen zu einer albanischen Identität zu bekennen, wenn sie nicht Arbeitsplatz, Ausbildung und ihre medizinische Versorgung gefährden wollten. Auch Serben bedienten sich solcher Druckmittel. Die Absicht beider Seiten war, den Prozentsatz im ethnischen Poker hochzutreiben. Als Roma seit Ende der achtziger Jahre in die Bundesrepublik flohen, um nicht völlig zwischen die Fronten zu geraten, gaben sie in vielen Fällen an, was real zutraf: Sie hatten im Kosovo eine albanische Identität. Damals versuchten viele Behörden, sie als Roma zurück zu definieren, um sie leichter abschieben zu können, denn Abschiebestopp gab es nur für Albaner.

Jetzt, wo im Kosovo der große Nato-Frieden herrscht, werden Albaner zur Ausreise aufgefordert. Wenn Flüchtlinge jetzt darauf beharren, dass sie zur Bevölkerungsgruppe der Roma gehören, wird ihnen das als Schutzbehauptung ausgelegt, denn sie hätten sich ja damals selbst als Albaner bezeichnet. Der Abschiebestopp, der offziell für Roma und Aschkali gilt, wird ausgehebelt, indem man die Roma einfach wieder zu Albanern zurückdefiniert. Wer Jude oder Roma ist, definieren deutsche Behörden am liebsten immer noch selbst.

Wie lässt sich die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe überhaupt beweisen?

Unser Verein hat mit seinen Anwälten folgendes Vorgehen entwickelt: Roma, deren Identität von den Behörden bezweifelt wird, legen eine eidesstattliche Versicherung ab, die von zwei Zeugen ebenfalls beeidet wird. Vereinsmitarbeiter bestätigen lediglich den Akt, aber nur dann, wenn der Betreffende Romanes spricht und die im Kosovo gängigen Sitten der Roma kennt. Für Betroffene, die kein Romanes sprechen (Aschkali), ist ein Partnerverein verantwortlich.

Selbst diese Erklärungen werden aber von den Behörden regelmäßig angezweifelt. Da kann man nur sagen: Die albanischen UCK-Leute wissen sehr genau, wer »Madjub« (pejorativ für »Zigeuner«, d. Red.) ist, und fackeln nicht lange, wenn ein angeblicher Albaner in ihr schönes von Roma gesäubertes Haus zurück kommt.

Was tut die Kfor in dieser Situation?

Seit dem Einmarsch der Kfor hat die größte und brutalste Vertreibung von Roma seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden - und die Nato war doch angeblich angetreten, um aus historisch-moralischen Gründen ethnische Säuberungen in Europa ein für allemal zu verhindern. Ist das absurd, ist das verlogen, ist das einfach nur dumm?

Dumm sind vor allem die Ausreden: Die Nato habe nicht genug Leute, das seien Übergriffe Einzelner, das sei eben der Balkan, da sei Rache normal. Dass seit den frühen achtziger Jahren führende Kosovo-Albaner bereits die »ethnische Reinheit« des Kosovo proklamierten, konnte man in allen Zeitungen damals nachlesen. Die Nato ermöglichte es der UCK lediglich, dieses Programm zu realisieren.

Mitte September erscheint zum Thema eine Broschüre des Rom e.V. »650 Jahre Roma-Kultur im Kosovo und ihre Vernichtung«. Zu bestellen bei Rom e.V., Bobstraße 6-8, 50676 Köln, Tel. 0221/242536.