»Zigeunerbilder«

Esmeralda muss tanzen

Wulf D. Hund findet Zigeuner-Stereotype bei Werbern, Intellektuellen und Künstlern, die es wohl gut gemeint, nicht aber gut gemacht haben.

Die Rassisten sind gerührt. Das Opfer von morgen lädt heute zum Tanz. Am Lagerfeuer erklingen die Lieder, die jeden ergreifen. Selbst den ganz harten Kerlen, die eigentlich lieber mit der Eisenstange oder dem Baseballschläger auf Menschenjagd gehen, kommen dann die Tränen - so sieht es zumindest Udo Jürgens: »Spiel, Zigan, spiel, denn so zum Tanzen zwingen und zum Weinen bringen kann ein anderer Klang sie nie.«

Auch Esmeralda muss musikalisch sein. Zusammen mit ihrem Ziegenbock Djali lebt die Tänzerin im Paris des frühen 19. Jahrhunderts. Sie kleidet sich bunt, trägt große Ohrringe, ihre Bluse ist tief ausgeschnitten. Deswegen wird sie verfolgt, da der Stadtrichter Frollo in ihr und den anderen Zigeunern der Stadt eine Gefahr für die Allgemeinheit sieht. Esmeralda wehrt sich, findet Verbündete und siegt am Ende über den Reaktionär Frollo. Damit sie weiter tanzen kann. So will es zumindest die Walt-Disney-Produktion »Der Glöckner von Notre Dame«.

Wer aber viel musiziert und tanzt, hat anschließend Hunger. Zum Glück ist der Grill gut bestückt, die passende »Zigeunersauce« steht schon bereit. Diskriminierung sei das nicht, erklärt die Firma Kraft Jacobs Suchard, im Gegenteil. Man müsse den Produktnamen »Zigeunersauce« positiv begreifen: »Ethnic Food sind Lebens- und Nahrungsmittel, die aus bestimmten Ländern kommen.« Und weiter: »In diesem Sinne entsprechen die Zutaten der Zigeunersauce den traditionellen Essgewohnheiten dieser Bevölkerungsgruppe.«

So würden die Zigeuner wohl immer weiter aufspielen, tanzen und Gegrilltes mit Zigeunersauce essen, wenn sie nicht weiterziehen müssten. Schließlich handelt es sich doch um ein Volk in »Aufbruchstimmung« (Brigitte), und »je mehr Zigeuner sesshaft werden, desto weniger verstehen sie sich aufs Musizieren«, lehrte schon 1976 der Spiegel unter dem Titel »Eingemeindet, ausgefiedelt«.

Diese Zigeunerstereotype hat nun der Soziologe Wulf D. Hund in dem Buch »Zigeunerbilder. Schnittmuster rassistischer Ideologie« gesammelt. Acht Autorinnen und Autoren beschäftigen sich mit verschiedenen Formen der Reproduktion von Stereotypen in Kunst, Politik und Medien. Allen gemeinsam ist, dass sie sich aus dem Kanon rassistischer Vorurteile vor allem jene Stimmen ausgesucht haben, die behaupten, es gut zu meinen, und gegenüber ihrem Objekt wohlwollend auftreten - sei es der mit dem Antirassismus-Label versehene Film »Glöckner von Notre Dame«, die liberale Presseberichterstattung zu einer Protestaktion von Sinti und Roma 1989 in Hamburg oder der von Brigitte präsentierte Gipsy-Look, der die »Romantik wie aus der Schatzkiste« betont.

Es ist diese Romantik, die vor allem die PR-Agenturen hat aufmerksam werden lassen. Wird sie mit werbewirksamen Begriffen wie Freiheit, Mobilität und Nonkonformismus verknüpft, so lässt sich mit ihr die kaufkräftige Zielgruppe der 18- bis 30jährigen ansprechen. Deshalb muss der Zigeuner auch rasch wieder die Feststellbremsen seines Wohnwagens lösen, den Grillrost einpacken und auf die Reise gehen.

Das ist dumm für jene, die an ihrem vor 30 Jahren errichteten Eigenheim die Bremse nicht mehr finden oder die den Einbauherd beim besten Willen nicht aus der Etagenwohnung bekommen. Zu den propagierten freien Zigeunern ohne festen Wohnsitz und ohne ein garantiertes Arbeitsverhältnis hat die überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Sinti und Roma noch nie gehört. Aber wen interessiert schon die so wenig romantische Normalität?

Für Wulf D. Hund zeigt die »gut gemeinte, auf Absatzförderung und nicht auf Imageschädigung zielende Werbung« aber auch, »dass die rassistischen Klischees entlehnte Romantik nicht allein zu haben ist. Sie bildet nur den Teil eines Stereotyps, das neben dem romantischen auch ein ethnisches und ein soziales Element enthält.« Zwar kommt das ethnische Element nicht ohne Versatzstücke der Rassennomenklatur aus, doch wurden naturalistische Zuschreibungen und Konstruktionen längst von kulturalistischen ersetzt.

Dies wird besonders in Mamo Barans Beitrag »Vom Nomadenvolk zur ethnischen Minderheit« deutlich. Der Autor zeichnet anhand schleswig-holsteinischer Landtagsdebatten zur Minderheitenpolitik die kulturelle Rekonstruktion von Zigeunerstereotypen nach. Ein Vertreter des Deutschen Städtetages regt an, »den genauen Weg dieser Familien und Sippen« zu verfolgen, um so eventuell das Sozialhilferecht revidieren zu können. Ein Abgeordneter weiß, dass für »Zigeuner Lesen und Schreiben keine selbstverständliche(n) Kulturtechniken« seien, in den Schulen des Landes gebe es deswegen immer wieder Probleme. Die Polizei registriert indes auffällig gewordene Sinti unter dem Kürzel »HWAO« - »Häufig wechselnder Aufenthaltsort«.

Auch die Verbindung des ethnischen mit dem sozialen Element des Zigeunerstereotyps wird in diesem Kapitel genau analysiert. Ein Abgeordneter versucht die Unterbringung von Sinti und Roma in unbeheizbaren Wohnungen zu rechtfertigen: »Ich habe gehört (...), dass damals mit Ihnen abgesprochen worden sei, so eine Art offene Feuerstelle und keine Heizung vorzusehen. Ist das richtig?« Für einen Sprecher der Sinti und Roma bleibt nur noch festzustellen, »dass man gern mit der Mystik der Zigeuner, mit ihrer eigenen Kultur argumentiert, wenn es darum geht, die Leute irgendwo zu benachteiligen«.

Die drei Elemente des rassistischen Zigeunerstereotyps - das romantische, das ethnische und das soziale - in wechselnden Anordnungen und in unterschiedlichen Bereichen sichtbar gemacht zu haben, ist wohl das größte Verdienst des Buches. Schließlich wird so noch einmal deutlich, dass »sich rassistische Akkorde jederzeit in einer anderen Lage spielen lassen« (Hund). Und Esmeralda muss dazu tanzen.

Wulf D. Hund (Hg.): Zigeunerbilder. Schnittmuster rassistischer Ideologie. Diss, Duisburg 2000, 138 S., DM 18