Tansanias Sozialismus hat sich aufgelöst

Goodbye Ujamaa

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»Socialism and Self-Reliance« war die Parole des Ujamaa-Sozialismus im ostafrikanischen Tansania. Insbesondere der Begriff der »Self-Reliance« hat bis heute überlebt - im Gegensatz zu den nach der Unabhängigkeit 1961 geschaffenen nicht-kapitalistischen Strukturen. Doch die Bedeutung des Begriffs hat sich im politischen Diskurs im Laufe der Zeit grundlegend verändert. Das von Präsident Julius Nyerere, genannt »Mwalimu« (der Lehrer), entwickelte Modell sah vor, das Land durch kommunale Arbeit, soziale Gleichheit und basisdemokratische Strukturen unabhängig - »self reliant« - von den westlichen und östlichen Geberstaaten der Entwicklungshilfe zu machen.

Trotzdem - oder gerade deshalb? - wurde das Land zum Lieblingsprojekt der internationalen Entwicklungshelfer. Mit ihrer Unterstützung schaffte das Land einige im afrikanischen Kontext beispiellose Erfolge. Die Alphabetisierungsquote lag dank kostenloser Grundschulen bei ca. 90 Prozent, die Mehrheit der Bewohner hatte Zugang zu sauberem Wasser, und in jedem der neugegründeten Ujamaa-Dörfer gab es eine Krankenstation, die die Basis-Gesundheitsversorgung sicherstellte.

Doch diese Errungenschaften hatten ihren Preis. Statt der Basisdemokratie entwickelte sich eine bürokratische Schicht, die insbesondere mit der erzwungenen Umsiedlung der Kleinbauern in geschlossene Ortschaften ihre Macht manifestierte. Die kommunale Arbeit wurde hingegen nie verwirklicht. Zu groß war der Widerstand der Bauern, die keinen Sinn darin sahen, die Nahrungsproduktion auf privaten Feldern aufzugeben.

Nyerere wollte mit den Gewinnen aus einer langfristigen Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion eine Industrialisierung des Landes finanzieren. Doch wegen des Absturzes der Weltmarktpreise für Tansanias Export-Produkte und der gleichzeitigen Explosion der Erdölpreise in den siebziger Jahren kam sein Sozialismus-Projekt in die Krise.

Spätestens der kostspielige Krieg gegen Idi Amins Uganda 1979 zerstörte den Staatshaushalt restlos. Anfang der achtziger Jahre gab es in den staatlichen Geschäften nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel zu kaufen. Die Bevölkerung begann, sich selbst zu organisieren. Selbstverteidigungstrupps ersetzten die Polizei, Sparvereine die staatlichen Banken und private Transporteure das staatliche Verkehrswesen. Die Bauern verkauften ihre Überschüsse lieber an semi-legale private Händler als an die staatlichen Aufkäufer, die gar nicht oder verspätet bezahlten. Auch der Außenhandel, eigentlich in staatlichen Agenturen monopolisiert, wurde durch Schmuggel und Korruption »privatisiert«.

Der Staat verlor zusehends seine Legitimation - und die Kontrolle über alle Bereiche des Lebens, die er zu beherrschen suchte. 1980 begannen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über Kredite, von denen auch die weitere Hilfe befreundeteter Staaten abhing. Nyerere weigerte sich, auf die IWF-Forderungen einzugehen: Privatisierung der staatlichen Betriebe, Liberalisierung des Handels und radikale Senkung der Ausgaben für Bildung und Gesundheit. Doch fünf Jahre später räumte Nyerere seinen Präsidentenstuhl für den wirtschaftsliberalen Ali Hassan Mwinyi, der sich schließlich mit dem IWF einigte.

Die Liberalisierung hat inzwischen zu einer sozialen Differenzierung geführt, die der im letzten Jahr gestorbene Nyerere immer verhindern wollte. Während einige Wirtschaftsbereiche boomen, leidet die große Mehrheit der Bevölkerung unter den horrenden Schulgebühren und den hohen Preisen für medizinische Versorgung. »Self-Reliance« steht heute nur noch für das eigenverantwortliche Überleben des Einzelnen.