Joyce Carol Oates' »Zombie«

Zombie, sei mein

American Psycho geht weiter: Joyce Carol Oates hat der Literatur einen weiteren Serienkiller geschenkt.

Der moderne Serienkiller wird als ein typisch US-amerikanisches Phänomen wahrgenommen. Das beruht vor allem auf seiner fiktionalen Repräsentation. Ted Bundy, Jeffrey Dahmer oder John Wayne Gacy lebten und töteten in den USA, und in keinem anderen Land der Welt wurden so viele True-Crime-Reports und Romane über die Serienmorde geschrieben. Auch Dennis Cooper, Ann Rule und Bret Easton Ellis gelangten mit dem Serienkiller-Roman zu einiger Berühmtheit - gute Literatur neben dem unsäglichen Quatsch zum selben Thema, der ansonsten die Verkaufsregale füllt.

Wegen seiner dunklen, lebensbedrohlichen Qualitäten ist der Serienkiller ein machtvoller Mythos mit realer Grundlage; genauso aber ist er ein Klischee. Und diese Figur ist nach wie vor in der Lage, jedem anderen Lieblingsobjekt medialer Aufmerksamkeit über Nacht den Rang abzulaufen und in der Bevölkerung Hysterien zu entfachen. Es verwundert also kaum, dass Autoren und Autorinnen nicht müde werden, sich dieses Sujets immer aufs Neue anzunehmen.

Joyce Carol Oates, Autorin zahlreicher Romane und Kurzgeschichten, Lyrikerin und Dozentin in Princeton, hat bereits im Jahre 1995 ihre Version des Themas veröffentlicht: »Zombie«. Oates, die sich seit »Im Dickicht der Kindheit« oder »Bellefleur« vorwiegend mit Grenzzuständen des Menschlichen, mit der dunklen Seite der Psyche beschäftigt, hat sich mit »Zombie«, dessen deutsche Übersetzung nun endlich vorliegt, erstmals dem Phänomen des Serienkillers zugewandt.

Quentin P. ist scheinbar ein ganz normaler Außenseiter. Aus gutem Elternhaus, von durchschnittlicher Statur, durchschnittlichem Äußeren und nicht unintelligent, hat er keine Freunde und will auch keine. Er besucht eine Technische Hochschule und verdient seinen Lebensunterhalt als Hausmeister im Mietshaus seiner Großeltern.

Seine Eltern umhegen bzw.gängeln ihn auf liebevoll besorgte Weise, insbesondere seitdem er im Alter von 18 einen zwölfjährigen Jungen entführte und sexuell misshandelte. Der aber konnte entwischen, Quentin wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er befindet sich seitdem in einem Zustand dauernder Überwachung und Medikation. Regelmäßig muss er bei seinem Bewährungshelfer und seinem Arzt vorbeischauen.

Am meisten hasst er jedoch die allwöchentlichen Gruppentherapie-Sitzungen bei Dr. E. Er hat ihm nichts zu sagen, aber Dr. E. will alles wissen. Quentin scheut seine Mitwelt, die ihm nur Umwelt ist. Seine Eltern nerven, wollen zu nah an ihn heran. Im Grunde kommuniziert er nur mit sich selbst und ist schlicht unfähig, anderen Menschen in die Augen zu sehen. Lieber stiert er auf den Boden. Um von allen in Ruhe gelassen zu werden, spielt er, so gut er kann, die Rolle des hilfsbereiten, zur Besserung gewillten Jungen. Und nur er weiß, dass sich seit dem Zwischenfall von damals wenig getan hat.

Und doch hat sich etwas verändert. Quentin ist geradezu manisch besessen von dem Wunsch, sich einen Zombie zu erschaffen: »Man braucht dazu nur einen jungen Menschen männlichen Geschlechts.« Und eine geeignete Methode zur Umwandlung eines Individuums in ein willfähriges und entindividualisiertes Wesen. Quentin bedient sich der transorbitalen Lobotomie: Mit einem Eispickel und einem Hammer wird er fortan durch die Knochenwölbung oberhalb des Augapfels in die Schädel von jungen, gut gebauten Männern eindringen, um deren Gehirn zu zerstören und somit etwas gänzlich Neues zu erschaffen.

Schon beim Gedanken an seinen ersten Zombie bekommt er, wie er protokolliert, einen »Ständer«. Er schreibt: »Ein echter Zombie wäre mein für immer. Er würde jedem meiner Befehle, jeder meiner Launen gehorchen.« »Ein Zombie würde sagen: 'Ihr seid gut Meister. Ihr seid gütig & voller Erbarmen.' Er würde sagen: 'Fickt mich in den Arsch, Meister, bis ich blaue Brocken blute'«. Fiebrig-erregt spricht Quentin, wenn es um Zombies geht und darum, was er mit ihnen anstellen wird oder bereits angestellt hat.

Ein »Zombie«, das ist für die Wunschmaschine in ihm lediglich eine pornografische Projektionsfläche, keinesfalls ein Subjekt mit eigenen Wünschen und eigener Sprache. Ein Zeitvertreib gegen die Einsamkeit und eine grausige Obsession, die nie an ihr Ziel kommt, da er einen Zombie nach dem anderen - wie er es nennt - »in den Sand setzt«. Keiner der Männer überlebt die Operation. Bunnygloves, Raisineyes, Big Guy und schließlich Squirrel - seine größte Hoffnung - sterben qualvoll, manchmal erst Stunden nach ihrer Tortur. Der nahende Tod seiner Opfer macht Quentin stets unglücklich, hindert ihn aber nicht, die tödlich verletzten Körper zu vergewaltigen. Mit seinem Gewissen hatte er ohnehin nie Probleme. Im Grunde ist er auch gar kein Killer, denn nicht die Absicht, jemanden zu töten treibt Quentin zu immer neuen Taten.

Oates hat mit Quentin P. einen in sich plausiblen und über alle Maßen komplexen Charakter entworfen, der sich in seinen Aufzeichnungen selbst entwirft und uns mit seiner ironisch-zynischen Sprache, seinem abschätzigen Blick auf die Welt, seinem verzweifelt-besessenen und vergeblichen Bemühen, einen Zombie zu kreieren, und mit seiner Einsamkeit manchmal näher kommt, als uns lieb sein mag. Daher rührt das besondere Grauen, das von »Zombie« ausgeht. Was Quentin P. uns in seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen über sich, seine Umwelt, sein Begehren und seine Taten erzählt, lässt Oates unkommentiert.

Ausschlaggebend, dieses Buch zu schreiben, waren für Oates Ereignisse des Jahres 1976 in Detroit, wo sie damals lebte. Ein Serienkiller entführte und tötete acht Teenager. Angst, Hysterie und Panik erfassten die Menschen. Das Morden endete schließlich so abrupt, wie es begonnen hatte. Der Täter wurde nie gefasst. Oates begann, eine Geschichte über diesen Fall zu schreiben, legte sie schließlich unzufrieden beiseite und nahm erst Jahre später, als die New York Review of Books sie bat, einen Essay zum Serienkiller in der Literatur zu verfassen, das Thema erneut auf. Sie las sich durch 35 Bücher und entwarf schließlich die Figur des Quentin P., dessen Stimme die einzige ist, die wir in »Zombie« vernehmen. Ein hermetischer Raum: Wir befinden uns im Kopf eines Serienkillers.

Joyce Carol Oates: Zombie. DVA, Hamburg 2000, 213 S., DM 34