Neues von »Stella«

Schöner Eingreifen, keine Strategien mehr

Gegen den Jugoslawienkrieg sein, Designerklamotten tragen und den Finger am Abzug haben: die neue Platte der Hamburger Band Stella.

In den späten Achtzigern gab es einmal eine Band, die nannte sich Latin Quarter. So wie die Stadtviertel heißen, wo Künstler, Arbeiter und Taugenichtse wohnen und wo der ganze Rest der Stadt hingeht, um sich zu amüsieren. So wie das Pariser Quartier Latin oder eben das Latin Quarter von New Orleans: Stadtteile, die man mit romantischen Vorstellungen des friedlichen Zusammenlebens von Außenseitern jeglicher Couleur und daraus resultierender politischer Militanz aufladen konnte. Latin Quarter kamen aus England und machten Politpop. Das war neu. Ihre Texte waren sozialkritisch und ihre Musik chartstauglich. Sie machten keinen Punk, sie waren keine Liedermacher - es waren gut produzierte Popsongs, die von den Arbeitsbedingungen in Autofabriken handelten, von Rassismus, Apartheid und davon, dass Maggie Thatcher baldmöglichst abgewählt werden müsse. Die Band bestand aus rund einem Dutzend Musiker, mal sang ein Mann, mal eine Frau, die einen waren schwarz, die anderen weiß. Latin Quarter waren ziemlich erfolgreich und gaben in den Uni-Mensen westdeutscher Universitätsstädte ausverkaufte Konzerte.

Seitdem sind einige Jahre ins Land gegangen. Latin-Quarter-Platten stehen heute auf Flohmärkten in den Kisten von Endzwanzigern, die ihre Erinnerungen nicht mehr hören wollen, die Mauer ist weg und kein Mensch glaubt mehr daran, dass eine Schallplatte die Welt verändern kann. Und nun gibt es eine neue Platte der Hamburger Band Stella, dem Update von Latin Quarter für die Jetztzeit: »Finger on the trigger for the years to come«. Pop und Politik, Schönheit und gegen den Krieg sein, neue Klamotten und diskutieren, bis der Morgen graut. Und abgesehen davon, dass es sich lyrisch, geheimnisvoll und irgendwie militant anhört - der Finger am Abzug ist der eines Nato-Piloten, der Jugoslawien bombardiert. Dargeboten von Elena Lange, Sängerin der Band, Tochter eines Deutschen und einer Kroatin.

Stella kommen aus Hamburg, der letzten deutschen Stadt, in deren Proberäumen sich noch Reste von linksradikalem Geist erhalten haben. Das hieß irgendwann einmal Diskursrock oder Hamburger Schule. Doch als vor drei Jahren »Extralife« erschien, das erste Album der Band, bedeutete das für den deutschen Indierock so etwas wie einen Abschied: Hamburg hatte sich als Ort einer Sprache und eines Sounds bzw. als Ort einer Haltung erledigt. Zwar hatten alle Mitglieder von Stella bei irgendwelchen anderen Bands der sog. Hamburger Schule mitgespielt, doch Stella hatte nicht die Absicht, sich in die Schule einzugliedern. Und das, obwohl man die gleichen Themen behandelte. Die Stella-Songs waren rumpelig, dennoch klang »Extralife« außerordentlich homogen. Allerdings war dieser Sound nicht das Ergebnis von tatsächlicher Zusammenarbeit - es war eher ein Kompromiss. Fast schien es, als hätten Stella aus Unsicherheit eine Rumpelplatte machen wollen, eine Platte, die mit elektronischen Mitteln trotzig an Rock erinnerte.

Doch man lasse sich nicht täuschen, »Extralife« scheiterte nicht, sondern wurde im Gegenteil zu Recht hymnisch gefeiert. Viele sahen darin die Rettung des Politrocks und einen Weg, wie man als Band in die elektronische Musik finden konnte. Der Kompromiss war der richtige. Aber die Band wollte anderes und mehr. Dann führte Deutschland Krieg gegen Jugoslawien, und wenn man Elena Lange Glauben schenken darf, fiel den Hamburger Popintellektuellen und ehemaligen Mitstreitern der Band dazu nichts anderes ein als Liebesplatten oder Schweigen.

Also: neues Programm. Keine Rücksichten mehr nehmen auf das, was von einem erwartet wird. Sich nicht mehr strategisch verhalten. Es geht um Sounds. Es geht um Aussagen. Zu spät gekommene Kids, denen es um die friedliche Vermittlung von Glamour, Gegenwart und Indierock zu tun ist, kann man da stehen lassen, wo sie sind. Was sich vorher noch recht homogen anhörte, wird aufgesprengt. Verschiedene Sounds benutzen. Mit einem Housebeat ringende Songs machen. Und Liz Phair-mäßige Rockstücke und Tracks, die sich anhören, als seien sie US-amerikanischer R'n'B. Und das mit Inhalten aufladen, z.B. mit der Kritik am Abfeiern der Luxussymbole des Kapitalismus in den Videos zu eben jenem R'n'B. Trotzdem offensiv Designerklamotten tragen. Und Stellung beziehen gegen das neue kriegführende Deutschland und seine Regierung.

So hat die Platte einen funkigen, slicken Song gegen Joseph Fischers Sportpropaganda (»The Jogging Man«) und eine Hommage an Belgrad (»Belle Grade«). Das ist gut, auch wenn die Antikriegstexte etwas wenig analytisch sind und Elena Lange sich eindeutig und etwas sehr laut auf die Seite der Serben schlägt - als ob es für Linke im Pop eine eindeutige Identifikation mit einer Seite und damit eine feste Identität geben könnte. Doch Stella und ihrem Pop-Verständnis ist das Einklagen von Solidarität und Politik im Pop wichtig. Denn es ist völlig richtig, wenn man mit den alten Strategien und Traditionen bricht und sich stattdessen neu positioniert. Das zeigt die Platte, das zeigt das Schweigen der anderen.

Stella versuchen eine Haltung der Achtziger, nämlich cooles Politikmachen, in die Gegenwart zu transportieren. Und damit stehen sie ziemlich alleine da, nur noch flankiert von den Noise-Produzenten rund um Alec Empire und das Digital-Hardcore-Label, die das Böse in der Welt mit noch böserem Krach bekämpfen wollen. Doch mit dieser Herangehensweise haben Stella nichts zu tun. Hier werden keine Harmonien zerstört, auf dass die Gesellschaft dann auch irgendwann zusammenfällt. »Finger on the trigger for the years to come« ist Pop. So etwas wie Latin Quarter für das 21. Jahrhundert.

Stella: »Finger on the trigger for the years to come«. L' age d'or (Zomba)