Kriegsverbrecherprozess in Kroatien

Angriff auf die Generäle

In Kroatien stehen erstmals Militärs, die für die Ermordung von Serben verantwortlich sein sollen, vor Gericht.

Auf die Bombenexplosion folgte die Bombenstimmung. »Dieser Verräter hätte schon 1990 abgeknallt werden sollen«, jubelten Bewohner des kroatischen Dorfes Gospic und diktierten Journalisten der satirischen Wochenzeitung Feral Tribune: »Schreib, dass ich ein richtiger Staatsbürger bin, dass ich ein Kriegsverbrecher bin und mich vor niemandem fürchte!« Ende August war in dem Ort der ehemalige Soldat Milan Levar in seinem Haus von einer Bombe zerfetzt worden.

Levar hatte als Zeuge vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal und in Interviews hohe Offiziere der kroatischen Armee und des Geheimdienstes beschuldigt, für die Ermordung von mindestens hundert serbischen Zivilisten 1991 in Gospic verantwortlich zu sein. In der Nähe des Dorfes verlief bis 1995 die Grenze zur autonomen Republika Srpska Krajina, die die kroatische Armee in der Operation »Sturm« endgültig von Serben säuberte.

Bereits vor dem Attentat hatte Levar zwei Anschläge überlebt und um Personenschutz gebeten. Zwar will die Polizei diesen Antrag irgendwie verloren haben. Dafür reagierten die Behörden nach dem Attentat umso schneller und verhafteten im September zwölf - zum Teil hochrangige - Militärs. Unter ihnen befindet sich Ex-General Ivan Andabak, dem neben der Beteiligung an der Zerstörung der Alten Brücke in Mostar auch der Mord an dem bosnisch-kroatischen Justizminister Jozo Leutar 1999 in Sarejevo vorgeworfen wird. Im Bosnien-Krieg soll er dem paramilitärischen »Bataillon der Verdammten« angehört haben. Ein anderer Verhafteter ist Ex-General Ignac Kostoman, der vom Haager Tribunal für die Ermordung von über hundert bosnischen Muslimen im Dorf Ahmici 1993 verantwortlich gemacht wird.

Letzten Monat veröffentlichte die Regierung auch einen Untersuchungsbericht, in dem bosnische und kroatische Funktionäre der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), der ehemaligen rechtsnationalistischen Regierungspartei Kroatiens, schwer belastet werden. Sie sollen von den Verbrechen in Gospic nicht nur gewusst, sondern diese auch angeordnet haben. Die Ereignisse in Gospic sind auch Gegenstand des Prozesses, der letzte Woche in Rijeka gegen fünf ehemalige Offiziere eröffnet wurde.

Es ist der erste große Kriegsverbrecherprozess in Kroatien. Denn unter dem verstorbenen Franjo Tudjman hatte die Armee den Schutz des Präsidenten genossen. Nun will die seit Anfang des Jahres amtierende Mitte-Links-Regierung im Militär aufräumen: »Das demokratische Kroatien«, so der sozialdemokratische Ministerpräsident Ivica Racan, will dafür sorgen, »dass Kriegsverbrecher hier nicht mehr frei leben dürfen«.

Aber es regt sich Widerstand. Neben der HDZ betrachten die einflussreiche katholische Kirche, Vertreter der Armee und Teile der Bevölkerung die Verhaftungen als Verhöhnung der Kämpfer im »Vaterländischen Krieg«. Mit öffentlichen Versammlungen mobilisieren Veteranenverbände gegen die Verhaftungen. Die konservative Tageszeitung Slobodna Dalmacija, beschimpft die Regierung als »Agentur von Carla del Ponte«, der Leiterin des Haager Kriegsverbrechertribunals. »Es lebe das Werk des großen Tudjman«, titelte die katholische Wochenzeitung Glas Koncila und erklärte, die Verurteilung der »Kriegshelden« sei gegen die ganze Nation gerichtet. Die HDZ, nun die größte Oppositionsfraktion im Parlament, ruft zum Sturz der Regierung auf und selbst Kabinettsmitglieder, vor allem aus den Reihen der mitregierenden Sozialliberalen Partei Kroatiens, gehen mittlerweile auf Distanz zu den Verhaftungen.

Ende September wandten sich zwölf Generäle mit einem Protestschreiben gegen die »Kriminalisierung des Vaterländischen Krieges«. Staatspräsident Stipe Mesic reagierte prompt mit der Zwangspensionierung von sieben der Unterzeichner und kündigte eine Gesetzesänderung an, mit der eine stärkere zivile Kontrolle der Streitkräfte gewährleistet werden soll.

Denn noch immer sind wichtige Posten in Justiz, Polizei, Geheimdienst und der Armee mit HDZ-Kadern besetzt. Diese bilden, so Feral Tribune, eine Art »Parallelregierung«, die sich aus »potenziellen Kriegsverbrechern in Generalsuniform« zusammensetzt.

Die neue Regierung inszeniert den Machtkampf mit den HDZ-Eliten als Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Bereits im Frühjahr hatte das Parlament seine Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal erklärt und seitdem einige Beschuldigte ausgeliefert. Freilich befinden sich darunter bislang keine Funktionsträger der kroatischen Armee. Zeitgleich laufen Korruptionsverfahren, unter anderem gegen Nevenka Tudjman, die Tochter des Ex-Präsidenten.

Das regierende Sechserbündnis diskreditiert und kompromittiert die alte Elite, um sich profilieren und stärken zu können. Zugleich hofft man, durch die Verhaftungen und Überstellungen nach Den Haag, den Forderungen des Westens nachzukommen und die politische Isolierung des Landes zu überwinden.

Schon zeichnen sich die ersten Erfolge ab. Vor zwei Wochen beschloss die Parlamentarische Versammlung des Europarates einstimmig, Kroatien fortan - ungeachtet einiger Mängel - als »vollwertige Demokratie« zu betrachten und aus der Überwachung zu entlassen.

Aber einen Anlass, die kroatische Regierung zu feiern, weil sie »die rückhaltlose Aufklärung der kroatischen Kriegsverbrechen« zum Ziel erklärt hat, gibt es nun wirklich nicht. Denn Präsident Mesic gehörte nicht nur zu den Gründungsmitgliedern der HDZ, er hat auch heute nichts gegen echte »Helden des Vaterlandes«. Noch kurz vor den Verhaftungen unterzeichnete er eine Liste mit Anwärtern auf den Orden für herausragende Verdienste im Krieg. Einer der Kandidaten heißt Mirko Norac, den der im August ermordete Levar zu den Verantwortlichen von Gospic gezählt hatte.