»Ende der Bewegung«

Interview mit dem Historiker andrej grubacic aus Belgrad. Nach dem Amtsantritt von Präsident Kostunica rechnet er mit Streit im Anti-Milosevic-Bündnis

Vor dem Fernseher konnte man den Eindruck gewinnen, der Aufstand in Belgrad habe nicht länger als sechs Stunden gedauert. Schon am Abend war mit Kostunica der neue Präsident installiert. War dieser doch sehr legalistische Vorgang wirklich das, was man gemeinhin als Revolution bezeichnet?

Durch den Ausbruch der Gewalt auf den Straßen hatte die Situation an manchen Stellen den Charakter einer bürgerlichen Revolution. Vielleicht sollte man aber besser von einem Staatsstreich sprechen. Denn da es sich bei Milosevic nie um einen Diktator, sondern um einen gewählten Präsidenten gehandelt hat, ist es schwierig, überhaupt von einem Umsturz zu sprechen. Erst die jüngsten Wahlfälschungen könnte man als den Versuch beschreiben, eine Diktatur einzuführen.

Manchmal hilft ja bei der Einschätzung auch der Blick auf das, was die vermeintliche Revolution gebracht hat. Was will der neue Präsident Kostunica?

Auch wenn er sich selbst als Nationaldemokraten bezeichnet, ist das nichts weiter als ein Label, mit dem sich in Serbien fast alle schmücken. In Wirklichkeit ist er ein konservativer Rechtsaußen, und nicht, wie fälschlicherweise behauptet wird, ein Neoliberaler. Kostunica hat stark anti-amerikanische Züge, dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag etwa wirft er vor, ein »amerikanisches Gericht« zu sein.

Wäre es Ihnen lieber, statt von Kostunica von Aktivisten der studentisch dominierten Otpor-Bewegung regiert zu werden?

Nein. Otpor ist Teil jener neoliberalen Verbindung, die ganz Jugoslawien erfasst hat. Auch der Radiosender B2-92 oder das Sozialforschungsinstitut CFCD gehören dazu. Die meisten Otpor-Führer sind Mitglieder von Oppositionsparteien, viele Aktivisten dürften recht bald entweder in der Regierung landen oder von irgendeiner Nichtregierungsorganisation geschluckt werden. Für mich ist Otpor schon heute ein Teil der unseligen jugoslawischen Geschichte der letzten zehn Jahre. Die Bewegung wird sich auflösen, weil sich ihre historische Aufgabe erledigt hat.

Wer sind neben den offiziellen Repräsentanten der Demokratischen Opposition (DOS) die Leute, welche die politische Szene in Serbien künftig bestimmen werden?

Vor allem Djindjic, der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten, dürfte auf Konfrontation zu Kostunica gehen. Aber auch Gruppierungen wie die Gruppe G17 plus - so etwas wie der wirtschaftspolitische Think Tank einer künftigen Regierung - gehen nicht in allen Punkten mit dem neuen Präsidenten konform. Das jetzige Bündnis wird daher nicht von langer Dauer sein.

Ceaucescu wurde 1989 in Rumänien ermordet, andere staatssozialistische Herrscher mussten ins Exil gehen, nachdem die Bevölkerung sie gestürzt hatte. In Jugoslawien hingegen hat der alte dem neuen Präsidenten einen Tag nach dem Aufstand die Hand geschüttelt. Wie ist das möglich?

Bei diesen Vergleichen läuft man immer Gefahr, die nationalen Besonderheiten außer Acht zu lassen. Das politische System Jugoslawiens hat in den letzten Jahren einfach Umgangsformen hervorgebracht, die diese Art von Deals plausibel, wenn nicht sogar natürlich erscheinen lassen. Mich jedenfalls hat das Shakehands zwischen den beiden nicht überrascht.

Der deutsche Außenminister Fischer hat die Geschehnisse in Belgrad am 5. Oktober als »letztes Stück der Mauer, das gefallen ist«, bezeichnet. Würden auch Sie den Sturz Milosevics in Bezug setzen zu dem, was 1989 in Osteuropa passierte?

Abgesehen davon, dass Fischer eine der ekelhaftesten Figuren der neuen Weltordnung ist, waren Milosevics Regierungen zu keinem Zeitpunkt kommunistisch oder sozialistisch, so wie auch Milosevic selbst nie Sozialist oder Kommunist war. Vielleicht sollte man besser davon sprechen, dass Fischer und der Rest des Neue-Mitte-Packs den Ausschlag dafür gaben, dass der Neoliberalismus nun auch in Jugoslawien Einzug halten kann.

Wie bewerten Sie die Jagd der Opposition nach den Millionen aus Europa und den USA?

Ich bin gegen jegliche Form von Interventionismus. Conditio sine qua non für eine selbstbestimmte Entwicklung der Region ist deshalb der Rückzug aller Imperialisten.

Sehen Sie denn ein Modell, das Jugoslawien und den anderen Staaten in Südosteuropa eine andere Option ließe außer der, als Billiglohnländer den Hinterhof Nord- und Westeuropas zu bilden?

Nein. Um Wallerstein zu paraphrasieren: Der Balkan wird auch künftig an der Peripherie der globalen Wirtschaft seinen Platz als agrarisch dominierte Nationalökonomie haben. Wir werden zwar weiterhin versuchen, diese Vision mit Widerstand zu konfrontieren, doch wird das ein langsamer Prozess bleiben.

Welche Rolle spielt der Nato-Krieg gegen Jugoslawien in den Diskussionen der Opposition bzw. der künftigen Regierung?

Leute wie Kostunica versuchen immer noch, an ihrer Position vom letzten Frühjahr festzuhalten, als sie sich sowohl gegen das Weiße Haus in Washington als auch gegen das Belgrader Weiße Haus, die Residenz Milosevics, wandten. Gleichzeitig versuchen sie aber, die zivilen Opfer, die der Angriffskrieg verursacht hat, unter den Tisch zu kehren, um so den Boden zu bereiten für den Einzug des Westens.

Fürchten Sie denn eine ähnlich dominante Rolle von Nato, OSZE und Uno in Serbien, wie diese Organisationen sie bereits in Bosnien oder Kosovo ausfüllen?

Ich rechne nicht damit, dass es hier ein offenes Protektorat in der Form geben wird, wie es im Kosovo existiert. Dort werden nicht-albanische Minderheiten verfolgt wie wilde Tiere. Ich denke, dass Serbien einen Status ähnlich dem Rumäniens, Bulgariens oder Kroatiens vor dem Tod Tudjmans bekommen wird.

Der kroatische Präsident starb Ende letzten Jahres, Milosevic wurde von der Bevölkerung gestürzt. Mit dem bosnischen Präsidenten Izetbegovic verschwindet im November der letzte der drei Staatschefs von der politischen Bühne, ohne die die Geschichte auf dem Balkan in den letzten zehn Jahren vielleicht anders verlaufen wäre. Ist nun Frieden in Jugoslawien möglich?

Ja. Auch wenn Jugoslawien de facto kolonialisiert ist, bin ich optimistisch, dass die Leute ihre Lehren ziehen werden aus dem, was hier in den neunziger Jahren passiert ist.

Der Tod Titos liegt gerade mal 20 Jahre zurück. Halten Sie eine Wiederbelebung seines jugoslawischen Experiments in 20 Jahren für möglich?

Die Frage kann man nicht beantworten. Ich bin Wissenschaftler, kein Prophet. Aber es würde sich sicherlich lohnen, das Tito-System genauer zu untersuchen: vor allem in Fragen der Selbstverwaltung, dem Umgang mit Nationalitätenkonflikten und der Fähigkeit, auf die Herausforderungen einer globalen Wirtschaft zu reagieren.

Web-Link: www.resistancenet.org