Jugoslawien nach dem Voting

Begrüßungsgeld für Belgrad

Die ökonomische Integration Jugoslawiens in die EU kann auch mit dem neuen Präsidenten Kostunica nicht gelingen.

Die Politik ist auf »Big Brother«-Niveau angekommen, aber nicht im Sinne von George Orwell, sondern von RTL II. Starkult und Eventkultur haben sie überformt, teilweise sogar ersetzt. Immer häufiger lassen sich Staatsaktionen nur mehr bedingt oder gar nicht auf ein langfristiges nationales Interessenkalkül zurückführen.

Dass sich die Politik für ihre Zwecke nicht nur der Fernsehbilder bedient, sondern umgekehrt zugleich deren Takt übernimmt, dokumentiert die westliche Balkanpolitik. Zuletzt ließ sich an den begeisterten Reaktionen auf den so genannten Belgrader Volksaufstand ablesen, wie mediale Inszenierung und Politik verschmelzen.

Die Gemeinschaft der Demokraten hat in den letzten zehn Jahren immer wieder ihren Blick auf die südosteuropäische Krisenregion gerichtet. Dass die ethno-nationalistischen Konflikte dort wie anderswo das Ende nachholender Modernisierung anzeigen und der Triumph der Marktwirtschaft in dieser von der Weltmarktkonkurrenz überrollten Region nichts anderes mehr bedeuten kann als die Etablierung von poststaatlichen Bereicherungs-Regimes, das hat sie nicht verstehen wollen. Stattdessen fand der Westen in Slobodan Milosevic das Symbol und den Sündenbock für den Niedergang des ehemaligen Jugoslawien. Was J.R. für Dallas, das ist Slobo für den Balkan. Allein seine perfiden Machenschaften, so die offizielle demokratische Darstellung, versperrten den Weg zu Frieden und Wohlstand.

In seiner Fixierung auf Milosevic hat der Westen dessen wechselnde Gegner stets äußerst generös beurteilt. Die Mafiosi der UCK wurden in den Rang von Freiheitskämpfern erhoben, und den ehrenwerten Präsidenten Montenegros, Milo Djukanovic, der ein Drittel seines Haushaltes aus dem Zigarettenschmuggel finanziert, weisen seine gespannten Beziehungen zu Milosevic als Musterdemokraten aus. In der Linken hat man dieses Messen mit zweierlei Maß meist als billige Propaganda verstanden, die eine knallharte antiserbische Machtpolitik kaschiert.

Spätestens die Euphorie, die der Sturz Milosevics ausgelöst hat, und die Begeisterung für die serbische Ex-Opposition lehren allerdings etwas anderes. William Clinton, Joseph Fischer und die anderen Geistesgrößen der demokratischen Völkergemeinschaft glauben offenbar ihren eigenen Aussagen. Zeigt sich der staatlich-kriminelle Komplex Serbiens nur bereit, sich von Milosevic zu trennen, so gilt er schon als wohlanständig.

Dass Jacques Chirac und mit ihm die gesamte EU ausgerechnet Vojislav Kostunica als »Verkörperung der Demokratie« feiern, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Zum Lachen ist eine solche Aussage umso mehr, als sie in gewisser Weise sogar richtig ist. Kostunica vertritt nicht nur noch entschiedener als der verhasste Milosevic einen strikt nationalistischen Standpunkt (Jungle World, 41/00). In der »Allianz für den Wechsel« dominieren auch Kräfte, die nach den gleichen klientelwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren wie Milosevics Sozialistische Partei. Für die Umsetzung der neoliberalen »Reformpolitik«, von der die EU phantasiert, taugen sie auch nicht besser als die alte Crew. Der Wechsel von Milosevic zu Kostunica konnte sich überhaupt nur vollziehen, weil er weit mehr Kontinuität als Bruch bedeutet.

Schon einmal schien die Zeit reif für den Sturz von Milosevic. Im Winter 1996/97, etwa eineinhalb Jahre nach den Friedensverhandlungen von Dayton und dem Ende des Bosnien-Krieges, begann sich der durch die Konfrontation mit dem Westen hergestellte Status quo merklich zu verändern. Wegen der miserablen Lebensverhältnisse und der unverfrorenen Bereicherungssucht von Milosevics weitverzweigtem Apparat fanden in Belgrad und anderen großen Städten zahlreiche Massendemonstrationen statt. Das herrschende Regime besaß damals indes Geschick und vor allem Hilfsquellen genug, um einen Teil der organisierten Opposition in sein Klientelsystem einzubinden. Der Eintritt von Vuk Draskovic in die Regierung markierte den Zerfall der äußerst heterogenen Anti-Milosevic-Front. Ihr urbaner, westlich orientierter Flügel stand alleine auf verlorenem Posten.

Auf den ersten Blick fand sich Jugoslawien im Herbst 2000 in einer ähnlichen Situation wieder wie vier Jahre zuvor. Mit zeitlichem Abstand zum Kosovo-Krieg, der zunächst alle Widersprüche innerhalb Serbiens verschüttet hatte, formierte sich abermals ein Anti-Milosevic-Bündnis, das aus 17 verschiedenen Parteien und Gruppierungen zusammengeschustert war. Im Gefolge der Nato-Intervention hatte sich der Verfall von Wirtschaft und Gesellschaft noch einmal beschleunigt. Nicht nur die Mehrheit der jugoslawischen Bevölkerung ist aus den regulären Wirtschaftskreisläufen herausgefallen. Auch die ökonomische Basis des staatlich-kriminellen Komplexes ist deutlich geschrumpft. Damit verlor Milosevics alte Spaltungs- und Einbindungsstrategie ihre Grundlage.

Im gleichen Maße, wie immer größere Teile seiner eigenen Klientel auf Distanz zu Milosevic gingen, verschoben sich aber auch die Gewichte innerhalb der Opposition. Die oppositionelle Bewegung von 1996/97 ging noch von den urbanen Zentren aus und wurde wesentlich von Schichten getragen, die den westlichen Vorstellungen näher standen als die Milosevic-Crew. Davon kann heute nicht mehr die Rede sein. Die Führung übernahmen diesmal Regionen, die selber durch und durch vom Klientelwesen geprägt sind. In Belgrad dagegen fiel die Mobilisierung zunächst vergleichsweise niedrig aus. Der Generalstreik etwa wurde hier am wenigsten befolgt.

Illusionen können zur materiellen Gewalt werden, umso mehr, wenn sie die angenehme Form von Euro-Überweisungen annehmen. Ginge es allein um die innerjugoslawischen Kräfteverhältnisse, würden Politiker wie beispielsweise Zoran Djindjic sehr schnell beiseite geschoben. Auch um die Ökonomen-Gruppe G17 dürfte es eher still werden. Solange eine gewisse Rücksichtnahme möglicherweise die Höhe des Begrüßungsgeldes beeinflusst, könnten Kostunica und Co. aber vielleicht erst einmal davon absehen, gegen die Lieblinge des Westens vorzugehen.

Das heißt noch lange nicht, dass der Einfluss der EU zu mehr als einem bloßen Pro-Forma-Wohlverhalten führen wird. Zum einen steht außer Frage, dass sich die verschiedenen Fraktionen des kriminell-staatlichen Komplexes nicht ohne weiteres durch eine Handvoll vom Westen gehätschelter Reformer verdrängen lassen.

Zum anderen werden die Zahlungen aus Brüssel, selbst wenn sie üppig ausfallen sollten, niemals das darniederliegende Jugoslawien in eine funktionierende Volkswirtschaft verwandeln können. Allein die Schäden an der Infrastruktur, die der Kosovokrieg verursachte, werden auf 4,3 Milliarden Euro geschätzt. Die großzügige Hilfe von 2,2 Milliarden Euro, die EU-Präsident Romano Prodi für die nächsten Jahre in Aussicht stellte, würde also bestenfalls die Infrastruktur wiederherstellen, die dem Land zur Halbzeit des Kosovo-Krieges übrig geblieben war. In Wirklichkeit reicht der Betrag gerade einmal für den Schuldendienst der nächsten drei Jahre.

Außerdem liegt auf der Hand, dass die Zahlungsbereitschaft der EU mit wachsendem Abstand zu den »dramatischen Ereignissen« schnell nachlassen wird. Schon jetzt tobt der Streit, aus welchem Topf die Mittel für die Balkanhilfe kommen sollen. Chirac wehrt sich dagegen, den Agrarhaushalt zu beschneiden, die Mittelmeeranrainer wollen den Strukturfonds für sich reserviert sehen.

In EU-Kreisen wurde anfänglich allen Ernstes erwogen, Teile der EU-Agrarlagerhaltung als »Soforthilfe« für Belgrad zu entsorgen. Es macht nicht nur entwicklungspolitisch wenig Sinn, ausgerechnet die Landwirtschaft, den einzigen einigermaßen funktionierenden Fertigungszweig in Jugoslawien, niederzukonkurrieren. Es zeigt auch, wo die EU Jugoslawien geographisch am liebsten verorten würde - irgendwo zwischen Äthiopien und Moçambique.

Ob das Kopfgeld für Milosevic reicht, um Kostunica und Co. zu bestechen, wird sich zeigen. Ob Belgrad auf dem »Weg nach Europa« große Fortschritte machen wird, muss man nicht erst abwarten. Diesen Weg gibt es nicht.