Kwasniewski bleibt Präsident

Ein deutscher Freund

Mit dem sozialdemokratischen Kandidaten Kwasniewski hat bei den polnischen Präsidentschaftswahlen die Geräuschlosigkeit gesiegt.

Geräuschlos, unpathetisch, sachlich. Der Wahlsieger in Polen, Aleksander Kwasniewski, steht für öde Kontinuität. Was für die politischen und wirtschaftlichen Eliten auf der Tagesordnung steht, wird von ihm unterschrieben. Und dieses Programm ist so schlicht wie brutal: Die Integration in die Europäische Union hat absoluten Vorrang. In diesem Punkt sind sich alle großen Parteien einig. Der Rest ist Gefühl und damit haben polnische Politprofis traditionell ihre Probleme.

Kwasniewskis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen, die vergangene Woche stattfanden, war nie ernsthaft gefährdet. Der größte intakte Parteiappart des Landes, die Mehrheit der Fernsehstationen, die Politmagazine und ebenso die Frauenzeitschriften standen hinter ihm.

Doch zwei Wochen vor dem Wahltag - die Konkurrenz war in allen Umfragen weit abgeschlagen - spielte sein konservativer Herausforderer Marian Krzaklewski, Chef der Solidarnosc, der Presse ein Video zu, das den amtierenden Präsidenten in Schwierigkeiten bringen sollte. Die Bilder dokumentierten einen Besuch Kwasniewskis in der Provinz. Kwasniewski stieg aus dem Wahlkampf-Hubschrauber, segnete die Gastgeber ganz in Papst-Manier, ließ seinen Wahlkampfhelfer niederknieen und den Boden küssen. Für viele katholische Wähler war dies ein Akt der Blasphemie und die Umfragewerte des aussichtsreichsten Kandidaten bewegten sich nach unten. Zehn Prozent der Stimmen soll es Kwasniewski gekostet haben, einmal witzig sein zu wollen.

Und gleich noch einen etwas länger zurückliegenden Fauxpas konnte Krzaklewskis Team im Wahlkampf präsentieren. Offensichtlich bedröhnt torkelte der Präsident 1997 über die Gräber polnischer Offiziere, die 1940 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD in Charkow ermordet worden waren. Katyn und der Papst, mächtige Symbole polnischen Nationalgefühls, waren besudelt, der haushohe Vorsprung dahin. Krzaklewski witterte seine Chance.

Stimmengewinne versprach er sich auch von einem Gesetzesantrag, den seine Partei, die nationalkonservative AWS (Akcja Wyborczej Solidarnosci) kurz vor den Wahlen ins Parlament eingebracht hatte. Kommunale und genossenschaftliche Wohnungen sollten an die Bewohner und staatliche Ackerbauflächen an einheimische Bauern vergeben werden. Der Präsident hatte allerdings sein Veto gegen das Gesetz eingelegt und so Krzaklewskis Wahlgeschenk blockiert. Diese Gelegenheit lies sich der AWS-Chef nicht entgehen.

Jetzt schmähte Krzaklewski seinen Rivalen nicht nur als unmoralisch und asozial, sondern bezichtigte ihn auch noch, antinational und ein Freund der Deutschen zu sein. Denn nur mit diesem Gesetz könnte nach Meinung der AWS verhindert werden, dass deutsche »Vertriebene« nach dem EU-Beitritt Polens die Rückgabe ihrer früheren Anwesen in Brüssel einklagen. Diese Einschätzung teilte auch die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die in einem AWS-Fernsehwerbespot das Veto Kwasniewskis begrüßte.

Die gesamte Rechte rückte nun das so genannte »Verteilungsgesetz« in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes. Zur Demonstration vor dem Präsidentenpalast in Warschau kamen nicht nur AWS-Anhänger, sondern auch die Hörer des klerikal-antisemitischen Senders Radio Maryja und die Gefolgschaft des klerikal-arbeiterbewegten EU-Gegners Jan Lopuszanski. Der jüdisch-kommunistische Alkoholiker Kwasniewski verkaufe die heilige polnische Erde an die Deutschen, so der Tenor.

Doch auch der aufregende Endspurt des ansonsten drögen Wahlkampfes konnte nichts mehr ändern: Kwasniewski, parteilos, aber von seiner früheren sozialdemokratischen Partei unterstützt, siegte klar mit 56,1 Prozent. Der Kandidat der neoliberalen Unia Wolnosci, Andrzej Olechowski, vom Hauch des Noblen umweht und einziger Bewerber, der einen Anzug zu tragen wusste, lag mit 18,1 Prozent abgeschlagen, jedoch noch vor Krzaklewski (13,7 Prozent) auf dem zweiten Platz.

Die restlichen Kandidaten tummelten sich fast allesamt auf der rechten, und damit auch zumeist EU-feindlichen Seite: bäuerlich-legalistisch wie Jaroslaw Kalinowski von der PSL (5,6 Prozent), bäuerlich-kämpferisch, wie Samoobrona (»Selbstverteidigung«)-Chef Andrzej Lepper (2,4 Prozent) oder offen faschistisch wie Tadeusz Wilecki (0,1 Prozent).

Auch der große Elektriker, Revolutionsheld und Ex-Präsident Lech Walesa hatte sich zur Wahl gestellt (»Ich will nicht, aber ich muss«), wurde aber nur von einigen Derangierten oder aus Mitleid gewählt (0,8 Prozent).

Links von Kwasniewski ist nur Piotr Ikonowicz (0,2 Prozent), Vorsitzender der sozialistischen Splittergruppierung PPS (Polska Partia Socjalisticzna) einzuordnen.

Der alte und neue Präsident hatte es im Wahlkampf nicht nur verstanden, die meisten Transformationsgewinnler hinter sich zu scharen, sondern brachte sogar das Kunststück fertig, die Verlierer von der Unvermeidbarkeit einiger vorübergehender »Härten« zu überzeugen. Und er hatte leichtes Spiel. Denn die mühselige Prozedur, Polen weltmarkt- und EU-tauglich zu machen und dabei gleichzeitig den Arbeitern und Bauern ihre Überflüssigkeit zu vermitteln, darf derzeit sowieso die von der AWS-geführte Minderheitsregierung übernehmen. Sie muss sich möglicherweise noch in diesem Jahr vorgezogenen Neuwahlen stellen, sollte sie für ihren Haushaltsabschluss keine Mehrheit im Parlament finden. Der Rechten wird eine empfindliche Schlappe und den Sozialdemokraten die Rückkehr auf die Regierungsbänke prognostiziert.

Im Westen reagierte man erfreut auf die Wahlentscheidung der Polen: »Stabilität ist das bedeutendste Kapital aller EU-Anwärter. Ohne sie ist alles andere nichts. Die Polen haben das begriffen«, kommentierte etwa die Süddeutsche Zeitung. Eine Abkehr vom derzeitigen Kurs sei ein gänzlich unvernünftiges »Abenteuer«.

Beruhigend für den Westen ist auch, dass die »erlebnishungrigen« Leppers, Lopuszanskis und Wileckis zusammen nicht mal auf fünf Prozent kamen. Mit 62 Prozent Wahlbeteiligung hat sich zudem das für Transformationsländer so charakteristische »demokratische Defizit« der Stimmenthaltung entschärft. Nur wenige, wie zum Beispiel einige Anarchisten aus Krakau, meinten, dass 40 Prozent der Gesellschaft die »Wahl zwischen einem Lügner, einem Betbruder, einem Agenten, einem Alkoholiker und einem Verrückten« ablehnten und riefen vor und in Wahllokalen zum Boykott auf.

Im kujawischen Kolno konnte ein Betrunkener einen brennenden Autoreifen vor einem Wahllokal platzieren - ansonsten war der Wahltag genauso wie der Wahlsieger: geräuschlos und unpathetisch.