Rutelli kandidiert für Ulivo

Zweite Republik auf Drittem Weg

Mit Francesco Rutelli hat die italienische Olivenbaum-Koalition einen mediengerechten Kandidaten gefunden. Jetzt muss sie sich nur noch die richtigen Wähler suchen.

Mit lumpigen 41 Milliarden Mark lassen sich die Steuersenkungsfetischisten von der Forza Italia nicht beeindrucken: »Es handelt sich um Trinkgelder, von denen sich die Linke ein bisschen Wählerkonsens erhofft«, schimpfte ihr Wirtschaftsexperte Antonio Marzano über Anfang Oktober vorgestellten Haushaltsentwurf der regierenden Mitte-Links-Koalition. Aber selbst wenn es Regierungschef Giuliano Amato mit den geplanten Steuererleichterungen - vor allem für Familien und Unternehmen - gelingen sollte, die Lieblingsthemen von Forza-Chef Silvio Berlusconi zu vereinnahmen, wird nicht er davon profitieren. Denn der Kandidat der regierenden »Ölbaum«-Koalition (Ulivo), der im nächsten Frühjahr gegen Berlsuconi antreten wird, heißt nicht Amato, sondern Francesco Rutelli und ist bislang Bürgermeister von Rom.

Ende September hatte Amato seinen Verzicht auf eine Kandidatur erklärt und damit die Regierungskoalition vor einer Zerreißprobe bewahrt. Dabei galt es bis dahin als ausgemacht, dass Amato für den Ulivo kandieren werde. Ebenso sicher war, dass er verlieren würde. Denn die Königsmacher in der Koalition mussten sich von Meinungsumfragen belehren lassen, dass Amato mit seinem halb professoralen, halb technokratischen Flair in den Talkshows nicht genug Eindruck hinterlassen würde. Und das zählte schließlich mehr als die Tatsache, dass das ökonomisch-politische Establishment Amato vorgezogen hätte, den es sehr gut kennt.

Rutelli hingegen erfüllt bravourös die wichtigste Anforderung an einen zeitgenössischen Politiker: alles und das Gegenteil von allem sagen und tun zu können. Obwohl er sich lange von jeder Einmischung in die Landespolitik fernhielt, verfolgte er als Kommunalpolitiker von Anfang an das nun anscheinend so nahe Ziel. Das Amt des Bürgermeisters der Hauptstadt diente in der »zweiten Republik« mit ihrer zunehmenden Personalisierung der Politik als hervorragendes Sprungbrett.

Bis 1992, in der »ersten Republik«, hatten weder die Christdemokraten, noch ihre Koalitionspartner eindeutige Führungsfiguren vorzuweisen. Jede Partei war in mehrere, sich häufig umgruppierende Flügel gespalten, und deren Gerangel war die Hauptursache der meisten Regierungskrisen. Keine Partei legte sich vor den Wahlen auf den Namen eines möglichen Ministerpräsidenten fest; dieser wurde erst nach jeder Wahl und jeder Regierungskrise als Ergebnis zäher Verhandlungen bestimmt. Die Politik organisierte sich deshalb nicht, wie in anderen Ländern, um die einige Jahre anhaltende Konfrontation zweier Figuren, sondern war der Reigen eines jahrzehntelang identischen Personenkreises. So sitzt etwa Giulio Andreotti seit 52 Jahren im Parlament.

Ab 1992 führten das neue Mehrheitswahlrecht einerseits und der Durchbruch der Tele-Politik andererseits zur Suche nach dem wirksamsten Gesicht. Und auch auf kommunaler Ebene setzte sich die Personalisierung der Politik fort: Wurden früher die Bürgermeister vom Gemeinderat und damit von den Parteien gewählt, finden seit 1993 Direktwahlen statt. Die Listen, die den Bürgermeister unterstützen, erhalten automatisch die Mehrheit der Sitze im Stadtrat. Tritt der Bürgermeister zurück - wie jetzt Rutelli -, muss neu gewählt werden.

Während die in festen Händen befindliche Rechte ihre Bürgermeisterkandidaten »mit dem Fallschirm abwirft«, wie man im Jargon sagt, ist im Mitte-Links-Feld, wo es an »Führungspersönlichkeiten« fehlt, die Bürgermeisterwürde eine ideale Gelegenheit, als Vertreter des »Volkes« und nicht nur einer Partei aufzutreten.

Stadtoberhäupter wie Rutelli (Rom), Massimo Cacciari (Venedig), Enzo Bianco (Catania) oder Antonio Bassolino (Neapel) rückten von ihren ursprünglichen Parteien ab, stellten sich als Mittler zwischen der Basis und dem »Palast« dar und gründeten die Bewegung der »Hundert Bürgermeister«, die sich bald den Demokraten anschloss. Diese Partei ist einer der zahlreichen, bis jetzt stets gescheiterten Versuche, die zersplitterte Mitte der Mitte-Links-Koalition zusammenzufassen, um mit den Linksdemokraten gleichberechtigt verhandeln zu können.

Bianco und Bassolini stiegen zu Ministern auf. Rutelli aber hielt sich bedeckt. Er wollte höher hinaus. Seine Karriere begann mit dem Sieg in einer epischen Schlacht: Ende 1993 fanden die ersten Kommunalwahlen mit dem neuen Wahlsystem statt. Die politische Konfusion stand auf dem Höhepunkt, die traditionellen Parteien waren verschwunden. In Rom kandidierte Gianfranco Fini, damals noch Chef des offen neofaschistischen MSI, der vom soeben in die Politik eingetretenen Berlusconi unterstützt wurde. Das bedeutete für den MSI das Ende einer jahrzehntelangen Isolierung.

Zur Unterstützung Rutellis bildete sich erstmals die spätere Regierungsallianz aus Ex-Kommunisten und den Resten des linken Flügels der Christdemokraten. Selbst die Aktivisten der damals noch ausnahmslos anarchistischen Centri Sociali wählten zähneknirschend Rutelli, um das Schlimmste zu verhindern.

Ob Rutelli diesen Erfolg wiederholen kann, ist zweifelhaft. Wie fast alle Vertreter der Ulivo-Koalition hat er nur ein Konzept: die politische Mitte erobern und der Forza Italia Stimmen abjagen. Aber seit dem Debakel der Mitte-Links-Koalition bei den Regionalwahlen im Frühjahr, nach dem Verlust historischer linker Hochburgen wie Bologna und Ligurien, sind sich alle Beobachter einig, das Hauptproblem der Linken liege in der wachsenden Wahlenthaltung. Vor allem enttäuschte Ex-PCI-Wähler wählen gar nicht mehr, auch nicht die Rifondazione comunista. Folglich lehnt sie jedes, auch ein rein taktisches, Wahlbündnis mit dem Ulivo ab. Aber um plötzliche Kehrtwendungen ist Parteichef Fausto Bertinotti noch nie verlegen gewesen.

Dabei ist klar, dass die Meisterstrategen des Ulivo lieber auf der Oppositionsbank das Wohlwollen des Industrieverbandes und der Börse genießen, als von einer linken Wählerschaft an die Regierung gebracht zu werden.

Für diesen Zweck ist auch der beste Marketingexperte auf dem Gebiet engagiert worden: Stan Greenberg, der mit seinen Imageberatungen bereits William Clinton, Tony Blair, Gerhard Schröder und Ehud Barak zu ihren Siegen verhalf und sich zur Zeit um Al Gore kümmert, wird sich ab November voll und ganz Rutellis Wahlkampagne widmen. Die Dienste des Marketingexperten werden dringend gebraucht. Denn ausgerechnet am Tag seiner »Krönung« stellte der Rechnungshof fest, Rutelli habe vor Jahren seine privaten Mitarbeiter und Freunde als »Berater der Stadtverwaltung« angestellt. Eine weit verbreitete Praxis, aber nicht gerade imagefördernd.