Revolten vorläufig beendet

Kein Koka, kein Geld

Die rigide Politik des bolivianischen Staates gegen die Kokabauern führt zu Revolten und wachsender Verarmung.

Die Aufstände der vergangenen Wochen in Bolivien haben eine einfache Ursache: die wachsende Armut. Als der demokratisch geläuterte Ex-Putschist Hugo Banzer vor drei Jahren die Präsidentschaft antrat, versprach er, der Armutsbekämpfung oberste Priorität einzuräumen. Seither gilt sozialer Fortschritt neben ökonomischem Wachstum und Weltmarktintegration als Maßstab für den Erfolg seiner Regierung. Aber Banzers Bilanz fällt bislang negativ aus. Fast einen Monat lang war Boliviens Wirtschaft soeben lahmgelegt. Dafür sorgten die Blockaden der Bauern im Hochland und der Kokaproduzenten in den Tropen. Zehn Menschen kamen bei den Auseinandersetzungen ums Leben, es gab 127 Verletzte.

Der letzte dieser schweren Konflikte zwischen Cocaleros und Militär ging vor rund zwei Wochen im tropischen Chapare vorläufig zu Ende. Zuvor war es Präsident Banzer gelungen, die beiden Bewegungen zu trennen. Auf der einen Seite konnte die von der Regierung wegen ihres Mobilisierungspotenzials gefürchtete zentrale Bauernvereinigung ihre Forderungen weitgehend durchsetzen. Die im Zuge der Privatisierung vorgesehene Verteuerung des Wassers wurde zurückgenommen, Ländereien wurden zur kommunalen Aussaat freigegeben und illegale Anbauflächen der Landlosen legalisiert.

Auf der anderen Seite spitzte sich die Konfrontation mit den Kokabauern aber zunächst weiter zu. Unter dem Motto »Null Koka« vernichteten Anti-Drogen-Einheiten Kokafelder, und die Regierung will die betreffenden Gebiete mit Finanzmitteln aus den USA militärisch aufrüsten. Dagegen leisteten die Cocaleros mit wochenlangen Straßenblockaden hartnäckig Widerstand. Sie lehnen es nicht grundsätzlich ab, die Kokainproduktion einzuschränken, sondern fordern lediglich einen »Khatu« je Familie zur Kultivierung mit Kokasträuchern - etwa 1 600 Quadratmeter, die als Überlebensgrundlage für jede Familie der Region gesichert werden sollen. Für die Regierung ist es jedoch absolut indiskutabel, die »Null Koka«-Politik aufzugeben. Um so mehr verwundert es, dass die Blockaden beendet wurden und beide Seiten Mitte Oktober einen Vertrag unterzeichneten, in dem die Cocaleros ihre Forderungen lediglich festschrieben, aber nicht durchsetzen konnten.

Präsident Banzer dürfte mit dieser Entwicklung zufrieden sein. Noch vor zwei Wochen wurde sein Kabinett von der Presse und der Opposition als unfähig bezeichnet, sein Rücktritt wurde gefordert, Bolivien schien vor einer Staatskrise zu stehen. Mit der Trennung der beiden großen Protestbewegungen scheint Banzer aus der schwierigen Situation herausgekommen zu sein. Dafür war neben Banzers Zugeständnissen für die Bauern aus dem Hochland entscheidend, dass er den Konfliktherd in die Tropen verlagern, auf die Kokaproblematik reduzieren und damit die Cocaleros isolieren konnte.

Bei der rigiden Bekämpfung des Drogengeschäftes wird Banzer von den USA getrieben und von Europa unterstützt. Der deutsche Botschafter in La Paz, Joachim Kausch, etwa erklärte, die »internationale Gemeinschaft« würde die bolivianische Regierung tadeln, sollte sie dem Druck der Cocaleros nachgeben. Zudem kann Banzer mit der Unterstützung weiter Teile der bolivianischen Gesellschaft rechnen, die ebenfalls der Auffassung sind, die Verbindung Boliviens mit dem Drogenkreislauf schade dem Image des Landes und der wirtschaftlichen Entwicklung.

Die forcierte Drogenbekämpfung steht aber insbesondere im Zusammenhang des verstärkten Engagements der USA. Ähnlich wie in Kolumbien, wo seit September der Plan Colombia umgesetzt werden soll, hat dieses Thema in der Bolivien-Politik der USA Priorität. Während in Kolumbien die Zusammenarbeit der Regierung mit den USA umfangreicher und offener ist und der Aufstandsbekämpfung dient, bemüht sich Boliviens Regierung, den Schein von Eigenständigkeit zu wahren.

Gleichwohl lassen die Erklärungen des US-Botschafters Manuel Rocha keine Zweifel an der im Hintergrund wirkenden US-Politik. Gegenüber der Tageszeitung Los Tiempos empfahl er Banzer, keine Flexibilität gegenüber den Cocaleros zu zeigen und »nicht einen halben Khatu (für den Koka-Anbau) zu erlauben«.

Zumindest vorübergehend konnte Banzer die Konflikte eindämmen. Doch die Reduzierung der Kokaproduktion hat gravierende Folgen. Zusammen mit dem staatlichen Vorgehen gegen Schmuggel ist sie der Grund, weshalb sowohl das Einkommen der Bevölkerung aus dem informellen Sektor als auch die Inlandsnachfrage in den vergangenen Monaten drastisch sanken.

Der Anteil der bolivianischen Kokaproduktion am Bruttoinlandsprodukt beträgt nach Angaben der Dresdner Bank Lateinamerika fünf bis sechs Prozent. Ungefähr 40 000 Familien, mehrere Hunderttausend Menschen also, sind vom Kokageschäft direkt abhängig. Die Maßnahmen gegen den Koka-Anbau, für die Bolivien immer wieder vom Internationalen Währungsfonds gelobt wird, erweisen sich somit als zweischneidig. Auch der so genannte Demokratisierungsprozess und die Programme der »alternativen Entwicklung«, die Ersatz für den Koka-Anbau schaffen sollen, sind angesichts der sich verschlechternden sozialen Lage kaum mehr denn Legitimationsmaßnahmen für das liberale Modell.

Für die Kokabauern bedeutet die forcierte Drogenbekämpfung einen direkten Angriff auf ihre Existenzgrundlage; das erklärt ihr riskantesVorgehen. Während der Blockaden erklärten sie das am Amazonasrand gelegene Chapare-Gebiet zur »freien Zone der Kokaproduktion«, und die sich regelmäßig an den Barrikaden ablösenden Bauern begannen mit der diesjährigen Aussaat der Koka. Um ein Blutbad zu verhindern, beendeten sie die Konfrontation. Sie dürften die kommenden Wochen nutzen, um sich zu reorganisieren und Kräfte zu sammeln. Für den Fall, dass die Militärs weiterhin Plantagen vernichten, kündigte der Verhandlungsführer der Cocaleros, Evo Morales, schon die Bewaffnung mit Gewehren, Sprengsätzen und Molotow-Cocktails an und warnte vor einer »Kolumbianisierung der Verhältnisse«.

Die »internationale Gemeinschaft« will die Bolivianer glauben machen, das Drogengeschäft sei ihr Problem. Für die Cocaleros sieht das freilich anders aus. Koka in Bolivien bedeutet für sie das, wovon alle reden: ein gesichertes Einkommen, Wirtschaftswachstum und Weltmarktintegration.