Vorbereitungen auf den EU-Gipfel in Nizza

Väterchen Frust

Beim Gipfel in Nizza wird über die künftige Machtverteilung in der EU entschieden.

Seine Arbeit sei »schwierig und frustrierend« gewesen, beklagte sich vergangene Woche Frankreichs Europaminister Pierre Moscovici. Die französische EU-Ratspräsidentschaft, die im Dezember endet, habe bisher kaum Erfolge verzeichnen können. Kurz vor dem Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 7. und 8. Dezember in Nizza werden nicht nur die französischen Vertreter nervöser. Auch aus anderen EU-Staaten heißt es, die monatelangen Verhandlungen über eine Reform der europäischen Institutionen seien wenig inspirierend verlaufen.

Bereits auf der Regierungskonferenz in Biarritz Mitte Oktober, die den EU-Gipfel vorbereiten sollte, zeichneten sich deswegen heftige Konflikte ab. Gestritten wurde dort insbesondere über die künftige Machtverteilung in der Union. Die größeren Mitgliedsstaaten wollen die Zahl der EU-Kommissare verringern, da wegen der geplanten Aufnahme der osteuropäischen Beitrittskandidanten die Kommission handlungsunfähig zu werden drohe.

Für die kleineren EU-Länder hätte dieser Vorschlag jedoch zur Folge, dass sie künftig zumindest zeitweilig ihre Stimme einem gemeinsamen Vertreter übertragen und auf einen direkten Einfluss in der Kommission verzichten müssten. »Wir sind nicht bereit, einer neuen Kräfteverteilung in der EU zuzustimmen, nach der ein paar Länder wie Portugal weniger wichtig werden oder sogar ganz unbedeutend, und andere die Entscheidungen in Europa unter sich ausmachen«, schimpfte Portugals Europaminister Francisco Seixa da Costa. »Es wird keinen Vertrag von Nizza geben, wenn nicht jedes Land nach der EU-Erweiterung einen eigenen Kommissar in Brüssel erhält«, stimmte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncke zu.

Die größeren EU-Länder versuchen nun den Unmut abzuschwächen, indem sie sich für ein Rotationsmodell aussprechen. Demnach wären auch die fünf mächtigsten Mitgliedsstaaten - Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien - nicht zu jedem Zeitpunkt in der Kommission vertreten. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass etwa Deutschland als bevölkerungsreichstes Land und ökonomisches Schwergewicht in der Union im selben Maße Entscheidungen gegen seinen Willen hinnehmen wird wie beispielsweise Griechenland oder Dänemark.

In Biarritz kam es wegen dieser Frage zu einem heftigen Schlagabtausch. »Sie wollen die Macht«, wetterte der belgische Premierminister Guy Verhofstadt und meinte damit vor allem die deutschen und französischen Vertreter. Denn insbesondere Frankreich hat in den vergangenen Wochen aggressiv auf die Vorbehalte der kleinen EU-Staaten reagiert.

Wenn diese Länder ihren Widerstand nicht aufgäben, könne man die europäische Integration auch zunächst nur mit einigen wenigen Partnern weiterführen, drohte kürzlich der französische Staatspräsident Jacques Chirac. Damit erinnerte er an die Kerneuropa-These, die die deutschen Christdemokraten Karl Lamers und Wolfgang Schäuble bereits 1994 formuliert hatten.

Der deutsche Außenminister Joseph Fischer hatte im Frühjahr diese These in seiner Rede von einem europäischen »Gravitationszentrum« erneut aufgegriffen. Deutschland und Frankreich sollten demnach als eine Art europäische Führungszentrale fungieren, um die sich die restlichen Mitgliedsstaaten in konzentrischen Kreisen anzuordnen hätten.

Dass die Entwicklung innerhalb der EU in diese Richtung geht, zeigt sich in einem weiteren Reformprojekt, dass in Nizza beschlossen werden soll: Entscheidungen sollen nicht mehr wie bisher im Konsens, sondern mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen werden. Vor dem Gipfel haben sich die EU-Minister bereits auf eine Liste von 30 Artikeln geeinigt, bei denen künftig nicht mehr das alte Konsensprinzip gilt.

Was die EU-Kommissare betrifft, so haben Belgien und die Niederlande bereits Kompromissbereitschaft signalisiert. Ab einer bestimmten Zahl von Neuaufnahmen soll die Größe der Kommission automatisch begrenzt werden. Hingegen bleiben Schweden, Dänemark, Irland, Österreich und Griechenland bisher skeptisch. Deutschland hat sich in dem Konflikt bislang zurückgehalten. Doch in Frankreich wird mittlerweile Kritik an der deutschen Haltung laut. »Die Zwietracht setzt sich zwischen Berlin und Paris fest«, konstatierte die konservative Tageszeitung Le Figaro vergangene Woche.

Die deutsche Regierung verdächtige Paris unverhohlen, die Ost-Erweiterung bewusst zu hintertreiben, um eine Ausweitung deutschen Einflusses innerhalb der EU zu verhindern. Andererseits reagiert die französische Regierung verärgert auf den Wunsch Berlins, dass kein Beschluss in der EU gegen die bevölkerungsreichsten Staaten getroffen werden dürfe. Und das ist in erster Linie die 80 Millionen starke Bundesrepublik.

Auf jeden Fall verlangt Bundeskanzler Gerhard Schröder, dass die vier »Großen« unter den EU-Ländern - Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien - über ein doppeltes Stimmrecht verfügen müssten. Da Deutschland voraussichtlich auf die Unterstützung der osteuropäischen Beitrittsländer zählen kann, könnte es damit seine Dominanz in der EU weiter ausbauen. Deutschland versuche jedoch, nicht allzu offensiv aufzutreten, da sonst das Risiko bestünde, »dass alle anderen Mitgliedsstaaten sich bei den Abstimmungen gegen Berlin zusammenschließen«, kommentierte der Figaro.

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche in Nizza eintreffen, werden sie sich jedoch nicht nur mit diesen Konflikten beschäftigen müssen. Zum Auftakt des Gipfels wird am 7. Dezember eine internationale Großdemonstration stattfinden. Aufgerufen hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB). Und auch das gesamte linke und radikale Spektrum wird bei diesem Anlass auf der Straße vertreten sein.