Ausbeutung von Rohstoffen in Chiapas

Angriff der Biopiraten

In Chiapas herrscht Goldgräberstimmung: Internationale Konzerne wollen sich die Biodiversität als strategischen Rohstoff sichern.

In den Dörfern von Chiapas im Südosten Mexikos ist Brent Berlin kein gern gesehener Mann. Brent Berlin ist ein kalifornischer Anthropologe und forscht als Chef der US-amerikanischen International Collaborative Biodiversity Group (ICBG) nach Naturstoffen. Für diese Tätigkeit erhält er von der ICBG umgerechnet rund 50 000 Mark monatlich und von den chiapanekischen Dorfbewohnern den Namen »Pukuj«, der Teufel. Die ICBG ist eine Koordinationsstelle der US-amerikanischen Regierung, in der Institutionen wie das nationale Gesundheitsministerium oder die Landwirtschaftskammer vertreten sind. Sie unterhält eine Datenbank, in der Gendateien von Pflanzen, Tieren und Menschen aus den unterschiedlichen Teilen der Erde gespeichert sind. Mit diesen Dateien wird ein lukrativer Handel getrieben.

Auf der Suche nach Stoffen, die vermarktet werden können, sind Organisationen wie die ICBG nicht zufällig im Gebiet der Maya tätig. Im Gebiet zwischen Usumacinta und dem Pazifik treffen sie auf eine einmalige Vielfalt in der Pflanzen- und Tierwelt.

In nur zehn Ländern der Erde kommen 70 Prozent aller bekannten Tiere und Pflanzen vor. Mexiko steht unter den Ländern der Megadiversität an sechster Stelle. Mehr als 52 Prozent seiner Gefäßpflanzen sind endemisch, das heißt, dass sie an keinem anderen Ort vorkommen. Allein in Chiapas gibt es 18 verschiedene Vegetationszonen. Von seinen schätzungsweise 12 000 Blütenarten sind 8 500 bereits registriert.

Die Verfügbarkeit der biologischen Vielfalt als strategischer Rohstoff spielt in der so genannten Life-science-Forschung internationaler Konzerne eine zentrale Rolle. Da die Medizin heute in vielen Bereichen in einer Sackgasse angelangt ist, Antibiotika und Mittel zur Pilzbehandlung auf immer mehr Resistenzen stoßen, erhofft man sich »neue« biologisch wirksame Substanzen aus den Tropen. Hierbei sind die High-Tech-Konzerne des Nordens auf marginalisierte Bevölkerungsgruppen im Süden angewiesen.

Das Wissen der Tzotziles und Tzeltales, Nachkommen der Maya in der Zone Los Altos de Chiapas, über die Natur und die Nutzung der Pflanzen erspart biotechnologischen Konzernen erhebliche Kosten auf der Suche nach eventuell verkäuflichen Substanzen. Insgesamt wurden mithilfe der indigenen Bevölkerung von Chiapas etwa 1 800 Heilpflanzen identifiziert. Das komplexe medizinische Wissen, welches bisher zwischen den Heilern der verschiedenen Regionen frei ausgetauscht wurde, ist als Allgemeingut gefährdet, sobald es in die Hände biotechnologischer Konzerne oder ihrer Mitarbeiter gelangt. Lässt sich ein Pharmakonzern eine lokal vorkommende Pflanze oder auch nur eine aus ihr gewonnene Substanz patentieren, so ist es vorbei mit der kostenlosen Nutzung.

Die illegitime oder illegale Aneignung indigenen Wissens wird von der indigenen Bevölkerung als Biopiraterie oder Biokolonialismus bezeichnet. Die Vorstellung, dass jemand etwas privatisieren kann, was allen gehört und schon immer gehörte, ist ihr fremd.

In Chiapas setzt sich der Rat der Organisationen traditioneller indigener Heiler und Hebammen (Compitch) für die sofortige Aussetzung des Projektes ICBG-Maya ein. Die ICBG hat in Chiapas einen Fünfjahresplan aufgestellt. Vom Januar 1998 an, so sieht es der offizielle Plan vor, sollte ein Inventar der Gefäßpflanzen in 30 Landkreisen der Region Los Altos de Chiapas erstellt werden. Man erwartet ungefähr 5 000 Arten, viele davon endemisch.

Die für die Pharmaindustrie nützlichen Substanzen werden von der Universität in Georgia erforscht. Die Kontakte zu den indigenen Schamanen und Heilern stellt zum einen Brent Berlin her, zum anderen die lokale Universität Ecosur. Diese organisiert die Ernte, die Universität in Georgia isoliert verwertbare Substanzen, die dann nach Wales zur Moleculare Nature Limited (MNL) geschickt werden. Dort werden industriell herstellbare Produkte entwickelt.

Hauptkunde der MNL ist Glaxo Wellcome, einer der größten Pharmakonzerne weltweit mit allein 13 Milliarden US-Dollar Umsatz aus biotechnologischen Produkten. Für die Nutzung der Patentrechte zahlt Glaxo ein Prozent des Verkaufserlöses an die walisische Firma. Ein Viertel davon sollen die chiapanekischen Gemeinden erhalten, und zwar in Form von Entwicklungsprojekten, die die ICGB kontrollieren will. Gezahlt wird jedoch nur, wenn ein Produkt aus der Pflanze entwickelt und das Herkunftsland nachgewiesen wird. Die Entwicklungshilfeprojekte sind bis jetzt noch nicht verwirklicht. Der Transfer interessanter Substanzen in den Norden geht indes weiter.

Die internationale Patentgesetzgebung hat sich trotz grundlegender Änderungen in den letzten Jahren nicht als wirksames Mittel gegen die neokoloniale Ausbeutung von Naturstoffen aus Ländern des Südens erwiesen. Im Gegenteil. Auf der Konferenz von Stockholm wurde Pflanzenmaterial noch 1972 als das gemeinsame natürliche Erbe der Menschheit angesehen, für das keine exklusiven Nutzungsrechte erteilt werden konnten. Zwanzig Jahre später, auf dem Gipfel von Rio, sorgten die Länder des Südens mit der Konvention für biologische Vielfalt dafür, dass das Recht auf die Nutzung der Ressourcen bei den Ländern liegt, aus denen sie stammen. Damit schien auf den ersten Blick gewährleistet, dass sie die Kontrolle über ihre Ressourcen wieder in der Hand hatten.

Die USA haben jedoch die Konvention für biologische Vielfalt bis heute nicht ratifiziert. So wurde die Formulierung des Vertragstextes, die das Nutzungsrecht für eine Resource an das Territorium des Landes bindet, zum Auslöser für neue Aktivitäten US-amerikanischer Konzerne. Gerade in den letzten Jahren bemühen sie sich darum, eine Fülle von pflanzlichen Stoffen zu importieren. Mit dem großzügigen Angebot einer kostenlosen Inventarisierung des Bestandes ist der Botanische Garten von St. Louis, Missouri, derzeit dabei, eine Medizinalpflanzensammlung mit Material aus dem Nordosten Chinas zusammenzustellen. Der Transfer der Pflanzen in die USA ist ausdrückliche Bedingung des Vertrages. Und St. Louis ist nicht zufällig Firmensitz des Saatgut- und Pharmaherstellers Monsanto.

Doch nicht nur der Süden ist Gegenstand des Interesses. Auch der Londoner Chelsey Physics Garden, die weltweit größte Sammlung an Medizinalpflanzen, ist seit 1996 im Besitz des US-amerikanischen Handelsunternehmens für biologische Stoffe Phytera. In dem Vertragstext mit dem Bio-Broker ist es dem botanischen Institut ausdrücklich untersagt worden, die Herkunftsländer der botanischen Kostbarkeiten über den Verkauf zu unterrichten. Man befürchtete verärgerte Reaktionen.

Auch der »Vertrag über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums« (Trips) diente letztlich der Durchsetzung der Interessen der Life-sciences-Unternehmen. Die 1994 in Marrakesch geschlossene Übereinkunft schloss biologisches Material ausdrücklich in das weltweite Patentrecht ein. Damit wurde der Privatisierung von Stoffen aus der Natur Tür und Tor geöffnet. In den USA waren bereits zuvor Auszüge aus Pflanzenmaterial, so genannte Mikroorganismen, als »biologische Maschinen« patentiert worden. Die Patentnehmer können mit der Überlastung der Patentämter rechnen, die eine fachliche Prüfung der Rechtmäßigkeit solcher exklusiven Nutzungsrechte gar nicht leisten können.

Aufsehen erregte der Fall eines Professors der Universität Wisconsin, der das in Indien seit Jahrhunderten bekannte Wundheilmittel aus der als Gewürzpflanze bekannten Curcuma longa als Patent in den USA anmelden ließ. Erst als die indische Regierung klagte, wurde das Patent annulliert. In den übrigen Fällen gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Auch das europäische Patentrecht erweist sich nicht gerade als Schutz vor fleißigen Life-sciences-Abteilungen. In der europäischen Richtlinie für biotechnologische Erfindungen muss bisher weder die Herkunft des fraglichen Stoffes festgehalten noch die Einwilligung der Menschen aus der Ursprungsregion eingeholt werden. Wie es die Molekularbiologin Christine von Weizsäcker von NRO Ecoropa ausdrückt: »Man hat es immer mit Hehlerware zu tun.«

In den USA wurde die Patentierung von Endprodukten und nicht von Herstellungsverfahren zuerst angewandt. Sie ermöglicht es, dass die »Entdeckerfirma«, die das Produkt, eine bestimmte Weizensorte aus Afrika beispielsweise, analysiert hat, in den USA ein Patent erhält. Diejenigen dagegen, die sich Jahrhunderte um den Erhalt und die Pflege der Sorte kümmerten, gehen leer aus. Das gravierendste Beispiel bisher betrifft eine Weizenseuche in den USA, gegen die einheimische Sorten nicht resistent waren. Hilfe kam in Form einer Weizenlieferung aus Äthiopien, wo seit Jahrhunderten eine besondere Artenvielfalt gepflegt wurde. Mit dem äthiopischen Weizen konnten die amerikanischen Sorten gegen die Erkrankung immunisiert werden. Eine Vergütung für diese Rettung der US-Weizenernte hat es jedoch nie gegeben.

Die durch die Lücke in der Konvention für biologische Vielfalt benachteiligten Länder des Südens arbeiten seit der Vertragsstaatenkonferenz in Nairobi im Mai mit der EU an einer neuen Formulierung. Darin sollen der Zugang und die Nutzung von Ressourcen zusammenhängend geregelt sein. Wirksam werden diese neuen Regeln erst in einigen Jahren. Bis dahin kann weiterhin Naturgut privatisiert werden.