DB plant Massenentlassungen

McKinsey fährt Bahn

Wirtschaftsprüfer arbeiten daran, dass die DB künftig mit noch weniger Personal noch höhere Preise anbieten kann.

Aus der Sicht des Kunden ist die Lage eindeutig. Für 229 Mark kommt man mit der Lufthansa von Berlin nach Stuttgart und wieder zurück. Die gleiche Strecke im ICE kostet selbst mit der Bahncard 270 Mark. Und trotz des günstigeren Preises gibt es im Flugzeug sogar noch den Kaffee umsonst. Außerdem sind die Passagiere in den DB-Zügen spätestens seit Ende November mit einem Personal konfrontiert, das aus guten Gründen unzufrieden ist.

Noch im Frühjahr hatte die Gewerkschaft der Eisenbahner Transnet die betriebsbedingte Kündigung von einem Viertel der etwa 240 000 Beschäftigten verhindern können. Ihr vor zwei Wochen mit realsozialistischer Mehrheit bestätigter Vorsitzender Norbert Hansen (SPD) hatte damals einen Streik angedroht, »wie ihn das Land noch nie erlebt« habe.

Doch jetzt unternimmt das Bahn-Management unter der Leitung von Hartmut Mehdorn einen neuen Anlauf, Massenentlassungen durchzusetzen. Eine gemeinsam mit der Controlling-Firma McKinsey erarbeitete Studie sieht vor, nicht nur, wie ursprünglich geplant, ein Viertel, sondern die Hälfte der Arbeitsplätze abzubauen. Der neoliberale Sanierungsberater und die Bahn-Spitze sehen das Problem des Unternehmens vor allem in den angeblich zu hohen Lohnkosten. Jede Woche, so die Wirtschaftsprüfer von McKinsey, entdeckten sie bei ihrem Kehraus neue Milliardendefizite, mit denen die Bahn-Führung nicht gerechnet habe. Grundsätzlich ausgeschlossen werden könne deshalb nicht einmal die Streichung von mehr als der Hälfte des bestehenden Zugangebots.

Was die Privatsanierer jetzt an Verlusten und Zukunftsplänen skandalisieren, ist im Prinzip seit Jahren bekannt. (Jungle World, 15/00) Spannend ist jedoch der Zeitpunkt, an dem der neueste Versuch eingeleitet wird, die Beschäftigten in Deutschlands letztem fordistischen Großbetrieb gar zu kochen. Denn nur bei der Bahn arbeitet noch eine Viertelmillion Menschen für einen Arbeitgeber, unter einem Tarifvertrag und damit unter annähernd gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen, auch wenn die Zerlegung in fünf Aktien- und über dreißig kleinere Tochtergesellschaften schon weit fortgeschritten ist.

Die Botschaft vom fehlenden Geld soll den Blick auf die Lohnkosten lenken. Diese zu senken wäre doch immer noch besser als ein kompletter Bankrott der Bahn, lautet die geschickte Erpressung. Niemand jedoch stellt die Frage, wer etwa den Auftrag für den zehn Milliarden Mark teuren Lehrter Bahnhof in Berlin - die größte freischwimmende Betonplatte Europas - vergeben hat. Alternative Planungen für die technische Modernisierung der Berliner Stadtbahn aus dem Jahr 1990 hatten Kosten von lediglich einer Milliarde Mark vorgesehen.

Doch schon im Frühjahr beschloss der Aufsichtsrat der Bahn, keine kriminalistische Aufarbeitung der letzten Geschäftsjahre zu betreiben. So werden die stadtbekannten Betonbauer ihre im Berliner Sand verbuddelten Milliarden wohl behalten dürfen, auch wenn sich mit den Geldern für den neuen Berliner Zentralbahnhof die angebliche Unterdeckung der Lohnkosten über drei Jahre hinweg ausgleichen ließe, und zwar für alle Beschäftigten der Bahn.

An diesen Milliardenlöchern ist allerdings auch die Privatisierung des dritten großen Staatsbetriebs nach der Post und der Telekom gescheitert. Der ursprünglich für das Jahr 2000 geplante und dann auf das Jahr 2004 verschobene Börsengang der Bahn AG wurde deshalb Ende letzten Monats bis auf weiteres abgesagt.

Der Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn, ein ehemaliger Airbus-Manager, nennt zwar im Unterschied zu seinen Vorgängern das Desaster offen beim Namen, gleichzeitig kennt er als neoliberaler Sanierer nur eine Antwort auf die Probleme: runter mit den Kosten, Abstoßen der unprofitablen Teile und Konzentration auf die Profit versprechenden Bereiche, vor allem also auf den Fernverkehr zwischen den acht großen Knotenpunkten. Das gesellschaftliche Anliegen, die Mobilität aller zu sichern, ist ihm fremd. Seine Aufgabe sieht Mehdorn vielmehr darin, die Bahn gegen den alten Klüngel aus Gewerkschaften und Bürokraten börsenfit zu machen.

Wie bisher kann es in der Tat nicht weitergehen. Eine Alternative zur neoliberalen Variante McKinseys und Mehdorns hat eine Autorengruppe um den Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf parat. In ihrem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Manifest »Bürgerbahn statt Börsenwahn« schreibt sie, dass die Bahn angesichts des Bankrotts der Verkehrspolitik vor einer Grundsatzentscheidung stehe, und fordert »eine moderne wirtschaftliche Flächenbahn für die ganze Republik als ernst zu nehmende Alternative zum unerträglich wachsenden Straßenverkehr«. Es gelte, die grundsätzliche Benachteiligung der Bahn zu beseitigen: »Der entscheidende Faktor ist dabei die Tatsache, dass bei Straße, Binnenschifffahrt und Flugverkehr die Infrastruktur Sache des Staates ist, bei der Schiene jedoch die Bahn für diese aufzukommen hat.«

Doch was erwarten sich die Autoren eigentlich vom Verkehrsminister eines Kanzlers aller Autos? Wer letztlich den Preis für die Umwandlung der Bahn in einen rentablen Betrieb bezahlen wird, bleibt weiter offen. Da mit der Kampfkraft der Gewerkschaft durchaus zu rechnen ist, denkt das Management der Bahn an die Fahrgäste.

Zum Euro-Start am 1. Januar 2002 ist die Einführung eines neuen Preissystems geplant. Mit der Bahncard soll es dann nur noch 25 Prozent Rabatt geben, es sei denn, man bucht schon sieben Tage im Voraus. Das schäbige Trostpflaster: Kinder unter 14 Jahren können in Begleitung ihrer Eltern gratis fahren, und auch bei Sonderpreisen gilt künftig die Karte. Teurer wird es natürlich trotzdem, mit der Bahn nach Frankfurt/Main zu fahren. Ob es dann wenigstens den Kaffee umsonst gibt?