Die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße

Superdeutschland schlägt die Slawen

Gefährliche Orte CXX: Die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Heute lehren hier Antikommunisten, wie schrecklich die DDR war. Und wer schuld daran ist.

Wer war eigentlich schuld an der DDR? Diese Frage ist gar nicht so schwer zu beantworten. Im Foyer der Berliner »Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße« in Berlin-Lichtenberg, die sich auch gern »Stasimuseum« nennt, steht Frau Schmidt inmitten einer neugierigen westdeutschen Schulklasse und kennt die Antwort: Der Schuldige heißt Karl Marx. Seine Büste steht schräg hinter ihr. Karl Marx nämlich, weiß Frau Schmidt und zeigt mit dem Finger auf den bösen bärtigen Mann, sei der »theoretische Begründer des DDR-Gesellschaftssystems«.

Aber Frau Schmidt, die regelmäßig Besuchergruppen durch die ehemaligen Amtsräume des DDR-Geheimdienstchefs Erich Mielke leitet, weiß noch mehr. Im Rahmen ihrer politischen Aufklärungsarbeit berichtet sie beispielsweise, dass die DDR eine »Meinungsdiktatur« gewesen sei - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland. Alle gesellschaftlichen Bereiche wurden umfassend »verwanzt und bespitzelt«. »De facto war die Stasi überall«, erläutert die ehemalige Bibliothekarin. Auch und gerade in den Fernsprechgeräten: »Im Telefon hat's immer geknackt. Man wusste nie: Ist da einer drin oder keiner?«

Eines aber war nach der Ansicht der Sozialismus-Expertin immer klar: Dass im Osten alles verboten war, was aus dem Westen kam. Und warum? »Man wollte, dass die Leute mehr aus Moskau beeinflusst werden.« Ein vorlauter Knirps erdreistet sich zu fragen, weshalb diese Art osteuropäischer Indoktrinierungsversuche in der DDR nicht funktioniert habe. Aber auch auf solche spitzfindigen Einwürfe ist Frau Schmidt vorbereitet: »Diese slawische Lebensweise lag den Deutschen nicht so.« Besser kann wohl kaum einer den Urgrund der deutsch-deutschen Wiedervereinigung zusammenfassen.

Frau Schmidt weiß, wovon sie spricht. Als zusammenkam, was zusammengehörte, war sie in der im März 1990 gewählten DDR-Volkskammer als Mitarbeiterin in der Pressearbeit tätig. Heute führt sie für die »Antistalinistische Aktion« durch die Dauerausstellung des Hauses. Die frühere Zentrale der DDR-Staatssicherheit wird seit nunmehr zehn Jahren von so genannten Bürgerrechtlern verwaltet und für ihre Art der DDR-Geschichtsschreibung genutzt. Der das Museum betreibende Verein heißt nicht zufällig »Antistalinistische Aktion«. Hier im Haus fühlen sie sich alle heimisch: stramm rechte Ex-Dissidenten wie Wolfgang Templin, Angelika Barbe und Freya Klier wie irgendwelche Verbände, die sich auch heute noch vom Stalinismus verfolgt wähnen. Gerne vergleichen sie sich mit den Verfolgten des Nationalsozialismus und fordern statt des Holocaust-Mahnmals ein »Mahnmal zu Ehren aller durch Diktaturen Ermordeten«.

Die Instrumente der Stasi-Schreckensherrschaft sind ernüchternd langweilig. Im ersten Stock wird man zunächst an Abhörwanzen, Stasi-Devotionalien, in Handtaschen und Bäumen eher schlecht versteckten Kameras und anderen Observierungsgerätschaften aus den siebziger Jahren vorbeigeführt. Dann geht es zum Kernstück der Ausstellung: Erich Mielkes holzgetäfelte Büroräume, ein Ort des Schreckens. Hier herrscht ein Maß an Biederkeit, wie es für den deutschen Kleinbürger charakteristisch ist. Sogar die obligatorische Wald- und Wiesenmalerei hängt an der Wand. Die unerschrockene Referentin setzt ihre Geschichtsstunde der besonderen Art fort und plaudert beflissen von ihren Intimkenntnissen über das ehemalige Politbüro: »Weil die so alt waren, haben die alle Aufbauspritzen gekriegt. Wir im Volk haben immer nur auf die biologische Lösung gewartet.«

Nachdem Mielkes Räumlichkeiten und ihre scheußliche Atmosphäre endlich durchquert sind, werden Videofilme von der »friedlichen Revolution« der DDR-Bürger gezeigt: Bilder eines fanatisierten, grölenden Mobs, der die Grenzanlagen zur BRD überrennt. Und damit die dokumentarischen Filmausschnitte von den Schülern auch richtig interpretiert werden, hilft Frau Schmidt ein wenig nach: »Die DDR-Bürger waren sehr gewaltlos, sehr friedlich. Sie haben immer nur mit Kerzen demonstriert. Ich habe es den Deutschen gar nicht zugetraut, dass sie das so aggressionslos machen konnten.« Und weiter im Text: »Der Fall der Mauer war ein bedeutender Augenblick. Man hatte in der DDR immer ein deutsches Nationalbewusstsein. Und die Freude über die Einheit ist ja auch heute noch da.« Die Schüler nicken verständig. Die Botschaft ist bei ihnen angekommen: Friedensdeutschland, Freiheitsdeutschland, Freudendeutschland.

Damit aber noch nicht genug von der DDR-Opposition und ihrem friedlichen Kampf gegen die kommunistische Gewaltherrschaft. Chronologisch angeordnete Schautafeln erzählen in der darüber liegenden Etage ihre kurze Geschichte - und ihr Happy End. Eine riesige Farbfotografie des Berliner Reichstags bildet den krönenden Abschluss der Ausstellung. Die Inschrift »dem deutschen Volke« wird beschienen vom bunten Licht eines Freudenfeuerwerks. Auf dem Bild daneben winkt ein strahlender Helmut Kohl. So farbenfroh und lebendig kann Geschichtsunterricht sein. Und natürlich gibt es auch hier etwas zu lernen: dass wir froh und dankbar sein können über die deutsche Wiedervereinigung.

Am Ende der Führung sitzt man bei einem Tässchen Kaffee in gemütlicher Runde beisammen. Ganz ungezwungen. Frau Schmidt nutzt die Situation und holt zu ihrem letzten, entscheidenden Schlag aus. Sie erzählt eine den Tag abrundende Anekdote. Eine Bekannte von ihr sei einmal in der Sowjetunion gewesen und habe mit Bitternis feststellen müssen, dass dort »Hungersnot« herrsche und die alten Menschen »keine Prothesen und auch keine Brillen« hatten. Aus Mitleid mit einem beinahe erblindeten Sowjetmütterlein habe sie dieser ihre Brille geschenkt: »Da konnte die alte Frau plötzlich wieder lesen, fiel auf die Knie und hat ihr den Rocksaum geküsst.«

Der Lehrer, mindestens genauso beeindruckt von der geschilderten Wunderheilung wie seine Schüler, bedankt sich schließlich im Namen seiner Klasse für die detailreiche Geschichtslektion der sachkundigen Referentin. Mit den passenden Worten: »Der Nationalsozialismus ist ja nun schon eine Geschichte, die in weiter Ferne liegt und von der die Schüler nichts mehr wissen. Da ist es schön, dass Sie uns die DDR mit Ihrem persönlichen Lebensschicksal so anschaulich nahe gebracht haben.« Alle sind zufrieden.

Warum auch so viel Aufhebens machen um eine Sache, die ja eh nicht viel anders ist. Nationalsozialismus, DDR, Sozialismus, Faschismus, und so weiter - alle haben früher gelitten, als die Bösen an der Macht waren. Wer wird da denn so kleinlich sein und das gegeneinander aufrechnen wollen?

Und falls Sie mal Fragen nach dem Wesen des DDR-Sozialismus im Allgemeinen oder dem Undeutschen an der slawischen Lebensweise im Besonderen haben sollten: Fragen Sie einfach Frau Schmidt vom Stasimuseum, die sicher gern bereit ist, auch Ihre Kinder aufzuklären.