»Post von Wagner« für Madonna

Pop macht frei

Seitdem der ehemalige Chefredakteur der B.Z., Franz Josef Wagner, keinen festen Arbeitsplatz mehr hat, schreibt er regelmäßig für Bild eine Kolumne. »Post von Wagner« heißt sie. Wagner gilt als Erfinder des Drei-Satz-Romans, und der geht so: Lolita und Matthäus waren das Traumpaar, nun ist Lolita ausgezogen. Matthäus weint, und kann es nicht verstehen. So ist Liebe, mit schönem Anfang und hartem Ende.

Wagner wurde in Journalistenkreisen für die Schlagzeilen, die er der B.Z. verpasste, verehrt und wird nun wegen seiner Kolumne geliebt. Der Text hat immer die Form eines persönlichen Briefes, und selbst Gott bekam schon »Post von Wagner«.

Der Kolumnist schreibt nicht straight eine Meinung auf, sondern nimmt eine ungewöhnliche Position zu einem allgemein diskutierten Thema ein, kommt aber von dort aus zum gleichen Ergebnis wie alle anderen auch. Man kennt das von anderen Großmeistern des Kitsches. Erst herrscht Verwirrung, dann entsteht ein scheinbar unlösbarer Konflikt, und plötzlich gibt es nur noch Konsens und Heiterkeit.

So lobte Wagner den aus Ghana stammenden deutschen Nationalspieler Gerald Asamoah einmal dafür, dass der Fussballer die deutsche Nationalhymne nicht mitsingt, um ihn im nächsten Moment entschlossen einzugemeinden: »Für mich persönlich ist Gerald Asamoah mein uralter Vetter, irgendwann früh in der Entwicklungsgeschichte der menschlichen Spezies kämpften wir gemeinsam gegen Löwen und Tiger. Willkommen, Deutscher.«

Irgendwann trennten sich also aus wundersamen Gründen die Wege, die einen blieben bei den Löwen, die anderen wurden Wagner. Da der Journalist glaubt, dass Asamoah, der »vom reinen Schwarz Afrikas« sei, »mit Ghana« und den Löwen nicht weiterkomme und dass der deutsche Fussball auch nicht weiterkomme, heißt Wagner seinen Vetter, der »bei uns«, also für uns spielt, in Deutschland willkommen. Das ist der wirre Dreigroschenroman zur Green Card.

Mit derselben gönnerhaften Geste hat er in der vergangenen Woche Madonna umarmt. Wegen ihres Besuchs in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wird Wagner, was Restdeutschland schon längst war, Madonnas »Fan«. Denn: »Es ist gut, dass Sie bei den Toten waren, normalerweise werden sie nur von Politikern besucht. Im KZ Sachsenhausen wurden auch Kinder und Teenager vergast. Ich denke, dass die Seelen Ermordeter nicht altern.« Fühlen sich die jungen Toten nach dem Besuch des Popstars besser? Ein bisschen schon. Die Toten »werden sagen: Madonna war bei uns«.

Madonna befreit also die Toten, das heißt: Sie ist wie Gott. »Wo war Gott?« fragt Wagner und ernennt Madonna zur Ersatz-Erlöserin. Dann gibt es bei ihm noch die »gottlosen Mörder«; sie bleiben, weil gottlos, unbefreit. Wer aber sind für ihn die zu Erlösenden? Vorsicht, Madonna! Die Gruppe der Opfer des Faschismus ist größer, als es in Amerika bisher bekannt war. »Ich hoffe nicht«, mahnt Wagner deshalb, »dass Sie Ihre 40 000 Sie umjubelnden Fans in Berlin, dass Sie uns Deutsche mit jenen Gottlosen gleichsetzen.« Die Gottlosen, das sind die anderen, die Täter. Wir Deutschen aber, was sind wir? »Wir sind alle Opfer Hitlers.«

Und deshalb lassen wir uns im KZ Sachsenhausen von Madonna erlösen. Eine perversere religiös verbrämte Fickphantasie wurde bisher nicht gedruckt.