Friedensprozess in Nordirland

Friede in Waffen

In Nordirland droht das Karfreitagsabkommen an der ausbleibenden Entwaffnung der Konfliktparteien zu scheitern.
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Die »Friedensdividende« Nordirlands zeigt sich in Belfasts Innenstadt an der großen Zahl der Anzugträger, die zur Mittagszeit auf Ledersesseln einen Café latte zu sich nehmen, während rund um die City Hall eine Gruppe Gucci-Teenager-Punks vor allem cool ist. Man sieht dem frisch sanierten Stadtzentrum die hohen ökonomischen Wachstumsraten Nordirlands an, die Belfast seit 1998, als die irisch-katholischen Nationalisten und die protestantischen Unionisten das so genannte Karfreitagsabkommen schlossen, zu einer Boom-town gemacht haben. Die niedrigen Löhne und staatliche Anreize haben viele große Unternehmen in die britische Provinz gelockt.

Doch nur fünf Minuten von den schicken Cafés entfernt beginnt das andere Belfast. In der Shankill Road, dem »Herzland der Loya-listen«, wie die Graffitti verkünden, hat sich nicht viel geändert. Statt Designerklamotten gibt es hier vor allem identitätsstiftende T-Shirts und Fahnen zu erstehen. An den Häusern wehen britische Union Jacks, über die Straße sind blau-weiß-rote Wimpel gespannt, Wandgemälde zeigen heroische Paramilitärs mit Maschinenpistolen, und sogar der Straßenrand ist in britischen Farben bemalt. Die demonstrative Militanz soll den Katholiken zu verstehen geben, dass sie sich hier besser nicht aufhalten. Ansonsten ist die Gegend vor allem arm. Statt Anzug trägt man hier Unterhemd.

Der Nordirlandkonflikt war immer ein Konflikt der unteren Klassen, und so wie man vom Frieden in den Arbeitervierteln kaum etwas spürt, ist auch von der »Dividende« nichts zu bemerken. »Es braucht Zeit, bis der neue Wohlstand durchsickert«, beschreibt David Ford, ein Abgeordneter der liberalen und neutralen Alliance-Partei in der Nordirischen Versammlung, das Problem. Der Frieden in Nordirland ist fragil. Statt täglicher Morde und Anschläge gibt es nun monatliche Aktionen. »Immerhin«, so ein Taxifahrer, »können wir jetzt überall fahren. Aber nachts fahre ich trotzdem nicht. Und am Wochenende verlasse ich die Provinz, egal wohin.«

Am vergangenen Sonntag, vor dem Höhepunkt der Marschsaison des Oranierordens in Portadown, waren die Fährlinien und Airlines ausgebucht. Im letzten Jahr um diese Zeit wurde die gesamte Provinz von gewalttätigen Auseinandersetzungen erschüttert. »Es hat keinen Sinn, hier zu bleiben: die Geschäfte und Firmen sind zu, niemand geht aus dem Haus, niemand braucht ein Taxi.«

Das Radio meldet ein Drive-by-Shooting in Antrim, einem Dorf außerhalb Belfasts. Ein junger Katholik ist das Opfer, später bekennt sich das Red Hand Kommando, eine Tarnorganisation der loyalistischen Paramilitärs Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Freedom Fighters (UFF). Der Mord sei eine Vergeltung für die jüngsten Stimmengewinne der Sinn Fein, des politischen Arms der Irisch Republikanischen Armee, bei den Lokalwahlen.

Die vom Friedensabkommen geschaffene Selbstverwaltung der Provinz steckt heute in einer schweren Krise. Am 1. Juli trat David Trimble, Vorsitzender der bislang stärksten Partei, der Ulster Unionist Party (UUP), von seinem Amt als Erster Minister zurück. Einen solchen Schritt hatte er schon Monate vorher für den Fall angekündigt, dass die IRA bis dahin nicht mit der Entwaffnug begonnen habe. »Keinerlei Waffenabgaben der IRA, der UVF und der UFF haben bislang stattgefunden«, erklärte der kanadische General John de Chastelain, der Vorsitzende der Entwaffnungskommission, erwartungsgemäß in seinem jüngsten Bericht.

»Die Unionisten waren von Beginn an unwillig, die neuen Institutionen funktionieren zu lassen. Gleichzeitig haben die Republikaner ihre Verpflichtung zur Waffenabgabe nicht erfüllt«, kommentiert David Ford von der Alliance die gegenwärtige Blockade. David Trimbles Rücktritt hatte taktische Gründe. Eine große Minderheit in der UUP ist grundsätzlich gegen das Friedensabkommen, und die Waffen der IRA sind ihr bestes Argument. Mit seinem Rücktritt bewies Trimble nun den eigenen Parteigängern seine Entschlossenheit.

Gegenwärtig versuchen der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Kollege Bertie Ahern, die Konfliktparteien zu einer neuen Einigung zu bewegen. Dann könnte Trimble bis zum 12. August von der Versammlung erneut gewählt werden. Andernfalls müsste entweder Blair die Selbstverwaltung suspendieren und Nordirland wieder von London aus regieren, oder es müssten Neuwahlen angesetzt werden.

Die Kommunal- und Unterhauswahlen im Juni haben jedoch gezeigt, dass dann die Democratic Unionist Party (DUP) zur stärksten Kraft auf der unionistischen Seite werden könnte. Die DUP lehnt das Friedensabkommen und jede Zusammenarbeit mit den republikanischen Nationalisten ab. Im Fall einer Wiederholung des Wahlerfolgs der Sinn Fein, die die gemäßigte Social Democratic and Labour Party als stärkste nationalistische Kraft abgelöst hat, müssten dann wegen der komplizierten Konstruktion des Karfreitagsabkommens die Exponenten der jeweiligen Parteien die Regierung bilden. Die Blockade könnte den institutionalisierten Friedensprozess ein für allemal beenden.

Gegenwärtig wird vor allem Sinn Fein die Schuld an der Krise zugeschrieben, denn die Weigerung der IRA, ihre Waffen zu vernichten, bedeute einen Bruch des Abkommens. Allerdings hat die IRA im letzten Jahr ausländischen Beobachtern erlaubt, einige Lager zu versiegeln. Seit immerhin sieben Jahren sind die Maschinenpistolen ohnehin in den geheimen Depots geblieben.

Doch nun kommt zum ersten Mal auch harsche Kritik von der bislang vermittelnden SDLP: »Die Waffen der IRA können doch keine Katholiken beschützen. Die Sinn Fein sitzt in der nordirischen Regierung und muss deshalb ihre Aufgaben erfüllen«, sagt Barry Turley, der Medienbeauftragte der SDLP in der Versammlung.

Die Entwaffnungsfrage ist nicht der einzige umstrittene Punkt: Sinn Fein, und in eingeschränktem Maße auch die SDLP, fordern eine Überarbeitung der im Londoner Unterhaus bereits verabschiedeten Polizeireform und einen weiteren Rückzug des britischen Militärs aus der Provinz. Darüber soll nun verhandelt werden.

»In Belfast fühlt man sich immer noch wie in South Central Los Angeles. Den Helikopter hört man 24 Stunden am Tag patrouillieren«, beschreibt Kerry Richards, ein Belfaster Arbeiter, das Leben im dritten Jahr nach dem Friedensvertrag. Für die meisten Nationalisten ist die nordirische Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC) noch immer ein Feind. »Die Katholiken werden niemals in die Polizei eintreten. Und wenn jemand in dein Haus einbricht, wendest du dich an jemanden von der IRA. Die werden das Problem lösen«, pflichtet ihm der Barkeeper Andrew King bei.

Innerhalb ihrer Gebiete ist die IRA noch immer die Ordnungsmacht, die übliche Strafe für Kleinkriminelle ist der Knieschuss. Sinn Fein, eine nominell sozialistische Partei, hat in Richards Augen versagt: »Der Konstruktionsfehler des Parlaments ist, dass die sektiererischen Konfliktlinien institutionalisiert worden sind«, erklärt er seine Sicht der Situation. »Und statt sich mit den tatsächlichen Problemen wie niedrigen Löhnen, Wohnungsmangel und Arbeitslosigkeit zu beschäftigen, stritten sich die Politiker monatelang über die Farbe des Teppichs im Parlament.«

Im Friedensabkommen wurde festgelegt, dass sich jede Partei im Parlament für eine Seite entscheiden muss, entweder für die unionistische oder für die nationalistische, auf denen jeweils Mehrheiten gebildet werden müssen. Nur zwei Parteien, die Frauenkoalition und die liberale Alliance-Partei, entschieden sich für »Andere«.

»Dadurch zählen unsere Stimmen bei manchen Abstimmungen einfach nicht. Das System belohnt jene, die auf den zwei Seiten bleiben wollen. Das ist absurd in einer Situation, in der wir eine pluralistische Gesellschaft aufbauen wollen«, beschwert sich der Alliance-Politiker David Ford. »Die meisten Menschen haben mehr vom Frieden erwartet. Es gibt das starke Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein. Deshalb gewinnen gegenwärtig die beiden Parteien der Extreme. Daher hat die IRA in ihrer eigenen Community immer eine Entschuldigung für das Verschleppen der Entwaffnung.«