Berliner Wissenschaftssommer

Scientainment für alle

Der Berliner Wissenschaftssommer 2001 ging trotz der Anschläge in den USA über die Bühne. Dabei wurde um Akzeptanz für die Lebenswissenschaften geworben.

Es sollte das »große Fest der Wissenschaften« werden, ja, das größte Forschungsfest, das es in Deutschland je gegeben hat - der Wissenschaftssommer 2001 in Berlin, der als Höhepunkt des von der Bundesregierung ausgerufenen Jahres der Lebenswissenschaften gilt. In einigen Großstädten in Deutschland hatten in den vergangenen Monaten bereits Veranstaltungen stattgefunden, auf denen die Gentechnik gepriesen wurde. Das Berliner Event sollte sie alle übertreffen. Am Mittwoch der vergangenen Woche hätte Bundeskanzler Gerhard Schröder eigentlich die Eröffnungsrede halten sollen, und danach, so hatten es die Veranstalter vorgesehen, hätte die große Show begonnen. Doch daraus wurde nichts.

Überschattet von den Ereignissen in den USA begann die Veranstaltung nur zögerlich. Die »feierliche Eröffnung« wurde gleich ganz abgesagt, und zunächst saßen die meisten Berliner lieber vor ihren Fernsehapparaten, als die diversen Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet zu besuchen. So war die vergleichsweise populistisch orientierte Auftaktveranstaltung »Woher kommt der Mensch?« der Diskussionsreihe »Dialoge - Dispute« mit etwa 80 BesucherInnen eher spärlich besucht und auch die Macher und die Beschäftigten der Ausstellungen »Bilder des Lebens«, »vCell. Die virtuelle Zelle« und »Wirtschaft macht Forschung« im Deutschen Technikmuseum Berlin klagten über niedrigere Besucherzahlen, als sie ursprünglich erwartet hatten.

Trotz der widrigen Umstände ist der Wissenschaftssommer 2001 einen weiteren Blick wert. Immerhin präsentierten dort bis Anfang dieser Woche über 80 Forschungsinstitute auf mehr als 40 Veranstaltungen und Symposien ihre Arbeiten. Mit »Forschung zum Anfassen« oder einer »langen Nacht der Wissenschaften« sollten sich Tür, Tor und Labor der Lebenswissenschaften einem großen Publikum öffnen. Man wolle die Menschen an der »Faszination von Forschung« teilhaben lassen und »gleichzeitig über die Grenzen diskutieren, die uns von der Verantwortung gesetzt werden können oder müssen«, sagte Joachim Treusch, der Vorsitzende des Kernforschungszentrums Jülich und der Initiative Wissenschaft im Dialog, die den Wissenschaftssommer organisiert hatte. Die Initiative Wissenschaft im Dialog war 1999 vom Bundesforschungsministerium gemeinsam mit dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und großen Forschungsinstitutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Max-Planck-Gesellschaft gegründet worden.

Die Berliner Wissenschaftssenatorin Adrienne Göhler erklärte bei der Eröffnung des Wissenschaftssommers: »Wissenschaft erfährt mehr Akzeptanz, wenn ihre Erkenntnisse von einer aufgeklärten Bevölkerung verstanden und auch hinsichtlich ihrer möglichen Konsequenzen getragen werden.« Ähnlich argumentierte der Forschungsverbund Proteinstrukturfabrik bei der Vorstellung seines Ausstellungskonzeptes »Wissen um Ihr Innerstes. vCell. Die virtuelle Zelle«: »Das logisch-rationale Erkennen von Zusammenhängen soll emotionale Vorurteile und Befürchtungen zerstreuen und gleichzeitig eine positiv-faszinierende Affektion für die Chancen der Entschlüsselung molekularbiologischer Zusammenhänge entfachen.«

So wurden die BesucherInnen durch verschiedene Stationen molekularbiologischer Grundlagenforschung geschleust: »Welt der Zelle«, »Genomstation«, »Chromosomenpark«, »Proteinstation«, »Gesundheitspark« und »Zellkern«. Hier der »genetische Fingerabdruck zum Mitnehmen«, dort Liveschaltungen in gentechnische Labore in Tokio, Paris und London mit der Möglichkeit zu einem Gespräch mit den dort Beschäftigten. Gefragt werden darf alles.

Diese Wissenschaftsshow wurde von der science and public media AG konzipiert, einer Müncher Multimedia-Agentur, deren Schwerpunkt im Bereich der Wissenschaftskommunikation liegt. Auch der Pharmakonzern Bayer AG ließ sich sein so genanntes BayLab von einer Multimedia-Agentur gestalten. Auf dem Wissenschaftssommer wurde es erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Im BayLab kann sich der Besucher mit den verschiedenen Stufen der Arzneimittelforschung, -entwicklung und -herstellung vertraut machen oder aber die DNA einer Zwiebel extrahieren: »Die DNA mit bloßem Auge betrachten, mit eigenen Händen berühren.«

Das BayLab wurde in Zusammenarbeit mit dem Ausbildungslabor des Pharmakonzerns in Wuppertal entwickelt, um »Molekularbiologie erlebbar« zu machen. »Das gewonnene Verständnis trägt dazu bei, sich eine eigene Meinung zu bilden.« Angeschlossen an das Wuppertaler Ausbildungslabor ist auch ein so genanntes Kinderlabor, in dem Dritt- bis FünftklässlerInnen der Zugang zu Wissenschaft und Forschung ermöglicht werden soll. Sowohl das Ausbildungs- als auch das Kinderlabor erfreuen sich einer großen Nachfrage. Die Wartezeit für Schulklassen beträgt nach Auskunft der Projektleiterin Birgit Fassbender bis zu einem Jahr. Mit dem mobilen BayLab soll Abhilfe geschaffen werden.

Popularisierungsstragien dieser Machart sind nichts Neues. Der britische Evolutionstheoretiker Richard Dawkins etwa kritisierte die in der Wissenschaftsvermittlung weit verbreitete Ansicht, dass die Laien als »Aufzuklärende« zu begreifen seien, man solle nicht davor zurückschrecken, Wissenschaft in Shows als Spaß darzustellen. »Das Material für die Darbietungen ist nach Möglichkeit so zu wählen, dass das Publikum es am Ende aufessen kann.«

Dieses »Scientainment«-Konzept, das 1969 erstmals von dem US-Physiker Frank Oppenheimer in seinem »Mitmach-Museum« namens Exploratorium in San Francisco realisiert wurde, scheint inzwischen auch in Berlin beziehungsweise in der deutschen Forschungslandschaft und der hiesigen Biotech-Industrie angekommen zu sein. Es ist offensichtlich, dass die »lange Nacht der Wissenschaft« dieser Vermittlungsstrategie vertraut. Über 80 Forschungseinrichtungen und Labore »machen öffentlich, was verborgen ist«.

Die Erwartungen, die mit diesen Strategien verbunden werden, sind hoch. Detlev Ganten, der Direktor des Max Delbrück-Centrums in Berlin-Buch, hofft, dass das Event der Beginn einer nachhaltigen Wissenschaftspädagogik sei: »Wenn wir das gut machen, dann führt das Kinder auf den Pfad der Wissenschaft.« Ob das Konzept aufgegangen ist, scheint auf den ersten Blick allerdings zweifelhaft. Ein Wächter des Deutschen Technikmuseums berichtete von mehr oder weniger gelangweilten Schulklassen, die die dortige Ausstellung besuchten. Und Jugendliche, die im Rahmen des »Französisch-Deutschen Jugenddialogs - Die Genetik im Dienste des Menschen« aus dem französischen Auxerre angereist waren, betonten zwar, dass sie einen internationalen Jugendaustausch und eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Thematik wichtig fänden. Sie schienen sich aber vor allem darüber zu freuen, einige Tage in Berlin verbringen zu können.

Auch eine gerade aus Westdeutschland zugezogene junge Medizinstudentin ließ sich nicht unreflektiert vom Infotainment einer Diskussionsveranstaltung zu »Genmedizin: Einfluss der Genomforschung auf die Medizin der Zukunft« überzeugen: »Man muss immer mitdenken, wer gerade spricht.« Gegenüber Jens Reich, einem Molekularbiologen am Max Delbrück-Centrum und ehemaligen Anwärter auf das Bundespräsidentenamt, ist diese Haltung nur empfehlenswert. Er überraschte seine Zuhörer mit dem Statement: »Wir sind ja nicht nur gesunde Kranke, sondern auch gesunde Tote.«

Ob die von einem genkritischen Bündnis organisierte Gegenveranstaltung etwas an dieser Situation geändert hätte, sei dahingestellt. Kritik an der »Standortdebatte Deutschland«, an einem pseudo-demokratischen Recht auf Mitsprache, das der Bevölkerung mit dem Wissenschaftssommer 2001 vorgegaukelt werden sollte, oder an einer Einführung der Lebenswissenschaft als eugenisierende Sozialtechnologie, war allerdings kaum zu vernehmen. Kein Wunder: Auch die geplante Gegenkundgebung und eine Demonstration wurden wegen der Anschläge in den USA abgesagt. Zwanzig Demonstranten, die dennoch ihre Transparente entrollen wollten, wurden von der Polizei daran gehindert.