Nach dem Massaker in den USA

Viva la muerte

Die Katastrophe ist eingetreten. Ein Massenmord. Ausgeführt von Menschen, denen ihr eigenes Leben egal war. Und das ihrer Opfer sowieso.

»Viva la muerte« - »es lebe der Tod«. Das war der Schlachtruf der spanischen Francisten gegen die soziale Revolution.

In den Massakern der Selbstmordattentäter lebt diese Haltung weiter. Deshalb ist es kein Wunder, dass Nazis wie Horst Mahler, für den der Hauptfeind schon immer in den USA stand, die Selbstmordanschläge begrüßen.

Heute richtet sich diese Haltung aber nicht gegen die soziale Revolution. Sie richtet sich gegen deren Voraussetzung. Der pursuit of happiness, das Streben nach dem eigenen Glück, war das Versprechen, mit dem das Bürgertum in den aufgeklärten Ländern die politische Macht errang, nachdem es die ökonomische erreicht hatte. Es holte das Glück aus dem himmlischen Paradies auf die Erde zurück.

Die kommunistische Kritik richtete sich nicht gegen den pursuit of happiness, sondern dagegen, dass dieses Glück nur für eine kleine Minderheit erreichbar war und ist.

»Viva la muerte« hingegen ist die vollständige Negation des Glücks. Mittlerweile hat sich das Glück wieder in die himmlischen Sphären verzogen. Dort wartet es als Lohn auf die Selbstmordattentäter.

Die bürgerliche Gesellschaft hat ihr Glücksversprechen weitgehend aufgegeben. Sie verspricht nicht mehr den Himmel auf Erden. Sie sagt einfach: »Es ist, wie es ist.« Und eine andere, bessere Gesellschaft wird es nie geben.

Die bürgerliche Herrschaft hat aber einen Trumpf im Ärmel: den spektakulären Terrorismus. Dessen gesellschaftliche Bedeutung hat Guy Debord analysiert. 1988 schrieb er: »Diese so vollkommene Demokratie stellt selber ihren unvorstellbaren Feind her, den Terrorismus. Sie will nämlich lieber, dass man sie nach ihren Feinden und weniger nach ihren Ergebnissen beurteilt.« In diesem Vergleich schneidet sie gut ab: Wer wollte bezweifeln, dass die bürgerliche Herrschaft der der islamischen Fundamentalisten vorzuziehen ist?

Aber sie schneidet auch nur in diesem Vergleich gut ab. Die Möglichkeit eines guten Lebens für alle - diese Möglichkeit hat sie nicht eingelöst, und sie arbeitet an der Abschaffung des Gedankens daran. Und dennoch existiert diese Möglichkeit jenseits aller Ideologien, die das Gegenteil behaupten.

In Deutschland jedoch hat sich das Bürgertum in Abgrenzung von der französischen Revolution seine eigene Ideologie geschaffen. Sie sieht das Glück im Aufgehen in der Gemeinschaft - das bürgerliche, selbstbewusste Individuum ist hier verdächtig. Kein Wunder, hat das deutsche Bürgertum doch immer schmähliche Kompromisse mit der alten Herrschaft des Adels und des Kaisertums einer Revolution vorgezogen. Im Himmel der deutschen Ideologie hat es sein Glück gesucht, doch lediglich Vernichtung gefunden. Und darin liegt seine tiefere Verwandtschaft mit den Fundamentalisten, die ihr Glück in einem anderen Himmel suchen, aber auch nur den Tod finden.

So ist es kein Wunder, dass die Warnungen in Deutschland vor dem »Feindbild Islam« besonders laut sind - als wäre nicht jede Religion der Feind der Emanzipation. Und weil das deutsche Establishment den USA nie verzeihen wird, dass sie ihm den Griff nach der Weltmacht in zwei Weltkriegen vereitelt haben, droht nun erneut eine urdeutsche Friedensbewegung, die sich durch zwei Dinge auszeichnen dürfte: dass sie Deutschland schon präventiv als das eigentliche Opfer halluziniert, kaum dass die USA angegriffen worden sind und zurückschlagen - was dem deutschen Staat gegen die »internationale Völkermordzentrale« USA neue hegemoniale Möglichkeiten verschafft.

Und dass auch ihre linke Komponente augenzwinkernd mit den Islamisten gemeinsame Sache macht, indem sie in einem klassischen Akt der Rationalisierung den Anschlägen auf das World Trade Center die besten antikapitalistischen Absichten unterstellt; und indem sie gegen den sich auflösenden Gedanken des pursuit of happiness die autoritäre Idee des »einfachen und gerechten Lebens« nach Art der Taliban stellt. Diese Mischung aber wäre die Katastrophe für jede emanzipatorische Bewegung - ein deutsches Selbstmordattentat auf die Voraussetzung der Revolution.