Ken Loachs »Bread and Roses«

Brot und Staubsauger

Ken Loachs »Bread and Roses« macht Leute, die selten wahrgenommen werden, sichtbar: moderne Dienstleister, oder wie sie früher hießen, Putzfrauen.

Kann ein Film mitreißend sein, in dem es um Krankenversicherungen geht? Diese Frage ist von US-amerikanischen Kritikern mit »nicht unbedingt« beantwortet worden, zum Teil auch mit schlimmen Flüchen. Die Frage hat sich jedenfalls Ken Loach mit seinem Film »Bread and Roses« - der Titel erinnert an einen Streikslogan in Massachussetts im Jahre 1912 - gestellt.

Weitere Fragezeichen: »Gewerkschaft? Was sollen wir mit einer Gewerkschaft?« sagen die Schauspieler in Loachs erstem US-amerikanischen Film. Das klingt in der 17. Etage eines Bürohochhauses im Financial District von Los Angeles nicht weiter ungewöhnlich. Nur dass sie diesmal nicht von einem New Economisten dahingerotzt, sondern von illegalen Immigranten gestellt wird. Und deren Arbeitsverhältnisse entbehren nicht nur anständiger Bezahlung und rudimentärer sozialer Absicherung, sondern verletzen sie auch immer wieder in ihrer Menschenwürde. Offen Widerstand zu zeigen, so befürchten sie jedoch, bringt nur mehr Scherereien. Und damit haben sie recht.

Auch bei Ken Loach, einem der wenigen Regisseure, die sich nicht scheuen, in ihren Filmen Klassenkampf und Arbeitsalltag zum Thema zu machen. In »Bread and Roses« trifft er eine klare Unterscheidung zwischen der Gewerkschaft als Apparat, in dem es um Kampagnen, vermittelbare Erfolge, Mitspielen im Spiel der Mächtigen geht, und der Gewerkschaft als Organisation von Menschen, die gegen eben jene Verhältnisse ankämpfen. Die Idee des »Gemeinsam-sind-wir-stark« verwirklicht sich in einem charismatischen Aktivisten, der sich weder von den scheinbar unverrückbaren gesellschaftlichen Machtkonstellationen noch von der Bürokratie des eigenen Verbandes einschränken lässt.

Die Begeisterung des kämpferischen Gewerkschafters Sam Shapiro (Adrien Brody) hilft der illegalen mexikanischen Immigrantin Maya (Pilar Padilla), die in einer Putzkolonne zu weit untertariflicher Bezahlung und ohne Sozialversicherung arbeitet, sich zu politisieren. Maya wiederum treibt ihre bis dahin individuell und meist hilflos dem Terror ihres Chefs Perez (George Lopez) und den Tücken der amerikanischen Einwanderungs- und Sozialgesetzgebung ausgelieferten Kolleginnen und Kollegen zum Widerstand. Und der Aufstand der Truppe wirkt als Signal für alle Reinigungskräfte der Stadt.

Loach rückt den Arbeitskampf, der auf dem Vorbild des ersten großen Streiks der Reinigungskräfte in Los Angeles von 1989/90 basiert, immer wieder in den Mittelpunkt. Immerhin sieben US-Dollar verdienten organisierte Gebäudereiniger bis in die frühen achtziger Jahre. Die Gewerkschaft Service Employees Local 399 galt als eine der erfolgreichsten in den USA. Die Wende kam 1984/85, als die großen Kunden geballt die Tarifverträge kündigten, die gewerkschaftlich organisierten, mehrheitlich schwarzen Belegschaften feuerten und durch Immigranten aus El Salvador, Nicaragua und Mexiko ersetzten. Die Löhne sanken auf 3,85 US-Dollar. Die Local 399 musste sich neu organisieren, stieg in die nationale Kampagne »Justice for Janitors« des Dachverbandes SEIU ein und kümmerte sich erstmals explizit um die lateinamerikanischen Einwanderer. Den Durchbruch brachte 1989 ein Protestmarsch, der von der Polizei brutal gesprengt wurde. Streiks und negative Presse brachten die Unternehmen wieder an den Verhandlungstisch und den Beschäftigten ein Minimum an sozialer Absicherung. Doch das Lohnniveau ging verloren. Gewerkschafter gründeten die neue Gewerkschaft SEIU Local 1877. Erst im vergangenen Jahr kam es nach erneuten Streiks zu einem Tarifvertrag, der die Gebäudereiniger binnen drei Jahren über die Armutsgrenze heben soll. Da braucht es andere Protestformen.

Loach versucht zugleich, das Leben der Immigranten in dieser Stadt nachzuzeichnen. Sie leisten eine unsichtbare Arbeit und sind dabei oft genug selber unsichtbar. Da ist der junge Luis, der tagsüber lernt, weil er Jura studieren will und auf ein Stipendium angewiesen ist und abends und nachts arbeitet. Und da ist die Russin, die in der Hierarchie des Chefs noch einmal unter den Latinos steht. Es sind die, von denen Büchner sagte, dass sie selbst im Himmel noch den Donner rollen müssten.

»Die alten Schachteln bringen nichts«: Da ist die alte Kollegin, die nicht mehr alle Sinne beisammen hat und immer öfter den Bus nicht mehr schafft, der sie pünktlich zur Arbeit bringt, die aber weder Rente noch eine andere Möglichkeit des Auskommens hat und deswegen von den anderen, so weit es geht, gedeckt wird. Es ist eine der bedrückendsten Szenen, wenn sie ihren »Nutzwert« mit dem Chef diskutieren muss. »Ich brauch doch Arbeit«, sagt sie, als sei sie eine Drogensüchtige, die ein Leben lang vom Konsum dieser Droge abhängig war und sich das Leben nur als Putzfrau vorstellen kann und muss. Das Dilemma: Um etwas kämpfen zu müssen, was einen kaputt macht.

Man kann Loach vielleicht zum Vorwurf machen, dass er nicht genauer hinguckt, dass er nur typische Immigrantenschicksale anreißt und dabei auch Klischees bemüht. Immerhin guckt er aber überhaupt hin. Außerdem gibt es da noch die Konfrontation der idealistischen Maya mit ihrer Schwester Rosa. Rosa, die Ältere, hat nicht nur Mayas Flucht über die Grenze bezahlt, sie hat ihr auch den Job bei dem Reinigungsunternehmen und ein Dach über dem Kopf verschafft. Und nebenbei einen kranken Mann, Kinder und die Familie in Mexiko versorgt.

Es gibt einen Punkt, wo sie den von Maya angezettelten Kampf nicht mehr mitmachen kann und sich stattdessen vom Chef der Reinigungsfirma kaufen lässt. Und sie hat dafür den besten und furchtbarsten Grund: »Was glaubst du, wer deine Flucht bezahlt hat und wie du deinen Job bekommen hast?« wirft sie der Schwester in einem grandiosen Gefühlsausbruch an den Kopf. »Was glaubst du, wovon ich die Familie ernähre, das Krankenhaus bezahle? Mein Leben lang habe ich rumgehurt!« Hier zeigen sich sehr genau die inneren Auseinandersetzungen eines Arbeitskampfs: Die meisten sind erpressbar. Die Geschäftsführung treibt die Dissonanzen zwischen den Einzelnen auf die Spitze. Rosa hat sich immer schon verkaufen müssen, Maya hat's nicht gemerkt. Und jetzt? Haben nicht beide unglücklichen Schwestern Recht?

Wenn es um die andere Seite geht, ist »Bread and Roses« allerdings ausschließlich agitatorisch. Loach zielt mit voller Breitseite auf Einwanderungsgesetze, Gesundheits- und Sozialsystem, Korruption und menschenfeindliche Unternehmenspolitik. Die Schleuser, die Maya über die mexikanisch-amerikanische Grenze bringen, sind nicht nur geldgierig, sondern auch brutal.

Als Rosa nicht sofort den vollen Betrag auf den Tisch legt, spielen sie darum, wer Maya vergewaltigen darf - sie setzt sich allerdings selbstbewusst zur Wehr (»Alle Männer sind schwul in Guatemala!«) Perez, der Chef der Reinigungsfirma, nutzt nicht nur die prekäre Situation seiner Beschäftigten weidlich aus, indem er nach Belieben heuert, feuert und sich »Gefallen« tun lässt. Er ist auch noch dumm und ungebildet (»Einstweilige Verfügung - ist das nun gut oder schlecht für uns?«). Gerade diese Hemmungslosigkeit ist es, die den Film attraktiv macht und ihn beinahe mustergültig für einen, nennen wir es »Sozialistischen Realismus von unten« werden lässt.

Es ist ja bei Loach nie der Supermann, der die Dinge ins Rollen bringt, im Gegenteil: Gewerkschafter Sam ist auch ein verpennter Hippie, der zuweilen nicht merkt, wie groß das Loch in seinem T-Shirt ist. Und nach einer geheimen Betriebsversammlung vergisst er einen wichtigen Zettel, der der Geschäftsführung die Belegschaftsaktivitäten verrät und so die Arbeiter gefährdet.

Der mitreißenden Wirkung tut das keinen Abbruch. Da hilft auch Loachs halbdokumentarischer Stil. Der Rauswurf der alten Raumpflegerin wurde mit einer echten Putzfrau gedreht. Und die soll nicht mal gewusst haben, worum es ging. Exakt beobachtet wirken auch die komödiantischen Szenen - etwa wenn Maya von ihrer Kollegin die notwendigen Dinge lernt: »Tu, als würdest du mit dem Staubsauger tanzen. Er ist dein Mann. Sei gut zu ihm, dann ist er gut zu dir.«

Zumal der Film auch für diejenigen, denen er zu sehr vom Politischen ins eher plump Agitatorische abgleitet, ein verblüffend vielschichtiges Ende findet. Maya wird als illegale Kriminelle über die Grenze gekarrt. Sie hat einen Tankstellenüberfall verübt, um Luis das Geld fürs Studium zu beschaffen. Was wird aus ihr? Die Abschiebung scheint niemand richtig schlimm zu finden. Und wo findet sich Rosa wieder?

So stellt sich »Bread and Roses« auch ein bisschen selber in Frage. Auch wenn zumindest eine starke Überzeugung übrig bleibt: Wenn man Menschen gewinnen will, für eine Sache - am schlimmsten: ihre eigene - zu kämpfen, reicht es nicht, ihnen mit rationalen Argumenten zu kommen. Man muss sie mitreißen, sonst werden sie womöglich die eigene Stärke nie entdecken. Am Ende werden die entlassenen Reinigungskräfte wieder eingestellt. Mit Krankenversicherung und Tariflohn. Wer's glaubt, wird selig? Beim Streik 1989 war's aber wirklich so.

Und dann werden die Arbeitsbedingungen wieder verschärft. Und dann geht's wieder auf die Barrikaden. Und dann gibt's wieder auf die Schnauze. Oder wie Werner Gunkel, Betriebsrat bei der Post in Tübingen, sagt: »Es ist dieselbe Scheiße wie seit 2000 Jahren.« Zu sehen in ihrem Lichtspielkino.

»Bread and Roses«, GB/SP/F/D/Schweiz 2000. R: Ken Loach, D: Polar Padilla, Epidia Carillo, Adrien Brody, Tim Roth. Start: 4. Oktober