Spanien schottet nordafrikanische Enklaven gegen Migranten ab

Im Zentrum des Hurrikans

Die spanischen Enklaven in Nordafrika, Ceuta und Melilla, sind zum Kristallisationspunkt rassistischer Abschottungspolitik und islamisch geprägten Antisemitismus geworden.

Der marokkanische Arbeitsminister Abbas el Fassi tobte. »Das ist ein nicht zu rechtfertigender repressiver Akt gegen Marokko«, sagte er am vergangenen Donnerstag der marokkanischen Nachrichtenagentur Map. El Fassi wirft der spanischen Regierung vor, sie boykottiere den Vertrag mit Marokko zur Kontrolle der Arbeitsmigration nach Spanien, der erst im Juli dieses Jahres zwischen El Fassi und dem spanischen Innenminister Mariano Rajoy ausgehandelt worden war. Das Abkommen legt fest, dass pro Jahr ein Kontingent von 20 000 Marokkanern mit einer Arbeitserlaubnis nach Spanien einreisen darf. Kürzlich jedoch erklärte der spanische Staatssekretär für Migration, Enrique Fernández-Miranda, die Umsetzung des Vertrages sei aufgrund »der aktuellen diplomatischen Krise« zwischen Marokko und Spanien »gefährdet« und das für das kommende Jahr vorgesehene Kontingent an Arbeitsvisa werde wohl verfallen.

Bereits am 27. Oktober hatte die marokkanische Regierung ihren Botschafter aus Madrid zurückberufen. Ein Grund dafür waren die zuvor in zahlreichen spanischen Medien erhobenen Vorwürfe gegen die Administration von König Mohammed VI., sie würde nichts gegen die Ausreisewilligen unternehmen, die täglich zu Hunderten versuchten, ohne gültige Dokumente über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien zu gelangen. Der spanische Außenminister Josep Piqué hatte den marokkanischen Behörden in diesem Kontext sogar vorgeworfen, sie arbeiteten mit vermeintlichen Schlepperbanden zusammen.

Bereits seit langem rassistisch diskriminiert und nur im prekarisierten Niedriglohnsektor beschäftigt, werden Marokkaner und andere Menschen aus arabischsprachigen Ländern seit dem 11. September auch in Spanien als potenzielle islamistische Terroristen angesehen. So kolportierten die spanischen Medien in den letzten Wochen das Gerücht, die Bewaffnete Islamische Gruppe (Gia) aus Algerien würde von den algerischen Arbeitsmigranten in Spanien eine Art »Kriegssteuer« erheben. Insbesondere im südspanischen El Ejido sollen sich diese Fälle angeblich häufen. Ein Algerier, der anonym bleiben möchte, erklärte zu diesen Behauptungen gegenüber El País: »Sie fordern nur Geld von denjenigen, die ihren politischen Positionen nahe stehen - und das sind nicht viele.«

Bereits jetzt sind die Arbeitsmigranten zudem verstärkter polizeilicher Repression ausgesetzt, nachdem Mitte November in Madrid und Granada 14 mutmaßliche Mitglieder des Terrornetzwerkes al-Qaida festgenommen worden waren, denen man vorwirft, sie hätten in Tschetschenien, Bosnien und Afghanistan in den Reihen islamistischer Mujaheddin gekämpft. Deshalb protestiert außer der Vereinigten Linken (IU) auch keine der im Parlament vertretenen Parteien gegen die geplanten neuen Anti-Terror-Gesetze des ultrakonservativen Ministerpräsidenten José Aznar, die die polizeiliche Willkür gegen die Migranten institutionalisieren werden.

Der Sprecher der Vereinigung marokkanischer Arbeitsmigranten in Spanien (Atime), Mustafá Elmerabet, brachte am vergangenen Mittwoch seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die geplante Einschränkung der Bürgerrechte vorrangig auf die muslimischen Arbeitsmigranten ziele. »Vor allem wir Moslems befinden uns im Zentrum des Hurrikans, womit den Faschisten zugearbeitet wird«, sagte er.

In Ceuta und Melilla, den beiden spanischen Enklaven an der Küste Nordafrikas, haben die Anschläge in den USA aufgrund einer explosiven Mischung aus Terrorismushysterie, Rassismus, sozialer Marginalisierung und islamisch geprägtem Antisemitismus zu einer Polarisierung der dort lebenden Bevölkerung geführt.

Die beiden Städte sind die letzten spanischen Kolonien in Afrika. Elf Kilometer lang ist die Grenze zu Marokko, auf der anderen Seite liegt die Meerenge von Gibraltar. Mit dem Schengener Abkommen wurden auch die Grenzanlagen um Ceuta und Melilla hochgerüstet. In Ceuta stehen 25 Wachtürme der parapolizeilichen Guardia Civil an der achteinhalb Kilometer langen Grenze. Nachts erleuchten 100 Flutlichtmasten das Gelände. Nachtsichtgeräte und Richtmikrofone gehören zur Standardausrüstung der Grenzbeamten. In Melilla sieht es ähnlich aus. Für die klandestine Passage nach Spanien bleibt nur der gefährliche Weg in kleinen Booten über die Meerenge.

Der 11. September bot einen günstigen Anlass für die spanische Regierung, auch den kleinen Grenzverkehr schärfer zu kontrollieren, um die Einreise ohne gültige Papiere einzuschränken. Dafür wurde von der spanischen Firma Tecisa ein neues Kontrollsystem entwickelt, das seit Ende September angewendet wird. Alle Bewohner der an Ceuta und Melilla grenzenden marokkanischen Städte Nador und Tetuan, die im Gegensatz zu anderen Marokkanern kein Visum benötigen, um in die beiden Enklaven zu gelangen, werden nun beim Grenzübertritt von zwei mobilen Grenzeinheiten gescannt. Francisco Sanz, ein spanischer Grenzbeamter, findet das neue System vor allem praktisch: »Die Marokkaner müssen sich nur vor einem Bildschirm aufstellen und mit den Fingern die interaktive Oberfläche berühren. Die Computer identifizieren die betreffende Person dann innerhalb von 5 bis 10 Sekunden.« Für die in Ceuta und Melilla lebenden Menschen ohne gültige Papiere gibt es nun kaum noch eine Möglichkeit, die Grenze zu passieren, um Verwandte im Umland zu besuchen.

In Melilla leben offiziell 70 000 Menschen. Rund 1 000 von ihnen gehören der jüdischen Gemeinde an, 25 000 sind muslimischen und mehr als 40 000 christlichen Glaubens. In einem interkonfessionellen Rat kooperieren der Vikar Manuel Arteaga, die muslimische Sozialdemokratin Yonaida Sel-Lam, Abderramán Benyaya vom Islamischen Rat und der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Jacobo Wahnon.

Trotzdem kam es Ende September kurz vor dem jüdischen Yom-Kippur-Fest das erste Mal zu antisemitischen Übergriffen, aber auch zu Angriffen gegen die christlichen Kirchen. In dem von hoher Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Stadtteil Cañada de Hidún wurden eine Kirche und eine Synagoge mit Steinen und Flaschen beworfen und Parolen gesprüht wie »Jeder Moslem ist Ussama bin Laden« oder »Tod für Israel«. In der darauf folgenden Nacht beschmierten Unbekannte jüdische Gräber mit roter Farbe. Als mutmaßliche Täter wurden zwölf Jugendliche muslimischen Glaubens aus Cañada de Hidún festgenommen.

Arturo Esteban, der Vertreter der spanischen Zentralregierung in Melilla, spielte die Ereignisse gegenüber der Nachrichtenagentur Europa Press herunter: »Als die Polizei mit den Eltern sprach, kam sie zu dem Schluss, dass diese Kinder nicht wissen, wovon sie sprechen, weil sie gar nicht wissen, wer bin Laden ist.« Auch Abderramán Benyaya wiegelte ab: »Dass eine Gruppe von Kindern Parolen malt, ist an sich nicht schlimm, aber es könnte ein schlechtes Beispiel für andere Kinder sein.«

Einzig Jacobo Wahnon äußerte sich in einem Interview mit El Mundo besorgt: »Hier in den vier religiösen Gemeinschaften haben wir uns immer respektiert. Aber was in den letzten Tagen passierte, zeigt, dass es sich nicht um einige vereinzelte Vorfälle handelt, sondern dass unser Zusammenleben schwer gestört werden kann.«