Die Geschichte des Sex

Wunschlos glücklicher

Das Dresdner Hygienemuseum zeigt die Geschichte der Sexualität und deren Verhinderung.

Sex gehört ins Museum, glaubt man in der Dresdner Ausstellung »Sex. Vom Wissen und Wünschen«. Am Eingang geht's schwarzweiß zur Sache: knutschen, knutschen, knutschen. Aber nur im Film, auf der dusteren Wand läuft Andy Warhols Film »Kiss« aus dem Jahre 1964. Weiter geht es in der Ausstellung dann exakt so, wie es das Drehbuch von Ausstellungsleiterin Susanne Kridlo im Katalog vorschreibt: »Überholt scheint heute die Vorstellung des triebbestimmten Individuums angesichts der zunehmenden Fragmentierung von Lust und Erregung in Nerven-, Gehirn- und Drüsentätigkeit. Medizinischer Fortschritt macht Lust und Erregung zu beherrschbaren Größen.«

Die beherrschbaren Größen liegen in der nächsten Vitrine: eingelegte Geschlechtsorgane. Sex, das ist was von früher, so der erste Eindruck. Und der zweite erst: Bei dem ambitionierten Projekt hat die Künstlerin Rosemarie Trockel, die für die Gestaltung der Ausstellung zuständig ist, einen genialen Kunstgriff angewandt - und einfach eine Bibliothek in der Ausstellung platziert. Sexualität besteht im Wissen über Sexualität, so die Philosophie. Da sind die besten Exponate natürlich Bücher. Über Stellungen, Aufklärung, Fortpflanzung im Allgemeinen und Speziellen, Zensur und Zensiertes, Günther Amendt, Oswalt Kolle, Ernest Borneman, Wilhelm Reich, Sigmund Freud, Magnus Hirschfeld. Vom Ende der Sexualität kündet Michel Houellebecqs »Elementarteilchen« gleich am Eingang.

Auch die direkte Politik kommt nicht zu kurz, zumindest nicht die der sechziger Jahre, wo unsere linken Vorfahren sich mit Vergangenheit und Gegenwart auseinander setzten. Ob der Playboy jugendgefährdend sei, schwedische Jungfrauen Sex haben und die Schlagzeile: »Hölle für Kinder: Kinderschicksale in deutschen KZ's« passten 1965 auf eine Titelseite des Magazins konkret. Das mit der Bibliothek könnte man sich dann auch für andere Ausstellungen vorstellen.

Im selben Raum findet man auch einen eisernen Onanierschutz für Zwölfjährige. Die Geschichte der Sexualität scheint vor allem von deren Verhinderung zu handeln. Das demonstriert auch die lange Wand im nächsten Raum, der unter dem Titel »Praxis« steht. Da sind sämtliche sexualstrafrechtlichen Entscheidungen in Deutschland seit 1871 verzeichnet. Praxis, das bedeutet auch: ein nachgebautes Labor zur Invitrofertilisation in Arzt-Weiß.

Und überhaupt: medizinische Geräte. Dass Sex mit Lust zu tun haben könnte, wird indirekt angedeutet, in dem Sinne, dass sie vielleicht mal was damit zu tun gehabt hatte. Der erste Vibrator der Welt liegt aus, eine Maschine wie ein Küchenquirl, an der Seite eine Kurbel. Wer den jemals benutzt hat, könnte sich's auch mit dem Schlagbohrer besorgen.

»Hattet ihr Schwierigkeiten, die Exponate zu bekommen?« frage ich Anja Tschierschke, Mitarbeiterin des Museums. Antwort: »Nein, es ist alles so, wie wir wollten. Wir wollten der Besuchererwartung entgegenwirken.«

Zum Interview haben wir uns auf die Tantra-Matratze im letzten Raum mit dem Titel »Projektionen« gelegt. Um uns rum laufen Filme: 1. Der Künstler Peter Land tanzt nackt vor der Kamera. 2. Die Künstlerin Yoko Ono lässt sich mit einer Schere den Pullover vom Körper schneiden. 3. »Horndog«, 1992: Ein blauer Zeichentrickfilmhund poppt erst das Bein von Herrchen, dann den Teddybär, den Heizkörper und ein Brathähnchen. Von Carolee Schneeman läuft 4. »Fuses«: Diese Künstlerin hat sich und ihren Freund drei Tage lang gefilmt. »Dann hat sie das Material geschnitten, bearbeitet, zum Teil sogar verbrannt als Zeichen ihrer individuellen Weiblichkeit«, sagt Tschierschke. »Manchmal kann man auch sehen, wie sie ihn leckt.« Das kann nur die Kunst vermitteln. Immer muss die Kunst ran.

Während Frau Schneeman gerade ihrem verbrannten Freund einen bläst, erklärt Tschierschke das Design der Ausstellung. Kühle Architektur, no lights, keine Strukturen, keine Inszenierung. In den Medien würde man heute mit Sex vollgeschmissen. Elvers, Feldbusch, »Liebe Sünde« - in jedem Film eine Fickszene. »Diese Medialisierung wollen wir nicht mitmachen.«

Trotzdem funktioniert auch hier alles über Medien, aber eben über die etwas älteren. Dennoch gibt die Ausstellung einen Überblick über den deutschen Umgang mit der Sexualität. Der Besucher lernt, dass Sex in erster Linie ein Fall für die Polizei ist, dass »Auszieh«-Kugelschreiber noch 1972 verboten waren und es vor dem heutigen Erotik-Talk mal eine ernste Aufgabe war, über Sex statt Fußball zu referieren, wie der Emma-Titel aus dem Jahre 1981 kündet: »Männer reden über ihre Schwänze«.

»Wir springen den Leuten nicht mit Sex ins Gesicht«, erklärt Tschierschke. Sie selbst habe aber Spaß gehabt, vor allem beim Stellungen-Recherchieren. Die alten Bücher, wo die Leute noch Gymnastikanzüge tragen. Sie muss aber einräumen: »Na ja, irgendwie ist das schon sehr steril hier.«

Kein Wunder: Erst kommt hier die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung, dann die Trennung von Fortpflanzung und Sex. Dass Sex Spaß machen kann, dafür finden sich eher weniger Belege im Programm. Schwangerenberatungsstelle statt Lesbenporno. Die Wunschfabrik ist stillgelegt. Von den schönen Produkten etwa aus dem Beate Uhse-Versand findet sich hier nichts. Die ganze Beate Uhse fehlt. Vibrator, Analklammer, SM-Strick, die selbstreinigende Gummimuschi. Oder die begehbare Möse mit flauschiger Innenausstattung, der Pimmel zum Draufrumhopsen - Exponate, die man sich im Hygienemuseum gut vorstellen kann, denn in der Dauerausstellung steht ja auch ein begehbarer Verdauungstrakt und der »Kreislaufgarten«. Geschichte der Prostitution - Fehlanzeige. Der »Messkopf eines Vaginalfotoplethysmosgrafen« für den Orgasmusnachweis: ja, Erotik und Kuscheln: nein, allenfalls im »Giftschrank« als Zensiertes.

Sexualität ist erst mal: leiden. Davon kündet auch eine Sammlung von Handschriften, zum Teil von Zwölfjährigen verfasst. Marc ist nicht zu kriegen, Johanna guckt mich mit dem Arsch nicht an, Tommi geht mit Sabine, nicht mit mir. Eine Bilderreihe kündet dennoch vom Vergnügen à la Biene und Blume. Sex für die Fortpflanzung (gemütliche Eisbärenfamilie), Sex als »Kommunikationsform« (fickende Bonobos), Sex gleich Familie (Enten im Nest) und als Mitteilung (wichsendes Walross unter Zurhilfenahme seiner Schwimmflossen; ich sag nur, manche Tiere haben es auch nicht leicht).

Manche Besucher auch nicht. »Als nächste Station würde sich das Gemeindezentrum der katholischen Landjugend anbieten!« spottet einer im Besucherbuch. Eine wissenschaftliche Ausstellung ist nun mal keine Erotikmesse. Hätte man die Lebendigkeit, Tücken und Untiefen des Geschlechtslebens adäquat darstellen wollen, hätte man wohl auch ein paar lebende Exponate aufstellen müssen. Die arme Sybille Rauch etwa, die Sexarbeiterin, die mit ihrer Schwester so viele schlecht bezahlte Pornofilme drehte, und mittlerweile so abgebrannt ist, dass sie unlängst einen Selbstmordversuch verübte. Das Pärchen, dass zwecks Kopulation in einer Berliner Diskothek eine Woche im Käfig saß. Der ganze Internetkomplex mit seinen Bezahl-Wichsbildchen bzw. auch kostenlos (schaut euch mal die Seite www.elephantlist.com an). So präsentiert sich das seltsame Phänomen mit oder ohne Medialisierung. Der ganze Hetero-, Gay- und Lesbenkram - muss man den Leuten nicht mal beibringen, was so im Darkroom getrieben wird? Wo ist der Gipsabdruck von John Holmes' Schwanz? Historisch wäre der mithin auch. Vielleicht steht er in einem der Bücher.

»Sex, wer hat denn so was noch?« kommentierte eine Bekannte. Hier ist er ein Phänomen aus vergangenen Zeiten. »Ich bin noch total fertig von der Eröffnungsparty«, sagt Tschierschke. Gab's Sex? »Nö, ich glaub' nicht.«

Im Business hat man selten was vom Business. »Sex. Vom Wissen und Wünschen«: ideal für Grundschüler. Vom Wissen viel, aber wunschlos glücklicher. Sollten die dann mal in die Praxis einsteigen, denken die, dass die Polizei kommt, der Arzt, der Rechtsanwalt, der Bibliothekar, die Redakteurin. Zu Recht! Genauso ist es dann ja auch in Deutschland. Geschnitten, bearbeitet, zum Teil sogar verbrannt.

»Sex. Vom Wissen und Wünschen.« Deutsches Hygienemuseum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden. Begleitband bei Hatje-Cantz-Verlag, DM 38