'Titanic' in der Volksbühne

Unverschämt gut

Im Foyer deutet nichts darauf hin, welche Veranstaltung stattfinden wird. Warum auch, wissen ja alle. Keine Gratishefte der aktuellen Titanic-Ausgabe, die angepriesen werden wie sauer Bier oder im Eintrittspreis enthalten sind, keine Plakate. Nur die üblichen Devotionalien der Volksbühne.

Der große Saal ist voll besetzt. Einige BesucherInnen mussten bangen, ob sie noch eine Karte bekommen würden. Dass die Preise auf dem Schwarzmarkt unmittelbar vor der Veranstaltung in die Höhe schnellten, ist nicht auszuschließen. Wir sind jedenfalls dabei.

Drei völlig gewöhnliche Typen schlappen auf die Bühne. Ohne auch nur irgendetwas geleistet zu haben, bekommen sie schon begeisterten Applaus. Der eine setzt sich vor eine Flasche Wein, die beiden anderen vor je zwei Flaschen Bier. Aber selbst die Biertrinker kann man schon kurz nach dem Programmbeginn nicht mehr verwechseln. Die Rollen sind verteilt.

Links der Moderator, der Tausendsassa, der alle Dialekte beherrscht und als gemächlicher Luzerner Bankangestellter angesehene CDU-Mitglieder zum Wahnsinn treibt. Der das Publikum dazu bringt, gemeinsam mit Rolf Töpperwien im Vollrausch durch ein unbekanntes Schlafzimmer zu robben, Alkoholreste in den Schubladen zu suchen und auf die Holländer zu schimpfen.

In der Mitte der eher kühle, sachliche Osnabrücker, von Bild-LeserInnen mehr verachtet als Sahra Wagenknecht und Ussama bin Laden zusammen, der es immer schafft, ernst zu bleiben, wenn sich die deutschen AktivbürgerInnen mal wieder bis auf die Knochen blamieren.

Rechts der Bescheidene, der so sympathisch über sich selbst Witze macht und auch von den anderen am meisten abbekommt. Der die schrägsten Texte vorliest und das Publikum aus einer prosaischen Welt in die Abgründe seiner in blaue und orangefarbene Umschläge gebundenen Poesie zieht.

Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und Thomas Gsella - der ehemalige, der amtierende und der zukünftige Titanic-Chefredakteur - dürfen sich einfach alles erlauben. Gleich der Beginn des Programms ist voller zotiger Herrenwitze. Und wir kichern hysterisch, halten uns die Bäuche, klopfen uns auf die Schenkel und sind neidisch, dass die dürfen, was wir uns noch nicht mal auf der Junk Word-Seite trauen. Die schildern ein fiktives Zusammentreffen der Damen Renate Rammelt und Gisela von Hinten, machen Witze über alles, über Ossis, Frauen, PolitikerInnen und andere Randgruppen. Wer über ihre Witze nicht lachen kann, ist sowieso spießig, versteht keinen Spaß oder ist selbst das Witzobjekt. Da muss man keine Rücksicht nehmen.

Wenn die Boygroup Schmitt, Sonneborn und Gsella auf Tournee geht, gibt es wahrscheinlich mindestens 100 neue Abos nach jeder Veranstaltung statt 20 Kündigungen und unzähliger wüster Beschimpfungen. Die schaffen es, dass man sich kaum zurückhalten kann, alle verfügbaren alten Titanic-Nummern zu kaufen, die CD »Bild-Leser beschimpfen Titanic« sowieso, obwohl man sie an dem Abend wohl schon nahezu vollständig gehört hat und jedes dritte Wort »Unverschämtheit« ist. Und nachher machen andere Zeitungen auch noch freiwillig Werbung für die, weil sie einen so grandiosen, kurzweiligen Abend gestaltet haben.

Die haben Bier und wir nicht. Die sitzen im Hellen und wir im Dunkeln. Alles ist ungerecht.