Damianos Vassiliadis über die Entschädigung griechischer NS-Opfer

»Es geht um das Recht des Stärkeren«

In den Jahren 1941 bis 1944 hat die deutsche Besatzungsmacht in Griechenland schwere Kriegsverbrechen begangen. Doch bislang hat jede deutsche Regierung eine Entschädigung verweigert. Seit langem verlangen die Nachkommen der Opfer daher, deutsche Liegenschaften in Griechenland zu pfänden. Demnächst soll nun das oberste griechische Gericht endgültig über diese Forderungen entscheiden. Damianos Vassiliadis ist der Sprecher des griechischen Nationalkomitees für die Entschädigung.

Die deutsche Regierung hat nach 60 Jahren damit begonnen, die ehemaligen Zwangsarbeiter zu entschädigen. Sie weigert sich aber bis heute, die Forderungen der griechischen Opfer der deutschen Besatzung anzuerkennen.

Auch bei den ehemaligen Zwangsarbeitern wollte Deutschland nicht zahlen. Erst als die USA Druck ausübten, konnte die deutsche Regierung nicht mehr sagen, wir müssen in die Zukunft schauen. Aber Griechenland ist ein kleines Land, und es geht hier nur um das Recht des Stärkeren.

Die deutsche Regierung behauptet, dass 50 Jahre nach Kriegsende und nach so vielen Jahren vertauensvoller internationaler Zusammenarbeit mit dem Nato- und EU-Partner Griechenland die Entschädigung ihre Berechtigung verloren habe. Die griechische Regierung könne daher nicht erwarten, dass die Bundesregierung in Gespräche über dieses Thema eintrete. Die deutsche Regierung verlangt von uns, dass die Zusammenarbeit zukunftsorientiert sein müsse. Was bedeutet, wir sollen die Vergangenheit vergessen.

Warum wurde Deutschland nicht gleich nach dem Krieg zu Reparationszahlungen an Griechenland verpflichtet?

Weil Griechenland nach dem Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 Nachsicht mit Deutschland gezeigt hat. 1953 wurde im Londoner Schuldenabkommen vereinbart, die Rückzahlung der Verbindlichkeiten bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zurückzustellen. Griechenland hat Deutschland demnach einen Aufschub, eine Stundung gewährt. Aber diese Geduld und diese Hochherzigkeit der Griechen wurden von den Deutschen missverstanden. Alle anderen Länder, die zusammen mit Deutschland Griechenland besetzt haben, die Italiener und die Bulgaren, sind inzwischen ihren Verpflichtungen nachgekommen und haben gezahlt. Wenn wir damals gesagt hätten, ihr zahlt jetzt sofort, gäbe es unter Umständen den heutigen Wohlstand in Deutschland nicht.

Um welche Beträge handelt es sich denn?

Da sind die Restschulden aus Entschädigungsverpflichtungen aus dem Ersten Weltkrieg in Höhe von fast 40 Millionen Dollar. Außerdem Schulden Deutschlands aus dem bilateralen Handel zwischen den beiden Weltkriegen, in Höhe von 523 Millionen Dollar. Dazu kommen Reparationsforderungen nach Berechnungen der Pariser Konferenz von 1946 in Höhe von über 7,1 Milliarden Dollar als Entschädigung für die Beschlagnahme von Privat- und Staatseigentum, für Zerstörungen und Plünderungen. Außerdem die Ansprüche aus einer Zwangsanleihe von 3,5 Milliarden Dollar, die der Bank von Griechenland 1942 aufgenötigt wurde. Damit wurden sowohl die Verpflegung der Besatzer als auch die Kosten für das Afrika-Korps unter General Rommel finanziert. Unter Einbeziehung eines Minimalzinssatzes von drei Prozent, sind das heute 13 Milliarden Dollar. Und zum Schluss gibt es noch die Ansprüche Griechenlands auf die Rückgabe der gestohlenen antiken Schätze.

Sie erwarten von Deutschland eine vollen Ausgleich dieser Forderungen?

Selbstverständlich. So ist die Zwangsanleihe ein Vertrag, der vom Naziregime unterschrieben wurde. Und Deutschland als Rechtsnachfolger muss natürlich für diese Summen aufkommen. Aber das sind nur die materiellen Schäden. Was Griechenland an Menschenleben verloren hat, ist nicht aufzurechenen. 130 000 Bürger wurden in den dreieinhalb Jahren deutscher Besatzung getötet, 100 000 in Konzentrationslagern ermordet, darunter fast alle Juden des Landes. 600 000 Griechen starben an Hunger und Kälte, weil die Besatzer Lebensmittel und Brennstoffe beschlagnahmt hatten.

Die deutscher Regierung behauptet allerdings, dass 1960 bereits 115 Millionen Mark an Entschädigung gezahlt worden seien.

Die geringe Entschädigung, die damals geleistete wurde, war, wie schon der Vertragstext besagt, ausdrücklich den Opfern politischer, religiöser und rassischer Verfolgung vorbehalten. Die Frage der Reparation von Kriegsschäden blieb bei diesem bilateralen Vertrag völlig ausgeklammert. Allerdings wurde ausdrücklich in der Vereinbarung festgehalten, dass Griechenland auf die Schadensersatzforderungen nicht verzichtet. Diese Klausel hatte der damalige Botschafter Alexandris ausgehandelt, der dann von seinem Amt zurücktrat, weil er mit einigen Passagen nicht einverstanden war.

Aber die griechische Regierung hat den Vertrag akzeptiert ...

Die Regierung in Athen wurde unter Druck gesetzt. Deutschland war inzwischen wieder stark geworden. Griechenland hatte gerade den Bürgerkrieg hinter sich und war abhängig von den Großmächten. Diese übten Druck auf Griechenland aus. Die Bundesrepublik spielte inzwischen in der Nato an der Seite der Amerikaner eine wichtige Rolle. Daher wurde sie aufgewertet und anders behandelt.

Welche Schritte wurden unternommen, um dennoch das Geld von der deutschen Regierung zu erhalten?

Seit 1995 haben tausende Griechen vor griechischen Gerichten die Bundesrepublik auf Entschädigung verklagt. In einem Fall geht es um das Massaker an der Zivilbevölkerung in Distomo. Weil griechische Partisanen eine SS-Einheit überfielen und acht Personen erschossen, ermordete die SS-Polizei-Division auf unglaublich grausame Weise die Bewohner von Distomo und steckte das Dorf in Brand.

Das Gericht von Livadia entschied 1997, dass Deutschland 55 Millionen Mark an die Nachfahren der Opfer zahlen sollte. Deutschland nannte diese Entscheidung völkerrechtswidrig und weigerte sich weiterhin zu zahlen. Daraufhin drohte der Anwalt der griechischen Kläger, Jannis Stamoulis, deutschen Besitz in Griechenland, so das Goethe-Institut und die archäologische Schule von Athen, zu beschlagnahmen und zu versteigern.

Wie hat die deutsche Regierung reagiert?

Sie legte vor dem Aeropag, dem obersten Gericht in Griechenland, Einspruch gegen das Urteil ein. Deutschland behauptete, dass für das Massaker, das in Distomo verübt wurde, das Prinzip der Exterritorialität gelte, d.h., es bestehe eine Immunität des deutschen Staates gegenüber der griechischen Justiz. Der Aeropag lehnte den Einspruch im Jahr 2000 mit der gleichen Begründung ab, mit der die deutsche Regierung 1999 den Einfall in Jugoslawien gerechtfertigt hatte. Bei Kriegsverbrechen und bei Verbrechen gegen die Menschheit, wie bei den Vergeltungsmaßnahmen in Distomo, können sich Staaten nicht auf ihre Immunität berufen. Die Menschenrechte seien höher zu bewerten als das zwischenstaatliche Völkerrecht.

Der griechische Justizminister sieht das anscheinend anders. Michalis Stathopoulos hat sich vor wenigen Monaten geweigert, die Beschlagnahme des deutschen Besitzes zu akzeptieren.

Deutschland hat Druck auf die griechische Regierung ausgeübt, daher ist sie zurückgewichen. Der Anwalt der griechischen Kläger und der griechische Nationalrat haben sich aber erneut an den Aeropag gewandt. Dieser wird am 17. April nun endgültig über die Frage der Staatenimmunität entscheiden. Wenn die Entscheidung zu Gunsten der deutschen Regierung ausfällt, hört unser Kampf aber nicht auf. Wir gehen vor internationale Gerichte, vor den europäischen Gerichtshof in Den Haag und vor das europäische Gericht in Strasbourg. Wir können nicht in die Zukunft blicken, ohne die Vergangenheit bewältigt zu haben.