Forum für eine gerechtere Entwicklungspolitik in Mexiko

Die Avantgarde bittet zum Tanz

Auf dem Sozialforum für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung im mexikanischen Monterrey gaben sich staatliche wie nichtstaatliche Organisationen ein Stelldichein.

Ausgerechnet »Auditorio Coca-Cola«. Man müsse dieses Gebäude in »Acero Monterrey« (Stahl Monterrey) umbenennen, schimpft Jesús Medellín. Tausende von Arbeitern seien damals ohne Abfindung auf die Straße gesetzt worden. »Das war das Ergebnis von Privatisierung, Korruption und einer Politik im Dienst des großen Kapitals«, erklärt der Mittfünfziger weiter.

Medellín muss es wissen. Als das Stahlwerk »Fundidora de Acero, Monterrey S.A.« 1987 dichtgemacht wurde, gehörte er zu den Gekündigten. Jetzt steht er wieder hier, im heutigen Parque Fundidora, auf dem Podium des mexikanischen »Foro Global«. Auf den hinteren Bänken im Auditorio Coca-Cola rufen einige Zuschauer euphorisch »Acero Monterrey, Acero Monterrey«.

Globalisierungskritiker haben es manchmal nicht leicht. Bei 38 Grad im Schatten trafen sie sich vergangene Woche in der konservativen Hochburg im Norden Mexikos, knappe 100 Kilometer entfernt von den verhassten USA, im Bundesstaat Nueva Leon. Doch mit den Feinden sah man es beim »Sozialforum für eine Finanzierung des Rechts auf eine nachhaltige und gerechte Entwicklung« sowieso nicht so eng.

Unter den rund 700 Organisationen, die ihre Vertreter und Vertreterinnen zu der Konferenz schickten, fanden sich neben Menschenrechtsinitiativen, Frauengruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Schließlich habe man nicht das Interesse, das herrschende ökonomische Modell zu bekämpfen, sondern »bei den multilateralen Institutionen demokratische Mechanismen zu etablieren«, informierte Forum-Organisatorin Laura Fraude schon vorab. Entsprechend energisch legte die Mexikanerin den rund 1 500 angereisten Globalisierungskritikern auf der Eröffnungsveranstaltung nahe: »Seien wir uns dessen bewusst, dass wir immer die Avantgarde der Regierungen und Institutionen waren.«

Ja, man sei sich in vielen Punkten einig, bestätigte IWF-Vertreter Prakash Longani auf einer der über hundert Veranstaltungen, die in der vergangenen Woche stattfanden. Viele Probleme gebe es zu lösen, sekundierte sein von der Weltbank abgestellter Kollege Amar Bhattacharya, »aber deshalb sind wir mit euch hier in diesem Zelt. Wir haben während unserer 30jährigen Existenz gelernt zuzuhören.« Die Weltbank, versicherte Bhattacharya, stehe »entschlossen zu diesem Dialog«. Zum Tanzen brauche man schließlich immer zwei.

Vom Zeltlager der Alternativen zum Tanzsalon der »Großen« sind es nur wenige Meter. Auf der anderen Seite des Parque Fundidora, vorbei an rostigen Metallruinen der Acero Monterrey, dem Vergnügungspark und der Formel-1-Zielgeraden, liegt das Cintermex. Wie das Auditorio Coca-Cola wurde dieses Internationale Handelszentrum Monterreys auf den Trümmern des Stahlwerkes erbaut. Im Cintermex treffen sich seit Beginn dieser Woche Leute wie Bhattacharya und Longani mit 53 Regierungschefs, rund 300 Ministern, Unternehmern und NGO-Delegierten zur Uno-Entwicklungskonferenz. Es ist der erste Kongress dieser Art: Erstmals wollen die Vereinten Nationen gemeinsam mit IWF, Weltbank, Welthandelsorganisation (WTO) und Wirtschaftsvertretern ein umfassendes Konzept gegen die Armut vorlegen. Genau genommen sollte ein Entwurf verabschiedet werden, dessen Inhalt ohnehin nicht mehr zur Disposition stand: der Konsens von Monterrey.

»No sirve para nada« - »rein gar nichts« tauge diese Erklärung, meint man am anderen Ende des Parque Fundidora. Unverbindliche Absichts-erklärungen, wachsweiche Formulierungen. Nein, kritisierte Paul Tennasee vom Weltverband der Arbeit, mit diesem Papier werde nie das beim Millenniumsgipfel in New York formulierte Ziel erreicht, die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Auf der Entwicklungskonferenz werde man lediglich »einige Willenserklärungen hören«, so Tennasee, der seine Organisation auch bei den Vereinten Nationen repräsentiert. Und überhaupt: Dass an dem im Januar formulierten Entwurf nichts mehr verändert werden dürfe, liege einzig daran, dass man den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush nicht habe in Frage stellen wollen. Bush hatte seine Zusage erst gegeben, nachdem das »Konsensschreiben« unter Dach und Fach war. »Die Europäer haben sich in den Vorverhandlungen dem Hegemonialanspruch der USA total unterworfen«, meint Tennasee.

Eine Untersuchung der NGO Social Watch kommt zu einem umfassenderen Schluss: Die entwickelten Staaten hielten durch ihre restriktive Handelspolitik die Länder des Südens in Armut. »Die G 7-Staaten verschließen sich gegenüber Schlüsselprodukten der armen Staaten, und die Finanzinstitutionen fordern ökonomische Maßnahmen gegen Krisen, die sie gegen Rezessionen im eigenen Land nicht anwenden«, resümierte Organisationssprecherin Patricia Garce das Ergebnis einer Studie, die Social Watch jetzt zum Beginn der Uno-Konferenz vorlegte.

Auch diese Einschätzung wird in den Konsens von Monterrey keinen Eingang mehr finden. Ebensowenig wie die Tobin-Steuer. Dabei gehört die Versteuerung von internationalen Devisentransaktionen, wie sie etwa von der globalisierungskritischen Gruppe Attac gefordert wird, zu den wichtigsten Zielen der NGO. Vor allem aber die auf ihrem Gipfel in Barcelona getroffene Entscheidung der Europäischen Union, die Entwicklungshilfe nur geringfügig zu erhöhen, stieß beim Sozialforum auf Missfallen. Und ebenso die Ankündigung Bushs, fünf Milliarden Dollar zur Unterstützung der ärmsten Staaten zur Verfügung zu stellen.

»Nichts als Brotkrümel«, urteilte Mitorganisator Alejandro Villamar. Schließlich hätte sich die internationale Staatengemeinschaft seit 30 Jahren zum Ziel gesetzt, 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe freizugeben. Die nun von der EU zugesagten 0,39 Prozent bis zum Jahr 2006 seien lediglich »ein Zugeständnis in letzter Minute, weil man keine konkreten Vorschläge zur Überwindung der weltweiten Armut zu bieten« habe, ergänzte Alberto Arroyo vom mexikanischen Netzwerk gegen den Freien Handel (Remalc). Selbst Weltbank-Chef James Wolfensohn hatte sich jüngst für eine Verdopplung der Zahlungen ausgesprochen.

Viel wird also im Konsens von Monterrey nicht übrig bleiben von all den gut gemeinten Vorschlägen der NGO-Gemeinde. Dabei hatten die Ausrichter des Sozialforums einflussreiche Freunde: Die mexikanische Regierung machte rund 300 000 Dollar für Infrastruktur und Miete locker, und auch die Uno sowie einige Staaten des Nordens kofinanzierten das Treffen.

Dass die Veranstalter trotzdem auch noch zehn Dollar Eintritt verlangten, brachte einige auf die Palme. Alle Gruppen aus Monterrey selbst sagten kurzfristig ihre Teilnahme ab. Schon vorher hatten sich unabhängige Organisationen skeptisch über das Forum geäußert. Sicher hätten viele Leute guten Willen, sagt etwa Fernández Norona von der »Assamblea Ciudadana de Deudores de La Banca«, einer Art Verband von Bankverschuldeten. Aber »es ist besser, die Auswirkungen des herrschenden ökonomischen Modells herauszuarbeiten und in keiner Weise nachgiebig zu sein«.

Zahlreiche kleinere unabhängige Gruppen, aber auch Bauerninitiativen und Gewerkschaften konzentrierten sich auf Aktionen vor Ort. Während im Cintermex die Uno-Entwicklungskonferenz ihren Lauf nimmt, will man mit Demonstrationen und Versammlungen gegen das Treffen mobilmachen. Etwa mit der Parole »Eine andere Welt ist möglich«. Oder, wie einige Anarchopunks etwas verkürzter auf einem Plakat ankündigten: »Unsere Globalisierung: Revolution«. Solche Pläne brachten die mexikanischen Sicherheitskräfte ins Spiel. Rund 7 000 Polizisten verschiedener Einheiten sollten in diesen Tagen in der Stadt für Ruhe sorgen.

Ganze Straßenzüge wurden am Sonntagabend gesperrt, um die Tagung vor Globalisierungskritikern zu schützen. Das örtliche Fernsehen zeigte Aufnahmen vermeintlich aus Italien anrückender Chaoten. Und nicht zufällig waren dort auch regelmäßig Szenen von Aktionen gegen den G 7-Gipfel in Genua zu sehen, in denen Demonstranten nackt oder halbnackt auftraten. Schließlich fürchtet man im streng katholischen Monterrey nichts mehr als einen Zerfall der Moral.

Zumindest die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Sozialforums im Parque Fundidora scheinen hier einen guten Eindruck hinterlassen zu haben. Fernando Canales, Gouverneur des Bundesstaates Nueva Leon, jedenfalls gab sich vorab gelassen: »Mich berührt die Entschlossenheit, die Hartnäckigkeit, mit der diese Leute in konstruktiver Absicht vorgehen«, erklärte Canales. Canales ist Mitglied des konservativen Pan, der Partei der Nationalen Aktion.