»Der große Schwindel« von Thierry Meyssan

Thesen ohne Flügel

Mit seiner Behauptung, die Flugzeugattacke auf das Pentagon sei von den USA inszeniert worden, schaffte es Thierry Meyssan in Frankreich auf die Bestsellerliste.

Hat der Papst die Attentate vom 11. September organisiert?« wurde in der letzten Woche auf dem Titelblatt des linksnationalistischen Wochenmagazins Marianne gefragt. Allerdings hatte dies nichts mit dem Erscheinungsdatum der Ausgabe, dem 1. April, zu tun. Redakteur Eric Dior bezog sich ironisch auf die Mitte März erschienene Publikation des Enthüllungsjournalisten Thierry Meyssan, der mit seiner These, dass am 11. September des vorigen Jahres gar kein Flugzeug auf das Pentagon geknallt sei, einen Bestseller landete. Das Buch »L'effroyable imposture« (dt. »Der entsetzliche Schwindel«) ist mit 100 000 verkauften Exemplaren bereits in der Woche seines Erscheinens zum Verkaufsschlager geworden, doch wie die Mehrheit der Kritiker feststellen musste, fällt der großspurige Titel auf den Autor selbst zurück.

Als Verschwörungstheoretiker war Meyssan bisher noch nicht aufgefallen. Im Gegenteil. Vielmehr steht er an der Spitze des nach dem französischen Aufklärungsphilosophen benannten Netzwerks Réseau Voltaire, das sich dem aufklärerischen Ideal verpflichtet hat und bemüht ist, durch Investigativjournalismus und Initiativenarbeit Licht ins gesellschaftliche Dunkel zu bringen.

Einer der Arbeitsschwerpunkte Thierry Meyssans als Präsident des 1994 gegründeten Réseau Voltaire lag auf der Bekämpfung der extremen Rechten. 1999 war ein Dossier, das von dem Netzwerk veröffentlicht worden war, offiziell von einer parlamentarischen Untersuchungskommission übernommen worden. In dem Bericht ging es um den milizähnlichen Ordnerdienst des neofaschistischen Front National.

Manche Kritiker sind nun darum bemüht, sich von Meyssan zu distanzieren, indem sie versuchen, seine publizistischen Verdienste zu schmälern. Eigentlich habe Meyssan immer nur Material zusammengetragen, das andere recherchiert hätten. Unterschlagen wird, dass Meyssan als Autor in Erscheinung getreten ist, vor allem mit Publikationen, die sich mit der Grauzone zwischen Konservativen und Rechtsextremen befassen. Allerdings richtete sich sein Augenmerk vorwiegend auf Lobbyorganisationen der konservativen Elite, die einen Teil ihrer Aktivitäten gern außerhalb des Lichts der Öffentlichkeit vollziehen.

Einen ausgeprägten Hang, das Weltgeschehen durch finstere Komplotte und im Verborgenen wühlende Kräfte zu erklären, hat freilich der Verleger, den Meyssan für seine neueste Publikation gefunden hat. Das 1997 gegründete kleine Verlagshaus Carnot im Pariser Nobelvorort Chatou publizierte Titel wie »Diana und Dodi, der Hinterhalt. Es war kein Unfall ...« von Hugo Nhart, dem zufolge der Unfalltod der Prinzessin Diana und ihres Liebhabers Dodi el-Fayed auf eine Verschwörung zurückzuführen ist. Ebenfalls im Programm führt der Verlag den Titel »Licht auf dem Mond« von Philippe Leureux, der behauptet, dass die Mondlandung 1969 von den US-Amerikanern in einem Studio inszeniert worden sei. Demnächst plant der Verleger eine Serie über Wahrsagerei. Mit »L'effroyable imposture« hat Carnot seinen ersten echten Verkaufserfolg gelandet.

Die zentrale These des Autors bietet denn auch einige Anhaltspunkte, um die Liebhaber von Komplottphantasien und -ängsten zu verführen. Zugleich aber hält sie auch Leute, die von sich behaupten, rational zu denken, zumindest anfänglich in Atem.

Meyssan will den Nachweis führen, dass die Flugzeug-Attacke auf das US-amerikanische Verteidigungsministerium gar nicht stattgefunden habe. Bereits einige Tage vor Erscheinen seines Buches hatte der Verfasser Fotos ins Internet gestellt - etwa auf der Homepage www.asile.org, die von seinem Sohn Raphaël betreut wird -, mit denen die offizielle Darstellung der Ereignisse in Frage gestellt werden sollte. Die Bilder stammen von der Einschlagstelle und sind unmittelbar nach dem Anschlag, dem die Attacke auf die beiden Türme des World Trade Center in New York vorausgegangen war, aufgenommen worden. Später befanden sich die Fotos auf der offiziellen Homepage des Pentagon, wo Thierry Meyssan sie entdeckte. Auf diesen Fotos sind keine Flugzeugwrackteile zu sehen; man sieht lediglich große Scharen von Feuerwehrleuten anrücken, die den frisch ausgebrochenen Brand im Pentagon löschen sollen.

Daraus schlussfolgern Vater und Sohn: In Wirklichkeit sei zu keinem Zeitpunkt ein Flieger in das Pentagon gerast, denn es seien ja auch keine Reste der Flügel der Maschine auf den Fotos zu sehen. Vielmehr hätten US-amerikanische Militärs oder Geheimdienstler einen mit Sprengstoff beladenen Lkw auf die Außenmauer des Kriegsministeriums aufprallen lassen, um ein solches Attentat zu fingieren. Die Argumentation hat freilich einen Schönheitsfehler: Einige tausend Augenzeugen haben Wrackteile des Flugzeugs gesehen. Und die Linienmaschine des Flugs 77 der American Airlines, die an jenem Morgen vom Reagan-Flughafen von Dulles abhob, mitsamt ihren 58 Passagieren bleibt bis heute verschwunden. Im Internet präzisieren die Meyssans nicht, ob sich Mannschaft und Passagiere jetzt auf einer geheimen unterirdischen Basis befinden oder in Sondermission auf dem Weg zum Planeten Mars sind.

In seinem Buch spinnt Meyssan den brüchigen Faden seiner Argumentation noch weiter und beschäftigt sich auch gleich noch mit den Attentaten auf das World Trade Center in New York. Und er stellt eine eigene Theorie auf, oder eigentlich zwei. Es habe sich um einen Putschversuch rechter CIA- und Armee-Kreise gegen die US-Administration Bush gehandelt, heißt es schon auf den ersten 40 Seiten. Leider bleibt Meyssan eine präzise Begründung dafür schuldig, warum die Vertreter des mächtigen militärisch-industriellen Komplexes ausgerechnet gegen eine Regierung putschen müssten, von der sie ohnehin die Erfüllung der allermeisten ihrer Wünsche erwarten können.

Aufgehängt ist die Spekulation an Zitaten des Vizepräsidenten Dick Cheney und des Präsidentensprechers Ari Fleischer, denen zufolge die Führungsspitze der US-Adminstration am 11. September an einem geheim gehaltenen Ort in Sicherheit gebracht worden sei, da man nicht gewusst habe, von welchem Punkt des US-Territoriums aus diese attackiert werden könnte. Ein - unfreiwilliger - Beleg dafür, so Meyssan, dass diese eine Attacke aus US-Armeekreisen befürchtet hätte. Gegen Ende des Buches hingegen neigt Meyssan eher zu der Ansicht, die politische Führung der USA selbst habe die Attentate ausgelöst, um sich eine solide Legitimationsbasis für verschärfte Aufrüstung und neue Kriege, namentlich in der so genannten Dritten Welt, zu verschaffen. Beide Thesen widersprechen sich bei Meyssan nicht mal. Er weist auf die Pläne ultrarechter Militärkreise in den frühen sechziger Jahren hin, die Provokationen Kubas planten - unter anderem durch den vorgetäuschten Abschuss eines US-Passagierflugzeugs -, aber durch den damaligen Präsidenten John F. Kennedy ausgebremst wurden. Heute, so Meyssan, hätten diese Kräfte ihre Vorhaben eben der US-Administration erfolgreich aufgenötigt.

Das Problem an Meyssans Buch ist die Mischung aus Fantasy und Fakten. Die Pläne zu Kuba hat es tatsächlich gegeben und sind von Historikern nachgewiesen worden; entsprechende Dokumente sind in »L'effroyable imposture« publiziert. Wie auch manche anderen finsteren Absichten oder Interessen, auf die der Autor hinweist, durchaus real sein könnten. Und auch manche der Fragen, die er anspricht, sind bislang nicht beantwortet.

So die Legende, die die US-Sicherheitskräfte kurz nach dem 11. September verbreiteten, wonach der Pass des Attentäters Mohammed Atta unbeschädigt in den Trümmern des WTC gefunden worden sei. Oder jene, wonach Atta praktischerweise einen Koffer mit Beweismaterial - einem Handbuch für Attentäter, einem Video von seinen Pilotenkursen in Florida und einem Koran - beim Umsteigen von einem Flugzeug ins nächste vergessen habe. Diese Ungereimtheiten sind bereits an anderem Ort von anderen Autoren angesprochen worden.

Auch der Hinweis auf die Rede, die Bruce Hoffmann von der rechten Denkfabrik Rand Corporation im März 2001 vor hohen Offizieren der US Air Force Academy hielt, und in welcher er präzise eine Attacke der Organisation al-Quaida auf das World Trade Center (dessen Nordturm dabei auf den Südturm stürze) mittels unbemannter Flugzeuge - so genannter Drohnen - ausmalte, lässt aufhorchen. Schließlich durfte natürlich der Hinweis auf den Krankenhausaufenthalt von Ossama Bin Laden in Dubai am Golf vom 1. bis 15. Juli 2001 nicht fehlen, bei dem der Terroristenführer Besuch vom örtlichen CIA-Residenten erhielt. Diese Geschichte war am 31. Oktober 2001 von der konservativen Pariser Tageszeitung Le Figaro publik gemacht worden.

Barer Unsinn ist es, daraus eine Verschwörungstheorie zu basteln, wonach die Anschläge von Anfang bis Ende von US-Führungskreisen eingefädelt worden seien. Es ist wenig plausibel, dass die Regierung der imperialistischen Führungsnation sich selbst einen derartigen symbolischen Schaden vor den Augen der Weltöffentlichkeit zufügen würde. Noch weniger zu glauben ist, dass die Profis der Dienste vom Typ CIA ein Komplott geschmiedet haben, das derartig grobschlächtig war, dass ein französischer Journalist ohne größere investigative Mittel es allein von seinem Platz am Bildschirm aus durchschauen konnte. Tatsächlich hat Meyssan niemals Nachforschungen an den Orten des Geschehens angestellt, er ist nicht einmal in die USA gereist. Seine Argumentation basiert allein auf dem, was er von offiziellen Homepages gezogen hat.

Eine andere Frage, die rational zu diskutieren wäre, ist freilich, in welcher Form und in welchem Maße sich die Interessen verschiedener Akteure des Geschehens deckten oder sich gegenseitig in die Hände spielten. Denn Tatsache ist, dass die imperialistischen Führungsnationen mit den Extremisten des Islamismus über Gegner verfügen, die so hässlich sind, wie sie es sich nur wünschen können. Und die keinerlei Perspektive für eine rational fassbare Veränderung der Weltgesellschaft bieten.

Thierry Meyssan: L'effroyable imposture. Carnot, Chatou 2002, 251 S., 18 Euro