Was wird aus der Bundeswehr?

Abschaffung aufgeschoben

Es waren die Soldaten einer Wehrpflichtigenarmee, die 1918 in Deutschland den Kaiser davonjagten und - wäre da nicht der Verrat der Sozialdemokratie gewesen - fast die sozialistische Revolution gemacht hätten. Und es waren Soldaten einer Wehrpflichtigenarmee, die ab 1939 Europa in einem erbarmungslosen Vernichtungskrieg in Schutt und Asche legten. Trotz des ihr innewohnenden republikanischen Prinzips hat die Wehrpflicht per se wenig mit Demokratie zu tun.

Das war von Anfang an so. Als sie in Frankreich 1793 erstmals eingeführt wurde, war vom fortschrittlichen Geist der französischen Revolution schon nicht mehr viel übrig. Aus militärischer Sicht war das so entstandene Massenheer durchaus eine revolutionäre Neuerung. Der napoleonischen Volksarmee hatten die Söldnerheere der absolutistischen Herrscher wenig entgegenzusetzen. Nachdem Napoleon gescheitert war, zog man auch andernorts - etwa in Preußen - die Konsequenzen und führte die Wehrpflicht ein. Das Menschenmaterial für die bald folgenden schlimmsten Gemetzel war bereitgestellt.

Die Zeit der kontinentalen Eroberungsfeldzüge und Massenschlachten ist zum Glück vorbei. Und seit dem Niedergang der Sowjetunion ist die Welt auch nicht mehr in zwei große Militärblöcke geteilt, die sich nicht nur mit Atomwaffen, sondern auch mit Millionen von Soldaten gegenüberstanden. Für die Kriege des 21. Jahrhunderts gelten also andere Erfordernisse, große Volksarmeen werden nicht mehr gebraucht und sind auch kaum noch zu finanzieren. Das heißt nicht, dass Gemetzel nicht mehr veranstaltet werden. Aber der im Kalten Krieg siegreiche Westen überlässt sie lieber seinen regionalen Hilfstruppen in den diversen Krisengebieten der Dritten und Vierten Welt.

Nur wenn das Ganze außer Kontrolle gerät oder den eigenen Interessen abträglich ist, gilt es einzugreifen - aber nicht durch eine groß angelegte Invasion, sondern mit begrenzten Aktionen. Dafür reichen kleine Einheiten, so genannte Krisenreaktionskräfte. Deutschland und die EU haben in dieser Hinsicht gegenüber der USA allerdings noch einigen Nachholbedarf. Wenn die Grünen, die FDP und die PDS also die Abschaffung der Wehrpflicht fordern, befinden sie sich auf der Höhe der Zeit. Denn eine Freiwilligenarmee könnte deutschen Interessen in aller Welt effizienter dienen.

Dass Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, große Teile der SPD, die Unionsparteien und die Armeeführung trotzdem die Wehrpflicht nicht abschaffen wollen, hat allerdings auch triftige Gründe. So würde das Gesundheitssystem ohne zwangsverpflichtete Zivildienstleistende vermutlich zusammenbrechen.

Vor allem aber könnte die »Qualität« der deutschen Soldaten darunter leiden. Denn die Wehrpflicht dient nicht zuletzt auch zur Rekrutierung von künftigen Berufssoldaten und Offizieren. Solange alle männlichen Deutschen zur Armee müssen, passiert es wenigstens noch ab und an, dass sich auch ein Abiturient, der zum Verweigern zu faul war, in die Truppe verirrt. Auffällig intelligente Soldaten werden, so ist es die Praxis der Bundeswehr, von den Vorgesetzten gezielt angesprochen, um sie als Offiziere zu gewinnen.

Nach der Umwandlung in eine Freiwilligenarmee besteht dagegen die Gefahr, dass sich nur noch Nazis bewerben oder solche, die es außerhalb der Armee nirgends zu etwas bringen könnten. Und wie soll man mit solchen Leuten eine in der ganzen Welt agierende Interventionsarmee aufbauen?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat den Befürwortern der Wehrpflicht nun zumindest eine Verschnaufpause gewährt. Denn, so Generalinspekteur Harald Kujat: »Wir brauchen auch Ruhe in der Truppe für die großen Anstrengungen, die wir uns vorgenommen haben.«