Generalstreik in Italien

Acht Stunden Druck

Zum ersten Mal seit 20 Jahren findet in Italien wieder ein Generalstreik statt.

Bildausfall auf allen Kanälen? Beim ersten Generalstreik seit 20 Jahren am Dienstag dieser Woche sollte die italienische Bevölkerung einen Ausnahmezustand der besonderen Art erleben. Da sogar die Journalisten und Angestellten von Silvio Berlusconis Medienimperium Mediaset gemeinsam mit ihren Kollegen vom Staatsfernsehen RAI die Arbeit niederlegen wollten, sprach alles dafür, dass zumindest für einen Tag das Fernsehprogramm ausfallen würde.

Der achtstündige Streik, zu dem alle italienischen Gewerkschaften sowie die neuen linken Bewegungen aufgerufen haben, richtete sich gegen die geplante Reform des Kündigungsschutzes. Dabei haben die umfangreichen Proteste bereits vor der Arbeitsniederlegung ihre Wirkung gezeitigt. Der Geltungsbereich der zu modifizierenden Klauseln im Kündigungsschutz soll nun - entgegen den ursprünglichen Plänen des Sozialministers Roberto Maroni und den hohen Erwartungen des Unternehmerverbands - auf nur ein oder zwei Fälle beschränkt werden. Voraussichtlich werden ausschließlich Betriebe mit mehr als 15 Angestellten künftig davon befreit, entlassene Mitarbeiter, die wegen »unzulässiger Kündigung« auf Wiedereinstellung geklagt haben, tatsächlich wieder zu beschäftigen. Und wahrscheinlich wird diese Freistellung nur in Süditalien gelten.

Ob selbst diese deutlich reduzierte Reform überhaupt noch verwirklicht wird, ist zweifelhaft. Gut möglich, dass Berlusconi wegen der Proteste das ganze Vorhaben auf die lange Bank schiebt. Vielleicht beschäftigt sich ja die nächste Linksregierung wieder damit. Vermutlich sogar mit mehr Erfolg, bei weniger starkem sozialen Widerstand.

Nachdem sie mit ihrer geplanten Demontage des Arbeiterstatuts das soziale Klima drastisch verschlechtert hat, will die Mitte-Rechts-Regierung nun versuchen, die drei großen Gewerkschaftsverbände an den Verhandlungstisch zu bringen, um mit ihnen über die komplizierten Regularien des Sozialausgleichs zu sprechen.

Diese so genannten ammortizzatori sociali haben bislang dazu beigetragen, die sozialen Kosten der wirtschaftlichen Umstrukturierung in Italien zu verringern. Mit dem Sozialausgleich wurden u.a. staatliche Lohnzuschüsse für Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die frühzeitige Entlassung von Beschäftigten in den Vorruhestand finanziert.

Wohin die Reise gehen soll, zeigt ein neues Dekret, das in der vergangenen Woche verabschiedet wurde. Demzufolge wird die öffentliche Arbeitsvermittlung, in der Ansprüche beispielsweise behinderter Arbeitsloser berücksichtigt waren, zugunsten direkter Einflussnahme der Unternehmen bei der Einstellung von Beschäftigten ausgeschaltet. Eine solche Reform wurde schon von der Mitte-Links-Regierung unter dem damaligen Minister Cesare Salvi angestrebt. Ob sich die spektakulären Proteste gegen die Reform des Arbeitsrechts auch auf andere Themen ausweiten - u.a. etwa auf den verschleierten Lohnraub durch die Verwendung der Betriebsrenten für die Finanzierung der Rentenkassen - wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Vielleicht richtet sich dann die Aufmerksamkeit auch stärker darauf, dass die Aufweichung des Kündigungsschutzes nur ein Punkt unter vielen anderen war, die Minister Maroni mit der geplanten Liberalisierung des Arbeitsmarkts verändern möchte.

Die anderen Reformen, die der Sozialminister anstrebt, betreffen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und der Arbeitsleistungen, deren Regelung nicht länger von gesetzlichen Normen oder kollektiv ausgehandelten Arbeitsverträgen vorgeschrieben, sondern Gegenstand individueller Verhandlungen zwischen Betrieb und Arbeitern werden soll.

Mit einem Gesetz, das nur noch den Senat passieren muss, werden so genannte atypische oder flexible Arbeitsformen, wie befristete Arbeit, Teilzeitarbeit, Bedarfsarbeiten (jobs on call), Leiharbeit etc., legalisiert und den Bedürfnissen des »Arbeitsmarkts« angepasst.

Da sich in der Realität viele Arbeitsverhältnisse ohnehin bereits sehr geschmeidig gestalten, geht es dem Staat - der sicher auch die Kampfbereitschaft der Kernbelegschaften schmälern will - vor allem darum, die Gewerkschaften als Sachwalter der Ware Arbeitskraft etwas zu beschneiden und den Arbeitsmarkt anderen Händlern zu öffnen. Die Gewerkschaften müssen natürlich aus Selbsterhaltung darauf bestehen, dass sie auf einem derart flexibilisierten Arbeitsmarkt nicht gänzlich überflüssig werden.

Deshalb möchten die Gewerkschaften mit der Regierung verhandeln, um sich bei der Neugestaltung des Arbeitsmarkts ihren Einfluss zu sichern. Doch bei ihrer Basis, die sich von einer wachsenden sozialen Unsicherheit bedroht sieht und unter finanziellen Einbußen leidet, stößt diese Überlegung nicht nur auf Sympathie.

Vor allem die CGIL, die von den spontanen Protesten gegen die Eingriffe ins Arbeiterstatut geradezu zum Generalstreik getragen werden musste, griff daher den taktischen Fehler der Mitte-Rechts-Koalition dankbar auf.

Die CGIL kann sich, nach Jahren der unverhohlenen Sozialpartnerschaft, wieder öffentlich als Avantgarde einer sozialen Opposition darstellen. Und zwar in einer Situation, in der die moderate Linke das angelsächsische System einander an der Macht abwechselnder, doch nahezu identischer politischer Blöcke so stark verinnerlicht hat, dass sie vor lauter fair play gegen die neoliberale und faschistoide Rechte nur eine allzu brave und schwache Figur abgibt.

Darüber hinaus weckt die Vorstellung des Generalstreiks, zumal in romanischen Ländern, immer noch die Erinnerung an eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Tatsächlich wurde früher der Generalstreik als ein Vorläufer der Revolution empfunden, die in der direkten Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gewerkschaften vonstatten geht.

Die heutige Gewerkschaftsbürokratie dagegen nutzt den Streik, selbst wenn er mit der Symbolik des Generalstreiks behaftet ist, als begrenztes, taktisches Mittel, als Machtdemonstration, um sich gestärkt in eine bessere Verhandlungsposition zu begeben. Offenbar wird immer wieder davon ausgegangen, dass der Elan der mobilisierten streikenden Masse genauso so schnell und diszipliniert wieder verfliegt, wie er abgerufen wird. Von der Mobilisierung der Alternativgewerkschaften gegen Krieg und die herrschende Sozialpolitik Mitte Februar, der Massenkundgebung Ende März in Rom und dem Generalstreik in dieser Woche wird dennoch etwas bleiben, das nicht gering geschätzt werden kann.

Nach den zivilgesellschaftlichen Oppositionsregungen der vergangenen Monate, die von Richtern, Schriftstellern, Professoren und mittelständischen Hausfrauen bestimmt wurden, kurz: von der »liberalen Linken«, die sich um die Reputation Italiens, die Medienmacht Berlusconis und die Behinderung der Justiz sorgte, verschiebt sich der Schwerpunkt der sozialen Repräsentanz.

Zudem ist nicht gesagt, dass die Erfahrungen der letzten Monate nur dem Protagonismus der CGIL am Verhandlungstisch nützen. Gewiss werden auch die moderaten linken Oppositionsparteien genügend Kapital aus dem sozialen Protest schlagen. Doch allein die Tatsache, dass derzeit alles im Fluss ist, stärkt auch die autonome Organisation des Klassenkampfs.