Die nationalistische Politik Viktor Orbans

Ungarn umgarnen

Auch wenn Viktor Orban in der nächsten Woche abgewählt wird, dürfte seine großungarische Politik ihn überleben.

Eine »Wiedervereinigung der Ungarn« über die bestehenden Grenzen hinweg versprach der amtierende Premierminister Viktor Orban von der rechtskonservativen Fidesz im nationalistisch aufgeladenen Wahlkampf der letzten Wochen. Die zehn Millionen Einwohner seiner Republik bildeten, so Orban, zusammen mit den gut drei Millionen Ungarn in den Nachbarländern eine »untrennbare Familie«.

Auch wenn Grenzverschiebungen derzeit kaum denkbar sind, handelt es sich bei den großungarischen Tönen um mehr als bloße Wahlkampfrhetorik. Im Juni des vorigen Jahres beschloss die Regierung Orbans ein Gesetz zur Registrierung der Angehörigen der magyarischen Großfamilie in den Nachbarstaaten. Seitdem können sie sich um den Status von»Auslandsungarn« bewerben und ein besonderes Passdokument erhalten. Auch die sozialliberale USP, die nach dem zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag den künftigen Premier stellen dürfte, stimmte zu.

Einige Zehntausend haben die Formulare schon ausgefüllt. Anfang dieses Jahres eröffneten Organisationen der ungarischen Minderheiten in allen Nachbarländern außer Österreich eigens dazu Büros. Die Bewerber brauchen nur ungarische Sprachkenntnisse nachzuweisen und sich zum »Ungarntum« zu bekennen.

Das »Statusgesetz« verspricht den Antragstellern umfangreiche Sonderrechte in Ungarn. Dazu gehören ein dreimonatiges Arbeitsrecht, der Anspruch auf Sozialversorgung, medizinische Betreuung sowie kostenlose Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Es lohnt sich also, Ungar zu sein.

Was das »Statusgesetz« für das angrenzende verarmte Rumänien bedeuten könnte, erklärte Premierminister Adrian Nastase: »Von materiellen Vorteilen angezogen«, könnten sich »ethnische Rumänen als Ungarn deklarieren«.

Vor allem aber werden ungarisch-nationalistische Kräfte gestärkt, die sich im Süden der Slowakei, im rumänischen Siebenbürgen und in der serbischen Donauprovinz Vojvodina seit langem für die »Autonomie« der von ihnen als ungarisch bezeichneten Landkreise einsetzen und teilweise ihren Anschluss an Ungarn fordern.

Sie wollen ein »Großungarn« in den Grenzen vor 1920 wiederherstellen. Damals musste Österreich-Ungarn die Gebiete an die Nachbarstaaten abtreten. Während der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland unter dem faschistischen General Nikolaus Horthy gelang es den Revanchisten zeitweilig, ihr großungarisches Ziel zu erreichen. Mit den Deutschen verloren aber auch sie den Krieg.

Doch seit den europäischen Grenzverschiebungen nach 1989 wittern die Revanchisten ihre Chance. Immerhin sind fünf der angrenzenden Staaten Produkte des ethnonationalen Sezessionismus der neunziger Jahre: Kroatien, Slowenien, Serbien, die Slowakei und die Ukraine. Warum sollen also ausgerechnet die Ungarn an die Ewigkeit ihrer Staatsgrenzen glauben?

Oder die Nachbarn? Bei ihnen stößt die nationalistische Politik Budapests auf heftigen Widerstand. So wies das slowakische Parlament im Februar das Passgesetz als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« zurück. Hier wird der Konflikt von der Politik der ungarischen Minderheitenpartei SMK verschärft. Als die vorgebliche Interessenvertreterin der rund 600 000 slowakischen Ungarn mit Unterstützung der EU-Kommission und der OSZE in die Koalitionsregierung eingebunden wurde, wurde 1999 Ungarisch als zweite Amtssprache eingeführt.

Danach verlangte sie die Schaffung eines Selbstverwaltungsbezirkes in der Südslowakei, in dem die Ungarn rechnerisch die Mehrheit der Bevölkerung stellen würden. Als die Regierung unter Premier Mikulas Dzurinda solchen Forderungen der SMK nicht weiter nachgeben wollte, stürzte diese die Regierungskoalition im Februar dieses Jahres durch ihren Ausstieg in eine Krise. Die Beziehungen zwischen Budapest und Bratislava sind derzeit nicht gut.

Auch in Rumänien stieß das »Statusgesetz« zunächst auf vehementen Widerstand. Bei seiner Verabschiedung im vergangenen Sommer warnte Premier Nastase vor einem möglichen Staatszerfall und kündigte an, die Ausgabe der Ausweise zu verhindern. Die Forderungen der an der Regierung beteiligten ungarischen Minderheitenpartei RMDSZ reichen von der Einrichtung einer ungarischsprachigen Universität über die Anerkennung des Ungarischen als zweiter Amtssprache in Siebenbürgen, wo die meisten Ungarn wohnen, bis zur Territorialautonomie.

Erst als im vorigen Dezember in Zusammenarbeit mit der EU eine Vereinbarung getroffen wurde, die es nun auch anderen rumänischen Staatsbürgern ermöglicht, befristete Arbeitserlaubnisse in Ungarn zu beantragen, gab Nastase nach und erlaubte die Einrichtung der Passbüros.

In der serbischen Grenzprovinz Vojvodina sorgt die nationalistische ungarische Politik ebenfalls für Spannungen. Die wohlhabende Donauregion, in der verschiedene Sprachen gesprochen werden, verfügte bis Ende der achtziger Jahre über ein Autonomiestatut innerhalb Serbiens, das von Slobodan Milosevic aufgehoben wurde. Als das von Vojislav Kostunica geführte DOS-Bündnis im Oktober 2000 Milosevic aus dem Amt des jugoslawischen Präsidenten jagte, unterstützten die vojvodinischen Regionalparteien, auch die ungarische, den heutigen Präsidenten. Nun nennen sie Kostunica einen »serbischen Nationalisten«, weil er sich gegen weit reichende Autonomierechte ausspricht.

Anderseits erregen die ungarischen Nationalisten den Unmut der serbischen Bevölkerung in der Vojvodina. Als Mitte Februar in den Orten Zombor und Becej die Büros zur Ausgabe der Ausweise öffneten, drohten Unbekannte mit Bombebanschlägen. Die Büros wurden eilig geschlossen, wenn auch nur vorübergehend.

Unterstützung erhält Budapest vor allem aus Berlin und Wien. Ende Januar betonte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel, im Bundestag seine Sympathien für Ungarn. Beide Länder trügen eine »gemeinsame Verantwortung für Minderheiten«, weil Deutschland und Ungarn zwei europäische Länder seien, »in denen Sprachen gesprochen werden, die von außerordentlich vielen Menschen in anderen Ländern gesprochen werden«.

Edmund Stoiber sieht das genauso. Kürzlich reiste er in die Magyarenrepublik, um dort für die Rechtskonservativen Wahlkampf zu machen. Schließlich kämpft man auch gemeinsam für eine Aufhebung der Benes-Dekrete.