Anschlag auf eine Synagoge in Djerba

Der Unfall, der ein Anschlag war

Der autoritäre Präsident Tunesiens hat ein Problem. Immer mehr Indizien weisen auf al-Qaida als Urheber des Anschlags von Djerba hin.

Die tunesische Insel Djerba gilt normalerweise als Ferienparadies für deutsche und französische Urlauber. Doch ausgerechnet eines der wenigen Kulturdenkmäler, das die Touristen bei ihrem Aufenthalt regelmäßig besuchen, hat die Insel im Golf von Gabes nunmehr auf schreckliche und blutige Weise ins Gespräch gebracht.

Am vorletzten Donnerstag explodierte vor der großen jüdischen Synagoge von al-Ghriba im Inneren der Insel ein Tanklastwagen. Beim Aufprall auf die Außenwand der Synagoge verwandelte sich der mit Gas beladene Lkw in einen verheerenden Feuerball. Elf deutsche TouristInnen, ein 75jähriger Franzose, ein franko-tunesischer Bürger sowie drei Tunesier starben.

Um einen Unfall habe es sich gehandelt, behauptete das tunesische Regime unter dem autoritären Präsidenten Zine Abidine Ben Ali zunächst tagelang. Der Lkw sei auf der Durchfahrt vor der Synagoge am Bordstein hängen geblieben und deswegen unbeabsichtigt auf die Mauer des Gebäudes geprallt.

Doch schnell erwies sich diese Version als unglaubwürdig und, unter dem Druck der deutschen Ermittlungsbehörden, unhaltbar. Nicht zu erklären ist damit etwa, warum der Tanklastwagen durch mehrere extrem enge Sträßchen bis in die Sackgasse vor der Synagoge vorgedrungen war.

Für den peinlichen Auftritt der Regierung, die am Dienstag voriger Woche einen Rückzieher machte und die Möglichkeit eines Attentats als »Hypothese« einräumte, sind wohl mehrere Gründe aussschlaggebend. Einerseits hängt die tunesische Ökonomie zu einem bedeutenden Teil von den Einnahmen aus dem Fremdenverkehr ab. Deswegen versucht man alles, um die potenziellen Urlauber nicht zu beunruhigen.

Einen weiteren Grund führte die Pariser Sonntagszeitung JDD in ihrer jüngsten Ausgabe an. Demnach habe die tunesische Diktatur zehn Tage vor dem Attentat von Djerba entdeckt, dass ein islamistisches Netzwerk einen Teil seines umfangreichen Geheimdienstapparats unterwandert hat. Ein gutes Dutzend Personen sei deswegen im südtunesischen Sfax und in Zarsis festgenommen worden. Daher habe der Sicherheitsapparat seine Erkenntnisse vorerst deckeln wollen.

Nachdem die Unfallthese de facto zurückgezogen worden war, beharrte das Regime in Tunis darauf, all das in den Vordergrund zu stellen, was auf einen nicht tunesischen Hintergrund des »möglichen« Anschlags schließen lassen könnte. So strich man heraus, der mutmaßliche Attentäter Nizar Nawar, der 1977 im südtunesischen Ben Gardane geboren wurde, habe in Lyon gelebt und von dort aus die Tat vorbereitet.

Doch aller Wahrscheinlichkeit nach hat der 25jährige seine Füße nie auf französischen Boden gesetzt. Sein Vater lebt dort seit 1961 in Saint-Etienne in der Nähe von Lyon. Vor zwei Jahren ließ er die Mutter und vier der Geschwister Nizars nachkommen. Doch der Sohn entschied sich, in Tunesien zu bleiben. Nachdem er ein Tourismusstudium in Kanada absolviert hatte, arbeitete er auf Djerba für ein kanadisches Reisebüro.

Ferner betont man in Tunis nun, das transnational operierende Netzwerk al-Qaida habe die Tat vorbereitet, und nicht tunesische Islamisten. Tatsächlich hat al-Qaida sich in einem Schreiben an die arabischsprachige Tageszeitung El-Hayat (London) zu dem Anschlag bekannt, den man zugunsten der »palästinensischen Brüder«, die zu Opfern israelischer Verbrechen geworden seien, ausgeführt habe.

Politisch würde eine Urheberschaft des transnationalen Netzwerks al-Qaida jedenfalls Sinn machen. Eine Täterschaft aus der Umgebung der tunesischen Islamistenorganisation Ennahda, die bis Anfang der neunziger Jahre eine legale Partei war, ist unwahrscheinlich. Ennahda hat nie die Stärke etwa der algerischen Islamistenpartei Fis (Islamische Errettungsfront) in den frühen neunziger Jahren erreicht. Vor allem aber sind ihre Strukturen durch äußerst brutale Repression gründlich zerschlagen worden.

Auf ihrem Höhepunkt stand Ennahda im Frühjahr 1989. Damals fanden die bisher einzigen pluralistischen Wahlen in dem diktatorisch regierten Land statt. Am 7. Dezember 1987 ließ der heutige Präsident Ben Ali seinen Vorgänger, den als »Präsidenten auf Lebenszeit« firmierenden Habib Bourguiba, der seit der Unabhängigkeit 1956 das Land regiert hatte, von den Ärzten des Palasts aufs Altenteil schicken. In den ersten Monaten gab es gewisse Anzeichen einer politischen und gesellschaftlichen Öffnung, mit denen der neue Amtsinhaber das Wohlwollen der Bevölkerung erwarb, die jedoch ab 1989 von harter Repression und einer Abriegelung des politischen Spektrums nach allen Seiten abgelöst wurde.

Im März 1989 erhielt Ennahda nach offiziellen Angaben 13 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen. Angesichts des manifesten Wahlbetrugs gehen Beobachter von einem realen Stimmenanteil bis 18 Prozent aus. Ben Ali erfreute sich in der damaligen »Öffnungsphase« einer realen Popularität in der tunesischen Bevölkerung und hätte dieser Herausforderung problemlos standhalten können. Auch ohne Wahlbetrug wären ihm damals gut 60 Prozent der Stimmen sicher gewesen.

Doch das Regime entschied sich dafür, die Bedrohung durch Ennahda in schrillen Farben auszumalen und sie zum Anlass für den Einsatz von Folter, oft willkürlichen Verhaftungen und polizeistaatlicher Kontrolle über die Gesellschaft zu nehmen. Diese Phänomene trafen freilich seit der Mitte der neunziger Jahre vornehmlich Linke, unabhängige Frauenorganisationen und bürgerliche Demokraten.

In einem solchen politischen Klima wird einerseits verständlich, warum islamistische Sympathisanten es vorziehen könnten, Geheimstdienst- oder Militärapparate zu unterwandern anstatt offen aufzutreten, zumal ihnen mit ihren autoritären Politikkonzepten eine solche Strategie leichter fallen dürfte als Demokraten oder Linken.

Zum anderen wird aber auch offensichtlich, warum ein transnationales Netzwerk wie al-Qaida versprengte Aktivisten oder Sympathisanten des tunesischen Islamismus integrieren kann. Denn al-Qaida hat bisher vor allem die extremsten Elemente islamistischer Bewegungen, die in ihren eigenen Ländern gescheitert sind, aufnehmen und in ihre transnationale Strategie integrieren können. So beispielsweise Kämpfer aus Ägypten, wo die bewaffneten islamistischen Gruppen 1997 die Waffen niederlegen mussten.

Sollte al-Qaida hinter den Anschlägen in Tunesien stecken, läge die Strategie des terroristischen Netzwerks auf der Hand. Zum einen ginge es darum das tunesische Regime zu destabilisieren, indem man versucht, die Einnahmen der Tourismusindustrie zu verringern. Zum andern handelte es sich um den durchsichtigen Versuch, die Opposition im Maghreb gegen die israelischen Militäroperationen in den palästinensischen Gebieten mit einer reaktionären islamistischen Identitätspolitik zu verbinden.

Diese Opposition zieht sich durch das gesamte politische Spektrum. Die Regierungen solidarisieren sich in Worten mit den Palästinensern, auch um von sozialen Konflikten im je eigenen Land abzulenken. Sie kümmern sich jedoch real kein bisschen um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung. Bei Massendemonstrationen in Marokko wurde eine 16jährige Gymnasiastin von Polizeikräften getötet. In Tunis prügelten Sondereinheiten der Anti-Aufstandspolizei eine Solidaritätsdemonstration des verbotenen tunesischen Attac-Ablegers und studentische Manifestationen für die Palästinenser auseinander. Am Rande des Geschehens kam der Student Yassine Amami unter bislang nicht geklärten Umständen ums Leben.

Allerdings wurde vorige Woche auch die leer stehende ehemalige Synagoge von El-Marsa, einer Vorstadt von Tunis, zum Objekt von Attacken. Palästinensische Fahnen wurden neben Sprüchen gegen den amtierenden Präsidenten Ben Ali angebracht, die Gebäude beschmutzt und besudelt, ein deutliches Indiz, dass die Juden in Tunesien weiterhin im Schussfeld stehen. Sich dies zunutze machen zu wollen, passt ebenfalls grundsätzlich zur Ideologie von al-Qaida, der Organisation »gegen Juden und Kreuzfahrer«.