Israelisch-palästinensischer Konflikt

Ingenieur im Volkskrieg

Nach dem Willen Yassir Arafats soll die UN-Kommission in Jenin die Internationalisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts vorantreiben. Die Untersuchung könnte aber auch unbequeme Fakten zutage fördern.

Würde Ägypten wieder in den Krieg gegen Israel ziehen, wenn ausreichend Geld für Waffenkäufe zur Verfügung stünde? Premierminister Atef Obeid mochte diese Frage, die ihm am Mittwoch der vergangenen Woche von der in Katar erscheinenden Tageszeitung al-Watan gestellt wurde, nicht verneinen: »Bringt die arabische Welt dazu, 100 Milliarden Dollar aus den weltweit verfügbaren arabischen Fonds zusammenzulegen und sagt, 'dies ist ein Konfrontationsbudget' (...). Dieses Budget steht euch zur Verfügung, geht voran und beginnt die Konfrontation!« Ein solches Angebot würde die »Berechnungen ändern«.

Diese Äußerung könne nur im Kontext des gesamten Interviews richtig verstanden werden, erklärte Obeid am folgenden Tag. Das ägyptische Militär sei »keine Armee von Söldnern«, und die Entscheidungen der Regierung könnten »nicht mit Geld gekauft werden«. Letztlich ein recht halbherziges Dementi vom zweithöchsten Politiker des Staates, der 1979 als erster der arabischen Welt einen Friedensvertrag mit Israel schloss. Zwar sind die 100 Milliarden so fern wie eine Kriegserklärung gegen Israel, doch Obeids Äußerungen sind kennzeichnend für die derzeitige Debatte in der arabischen Welt und den Druck einer überwiegend antiisraelischen öffentlichen Meinung, unter dem die meisten Regierungen stehen.

Der damalige ägyptische Präsident Anwar al-Sadat hatte sein Land durch den Friedensschluss in der arabischen Welt isoliert. Der saudische Kronprinz Abdullah hat sich seinen Friedensplan deshalb zunächst vom Gipfel der arabischen Liga in Beirut absegnen lassen. Tatsächlich scheint Abdullahs Vorschlag nicht allein propagandistischen Charakter zu haben, schließlich würde eine erfolgreiche Vermittlung im Nahost-Konflikt das politische Gewicht Saudi-Arabiens in der Region und der Weltpolitik erhöhen.

Abdullah steht nun vor der schwierigen Aufgabe, jene arabischen Staaten zumindest zum Stillhalten zu zwingen, die die Konfrontation mit Israel nicht beenden wollen, und zugleich die USA für seine Pläne zu gewinnen. Bei seinem Treffen mit US-Präsident George W. Bush Ende vergangener Woche ergänzte Abdullah seinen Plan um Vorschläge zu dessen Realisierung. Seine Forderung nach einem israelischen Rückzug aus den palästinensischen Gebieten, einem Gewaltverzicht und neuen Verhandlungen entsprechen im Wesentlichen der Position der USA. Hier gibt es, wie bei der Forderung nach einer Beendigung des Siedlungsbaus in den palästinensischen Gebieten, allenfalls Differenzen über die Abfolge der erwünschten Schritte.

Doch während die US-Regierung nur die Stationierung internationaler Beobachter nach einem Waffenstillstand unterstützen will, fordert Abdullah eine Friedenstruppe. Die Internationalisierung des Konflikts ist das zentrale Ziel der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Yassir Arafats.

»Der Präsident betrachtet das als konstruktiv«, erklärte Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses, zu den saudischen Vorschlägen. Die arabischen Regierungen und die PA äußerten sich zunächst nicht. Die PA scheint darauf zu setzen, die Internationalisierung des Konflikts über die Uno vorantreiben zu können. Um die Vorwürfe zu untersuchen, die israelische Armee (IDF) habe während der Kämpfe um ein Flüchtlingslager bei Jenin Zivilisten massakriert, soll eine UN-Kommission anreisen. Nach anfänglichem Widerstand und Verhandlungen über ihre Zusammensetzung stimmte Israel der Entsendung zu.

Aus palästinensischer Sicht dürfte das eine Vorstufe für die Stationierung einer internationalen Truppe zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung sein. Die Untersuchung könnte aber auch einige für die PA unbequeme Fakten zutage fördern. Mehrere arabische Zeitungen und Fernsehsender haben in der vergangenen Woche aus Jenin entkommene Kämpfer interviewt. Dass Zivilisten sich an der Schlacht beteiligten, wird hier recht offen, teilweise stolz bekannt, ebenso wie die Sprengung von Häusern, um den Vormarsch der IDF zu behindern.

Die regierungsnahe ägyptische Zeitung Al-Ahram Weekly sprach mit einem der so genannten Ingenieure, die für den Islamischen Jihad Bomben herstellen. »Wir haben Sprengfallen in mehr als 50 Häusern installiert«, erklärte der mit dem Namen Omar vorgestellte Islamist; seine Angabe wurde von anderen Kämpfern bestätigt. Omar schildert auch, wie israelische Soldaten in ein mit Sprengfallen bestücktes Haus gelockt wurden: »Wir hörten auf zu schießen und die Frau ging hinaus, um den Soldaten zu sagen, dass wir keine Munition mehr haben.« Als die Frau die Soldaten an die richtige Stelle gelockt hatte, gab sie den Kämpfern ein Zeichen.

Nach Angaben von Sheikh Jamal Abu al-Hija, dem Kommandanten der Hamas-Miliz in Jenin, haben die meisten Frauen und Jugendlichen das Lager nicht verlassen: »Auch die Jugendlichen hatten eine bedeutende Rolle beim Aufstand (...) Einige der Jugendlichen füllten standhaft ihre Schultaschen mit Sprengsätzen (...) Obwohl die Frauen wussten, wie schlecht die Situation war, zog es ein großer Teil von ihnen vor zu bleiben, um Essen für die Mujaheddin zu bereiten (...) und um ihre Moral zu heben.« Auch diese Angaben wurden von anderen an den Kämpfen Beteiligten bestätigt.

Mit den hier geschilderten Taktiken des »Volkskriegs« wurde die Grenze zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten bewusst verwischt. Ein Teil der im Flüchtlingslager angerichteten Zerstörungen geht auf das Konto palästinensischer »Ingenieure«. Manche Vorwürfe gegen die IDF könnten dennoch berechtigt sein, für das behauptete Massaker an Hunderten Zivilisten und die Tötung von Gefangenen gibt es aber bislang keine Beweise.

Die IDF gibt die Zahl der getöteten Palästinenser derzeit mit 48 an und beziffert die eigenen Verluste auf 23 Soldaten. Allzuviele solcher Siege kann sich die israelische Regierung nicht leisten. Die Kalkulation, ein Zermürbungskrieg werde Israel zum Rückzug zwingen, ist die zweite Strategie der PA und der Islamisten. Große Verluste der IDF erhöhen den Druck auf die israelische Regierung, sich aus den palästinensischen Gebieten zurückzuziehen. Gleichzeitig aber ist die Strategie, die Jugendliche dazu bewegt, ihre Schultaschen mit Sprengsätzen zu füllen, kaum geeignet, das Vertrauen der israelischen Öffentlichkeit auf das friedliche Zusammenleben mit einem palästinensischen Staat zu stärken.

Auch in der palästinensischen Gesellschaft scheint nun der Widerspruch zur Benutzung von Kindern und Jugendlichen für die Kriegführung zu wachsen. Zwei 14jährige und ein 13jähriger wurden am Dienstag vergangener Woche beim Versuch, in eine israelische Siedlung im Gaza-Streifen einzudringen, erschossen. Einer von ihnen, Ismail Abu Nada, hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er seine Zugehörigkeit zur Hamas erklärte.

Die Hamas sah sich daraufhin zu der Aufforderung genötigt, Lehrer und Geistliche sollten Jugendliche von solchen Aktionen abhalten. Das Bildungsministerium der PA bereitet ein entsprechendes Memorandum für die Lehrer vor. Der stellvertretende Bildungsminister Nayyim Abu Humus kritisierte die Verteilung von Waffen an Jugendliche. Doch er bezweifelt selbst, dass er Einfluss auf die dafür verantwortlichen Organisationen nehmen kann.