William S. Burroughs' »Last Words«

Die Basis des Besseren

Gelesen in Tanger I. William S. Burroughs' »Last Words« ist halb Testament, halb Tagebuch.

William S. Burroughs sagte einmal in einem Interview über Tanger: »It was a funny place.« Die Hälfte der Zeit, die er von 1954 bis 1958 dort verbrachte, lag er wie ein Toter im Bett, gab sich alle paar Stunden einen Druck und starrte danach seine Schuhe an (Briefwechsel mit Allen Ginsberg).

Nach einer Entziehungskur in London 1956 saß er am Schreibtisch seines Zimmers in der Pension Mouneria, tippte auf Marjoun (Haschischmarmelade) das Buch »Naked Lunch« und bekam zwischendurch von seinem Lover Kiki Besuch. Ansonsten fand Burroughs Tanger ziemlich langweilig. Die Marokkaner würden nur blöde im Café rumsitzen und ein gestrecktes Kraut, Kif, eine Mischung aus Marijuhana und Tabak, rauchen (Briefwechsel mit Allen Ginsberg).

Diese Art von Understatement war typisch für Burroughs, der nicht nur in seinen Büchern, sondern auch in seiner Biografie viele Dinge im Unklaren ließ und so den Grundstein zum Burroughs-Underground-Mythos legte. Seine dreiteiligen, konservativ wirkenden Anzüge, die er sein Leben lang trug, waren dabei ein nicht wegzudenkender visueller Bestandteil seines Daseins.

Burroughs war ein ignorantes Arschloch (Mitglied der US Rifle Association und Verfechter des privaten Besitzes von Schusswaffen), der es gewöhnlich vermied, einer Frau die Hand zu geben; er war ein Avantgarde-Künstler, der Lesungen mit Patti Smith, Platten mit Kurt Cobain u.a. machte und mit Revolvern auf seine Bilder schoss; ein Junkie und Underdog, der auf sein natürliches Recht auf Drogen pochte; ein Muttersöhnchen, das fast bis zu seinem 50. Lebensjahr auf Kosten seiner Eltern lebte; ein Religionsfreak bei den Scientologen.

Obendrein war er ein Mörder »aus Versehen«, er erschoss seine Frau beim Wilhelm-Tell-Spiel in Mexiko anno 1951 unabsichtlich.

Burroughs durfte alles, und er tat auch alles, was er wollte. Er scherte sich einen Scheißdreck um das, was andere dachten, und das macht ihn bis heute auch so sympathisch. Burroughs war alles andere als »politically correct«. Liest man sein letztes Buch »Last Words«, eine Art testamentarisches Tagebuch, das er von Novemer 1996 bis kurz vor seinem Tod am 2. August 1997 führte, spürt man das Seite für Seite. Ein notorischer Kauz, der seine eigene Nachrichtenagentur, sein eigenes World News- und Opinion-Programm inmitten des weltweiten Manipulationsdschungels laufen ließ.

Es ist erfrischend angenehm, diesem Sound zuzuhören, weil er das sagt, was er zu sagen hat, ohne sich an anderen Meinungen auf- bzw. auszurichten. Mit einer Stimme, die ohne humanistisches, moralinsaures Gedudel auskommt. Und mit einer abfälligen Handbewegung, mit der er einfach das herrschende Propagandamus in den Mülleimer kippt. Scheiß drauf! Klar, dass sowas gerade jetzt besonders gut tut, wo seit dem 11. September die Verdummungsmaschinen auf Hochtouren laufen.

Natürlich kommt Burroughs nicht auf die blöde Idee, mit fein abgewogenen Argumenten Gesellschaftsanalyse zu betreiben. Wer es nicht schnallt, ist eh hoffnungslos verloren. Nur kein Messianismus zur Rettung des armen Individuums! »Als hätten die Politiker und ihre dämlichen Wähler den letzten Rest Vernunft verloren. Egal, in welche Zeitung man schaut, oder an welche Tür man klopft - man begegnet immer seltener Leuten, mit denen man was zu tun haben möchte.« (»Last Words«, Notiz vom 1. Februar 1997)

Burroughs' Zorn richtet sich gegen Polizisten, Politiker, die Menschheit an sich, und überhaupt, gegen die Drogenkrieger von FBI und CIA und und und. Es sind die Feinde, die unter dem Deckmantel einer beschissenen bzw. geheuchelten Moral andere Menschen malträtieren. Das sind die Themen und Figuren, die man immer wieder in seinen Büchern findet.

Nur ist das alles in diesem Tagebuchjournal viel weniger verschlüsselt. Es gibt Beschreibungen von Träumen, kleine Cut-Ups, aber im Großen und Ganzen sind die Aussagen klar und drehen sich um eine Welt, die immer schlimmer, katastrophaler wird und einem mehr und mehr den Verstand raubt, ja rauben muss. Das einzige, was da noch zu tun bleibt, ohne Wenn und Aber: »Dies ist ein Planet, der auf der Grundlage von Krieg und Angst funktioniert - Stellen wir uns der Angst - egal, woher sie kommen mag, und sie wird in tausend Stücke zersplittern. Nun, worauf warten wir noch? Washington, D.C. ist gleich hier die Straße runter. (...) Es ist Krieg. Steht auf und kämpft. Gegen wen? Na los, macht schon, es wird euch bald klar werden.«

Wer Burroughs einigermaßen kennt, weiß, dass er nicht mit Phrasen wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit oder anderem Mist kommt. Sein besseres Wissen über die Gesellschaft enstammt nicht gängigen rationalen Überlegungen oder resultiert nicht aus irgendeiner Ideologie, wie man das und das besser machen könnte.

Sein Erweckungserlebnis beschreibt er folgendermaßen: »Dann spürte ich die Berührung durch eine höhere Macht und wurde morphiumsüchtig. Das Beste, was ich mir je angetan habe. Ohne Gottes Eigene Medizin hätte ich durchaus als einer der Typen enden können, die versuchen den großen amerikanischen Roman zu schreiben, oder als alkoholischer Akademiker; (...) eine stinklangweilige Seifenoper, und dank Gottes Eigener Medizin bin ich nie darauf reingefallen.«

Spätestens hier trennt sich gewöhnlich die Spreu vom Weizen. Den direkten Zusammenhang von Morphiumsucht, die er übrigens bis zu seinem Tod pflegte, und Gesellschaftskritik können wohl nur die wenigsten nachvollziehen. Selbst für die Aufgeklärten, die etwa die Legalisierung von Haschisch propagieren, ist bei Morphium oder Heroin Schluss. Da sollte man besser die Finger von lassen! Das ist ja tierisch gefährlich usw. usw. Opiate dann auch noch als Basis bzw. Erkenntnismittel für eine »bessere Welt« zu begreifen, das kommt nun gar nicht in die Tüte. In der Regel nur das Gegenteil: als Flucht vor der Realität, die mit dem Verlust der Persönlichkeit endet und ins Verderben, ins Elend führt.

Für Burroughs dagegen sind Opiate ein Weg zur Selbsterkenntnis: »So kam es, dass ich durch Gottes Eigene Medizin Selbstachtung gewann - und damit auch Respekt vor anderen.« Ein Mittel, wirklich klar zu sehen, wo und mit wem er lebt und wie die Umstände einzuschätzen sind.

»Und sie (Gottes Eigene Medizin) öffnete mir die Augen für das Böse, das hinter dem Krieg gegen Drogen lauert. Nicht irgendwelche Drogen, sondern illegale Drogen. Sobald eine Droge illegal wird, ist sie vom schwefelgelben Glühen aus den Tiefen der Hölle umgeben.«

Da hat er nicht so ganz Unrecht, denkt man nur an das Vokabular, mit dem Drogengegner (von rechts bis links) vor dem Sog, der schier unheimlichen Kraft eines Stoffes warnen, der Unheil und den Untergang des Individuums herbeiführt und deshalb unweigerlich eine Bedrohung jeder Gesellschaft darstellt. Ein Szenario, das die drohende Apokalypse beschwört (alle Junkies, mein Gott!), die nicht so weit von Burroughs' »Hölle« und seinem »schwefelgelbem Glühen« entfernt liegt.

Neben ideologiekritischen Aspekten findet sich in diesem Journal (in 168 Einträgen aus 260 Tagen) logischerweise viel Biografisches, das nicht nur für den Burroughs-Fan von Interesse ist. Mal lange, mal kurze Exkurse über gelesene Bücher, Zeitschriften, Zeitungen; Erinnerungen an Tanger, New York, London, die Städte, in denen Burroughs mehrere Jahre lebte. Über alte Freunde, wie Brion Gysin, mit dem Burroughs die Cut-Up-Methode entwickelte; oder über langjährige Weggefährten, wie Allen Ginsberg, Herbert Huncke, die er seit den vierziger Jahren kannte und die nun einer nach dem anderen wegsterben.

Man kann deutlich die von Tag zu Tag größer werdende Einsamkeit des »El Hombre Invisible«, wie Burroughs in Tanger genannt wurde, spüren und man kann sie auch nachempfinden. Zwar wurde er gehegt und gepflegt von jungen Männern seiner »Burroughs Communication« und seinem Manager und Freund James Grauerholz, aber trotzdem war er allein in seinem Holzhaus in Lawrence, Kansas, mit einem Haufen voll Lebenserinnerungen.

Nicht zu vergessen seine Katzen, die er offensichtlich abgöttisch liebte und mit denen er sehr »menschlich« umging. Ein Umgang, den sich so manch anderer zweibeinige Gefährte früher wohl öfter gewünscht hätte. Burroughs sei nicht immer ein Katzenliebhaber gewesen, schreibt James Grauerholz im Vorwort des Buches.

In den fünfziger Jahren habe er in Texas und Mexiko sogar wiederholt Katzen gequält. Trotzdem könne man seine spät entdeckte Liebe zu Tieren gar nicht hoch genug einschätzen. »Jetzt dachte er auch häufig an die vielen Menschen in seinem Leben«, schreibt Grauerholz, »die bereits gestorben waren, und es schien, als hätten die Katzen ihren Platz eingenommen.«

Trotz vieler Wiederholungen, die man als Gedächtnisstützen begreifen sollte, ist »Last Words« ein aufschlussreiches Buch, das bisher kaum bekannte Seiten des »unsichtbaren Mannes« zeigt.

Nicht nur ein nettes Bonmot dazu ist die CD »qui vivre verra« (Wer lebt, wird sehen), eine Hörspielproduktion im Auftag des Bayerischen Rundfunks zu »Last Words«. Eine Collage aus Reflexionen, Träumen, Erinnerungen und Texten von Burroughs, die von Ulrike Haage gesungen und vertont wurden. Cut-Ups und Sounds, featuring Gottfried John, Bobo und Alexander Hacke.

Wiliam S. Burroughs: Last Words. Sans Soleil, 21 Euro; William Burroughs: Last Words, CD 17,50 Euro